Erschrocken macht Primo einen Satz rückwärts, stolpert und fällt hin.
Unngh! , freut sich ein Nachtwandler, der hinter Primo her stolpert. Bevor er sich aufrappeln kann, hat das Monster ihn erreicht und holt mit seinem Arm zu einem Schlag aus.
In diesem Moment schießt etwas Helles durch die Dunkelheit. Der Nachtwandler wird von den Beinen gerissen, als Paul, der Wolf, ihn anspringt und sich knurrend auf ihn stürzt.
Rasch rappelt sich Primo auf. „Braver Wolf!“, ruft er. „Komm, Paul!“
Der Wolf lässt von dem Nachtwandler ab und folgt Primo. Doch der hat sich in der Dunkelheit unter den Bäumen verirrt und weiß nicht mehr, in welche Richtung er gehen muss.
„Such Ruuna!“, sagt Primo.
Paul spitzt die Ohren und sieht ihn fragend an.
Zu dumm, dass Tiere nicht sprechen können. Wie soll Primo ihm erklären, wen er meint? Ihm fällt nichts anderes ein, als sich die Nase zuzuhalten, um anzudeuten, dass Ruuna mit ihren Tränken oft unangenehme Gerüche verbreitet.
Der Wolf wedelt mit dem Schwanz und schnüffelt am Boden. Dann läuft er in eine Richtung. Primo folgt ihm unsicher. Doch tatsächlich sieht er bald ein Licht hinter den Baumstämmen auftauchen, und kurz darauf erreichen sie Ruunas und Willerts Hütte.
Er klopft an die Tür. „Ruuna! Willert! Macht auf! Ich bin’s, Primo!“
Die Hexe öffnet die Tür. „Primo! Um Notchs Willen, was machst du denn hier mitten in der Nacht?“
„Tut mir leid, dass ich euch wecke“, sagt Primo, als Willert hinter Ruuna erscheint und sich die müden Augen reibt. „Ich bin vor den Golems geflohen.“
„Vor den Golems?“, fragt Willert. „Was denn für Golems? Und wieso fliehst du vor ihnen?“
Primo fällt ein, dass Magolus es Ruuna streng verboten hat, sich dem Dorf zu nähern. So haben die beiden vermutlich gar nicht mitbekommen, was passiert ist.
„Das ist ja schrecklich!“, ruft Ruuna aus, nachdem Primo ihnen ins Haus gefolgt ist und die ganze Geschichte erzählt hat. „Dann kann ich ja nie wieder mit der Kreisbahn fahren!“
„Wie hat es Golina denn eigentlich geschafft, zu entkommen und deine Zellentür zu öffnen?“, fragt Willert.
Primo zuckt mit den Achseln. „Das weiß ich auch nicht.“
„Aber ich“, erklärt Ruuna. „Sie hat sich unsichtbar gemacht, ist doch logisch!“
„Aber wie sollte sich Golina ...“, beginnt Primo, doch dann wird es ihm plötzlich klar. „Das Kleid, das ich ihr zum Geburtstag schenken wollte! Ich dachte, es wäre verbrannt. Aber vielleicht ist es vom Tisch gerutscht, als Magolus die Raketen angezündet hat. Golina muss es zufällig gefunden haben. Was für ein Glück! Dabei dachte ich ...“
Primo erinnert sich daran, wie er es bereute, zu Ruuna gegangen zu sein und sie um ein unsichtbares Kleid gebeten zu haben, weil er dachte, es würde Golina nackt aussehen lassen, wenn sie es trägt. Dass es sie stattdessen unsichtbar macht, hätte er nicht erwartet. Wie schlau von ihr, das Kleid so über ihren Kopf zu ziehen, dass sie vollständig unsichtbar wurde!
„Wo ist Golina jetzt?“, fragt Willert.
„Ich ... ich weiß es nicht“, sagt Primo. „Ich musste vor den Golems fliehen. Sie wollte Nano befreien, hat sie gesagt ... Oh bei Notch, hoffentlich irren die beiden jetzt nicht alleine im Wald herum und werden von Monstern angegriffen!“
3. Die Produktionsstätte
Während die Golems hinter Primo herrennen, schleicht sich Golina zu dem Metallhaus, in dem Nano eingesperrt ist. Sie drückt auf den Knopf neben der Tür, die daraufhin aufspringt.
„Nano!“, flüstert sie. „Komm schnell!“
„Mama?“, fragt Nano verunsichert.
„Ja, ich bin’s. Komm, wir müssen von hier verschwinden!“
„Ich ... ich hab Angst, Mama! Bist du ... ein Geist?“
„Nein. Ich habe bloß ein unsichtbares Kleid an. Sieh mal.“
Sie zieht das Kleid etwas herab, so dass ihr Kopf zum Vorschein kommt. Doch Nano erschreckt dieser Anblick noch mehr.
„Hilfe!“, ruft er. „Ein schwebender Kopf!“
„Psst!“, macht Golina. „Komm her!“
Zögernd nähert sich Nano. Er streckt eine Hand nach ihr aus. Als er das unsichtbare Kleid berührt und spürt, dass seine Mutter tatsächlich vor ihm steht, lächelt er.
„Cool! Darf ich das auch mal anziehen?“
„Später. Jetzt müssen wir erstmal von hier verschwinden!“
Nano folgt ihr. Golina sieht sich um und überlegt, wohin sie sich wenden sollen. Zum Fluss zu gehen und in den Wald zu fliehen wie Primo scheidet aus, denn die Golems stehen dort am Ufer und diskutieren lautstark, wer von ihnen eine Brücke bilden muss und wer stattdessen darüber gehen darf. Für den Moment sind sie abgelenkt, aber die Gefahr wäre viel zu groß, dass einer von ihnen Nano entdeckt. Primo scheint entkommen zu sein, doch sie ist sich sicher, dass ihr Sohn weniger Glück hätte.
Doch wohin sonst könnten sie gehen? Das Dorf ist von einer hohen Mauer umgeben, und selbst, wenn sie die irgendwie überwinden könnten, säßen sie darin ja doch bloß in der Falle.
Die einzige Versteckmöglichkeit, die Golina einfällt, ist die Höhle unter dem Dorf. Nicht gerade ein sicherer Ort, aber dort können sie zumindest bleiben, bis ihr etwas Besseres eingefallen ist. Sie huschen zur Mauer, in deren Schatten Nano nur schwer zu sehen ist, und schleichen in östlicher Richtung. Doch auf einmal hören sie metallene Schritte. Mehrere Golems kommen ihnen entgegen!
Golina nimmt Nano in die Arme und stellt sich mit ihm an die Mauer, so dass das unsichtbare Kleid sie beide verbirgt.
Während die Golems an ihnen vorbeirennen, hört sie ihre metallischen Stimmen: „... weiß auch nicht, wie das passieren konnte, Nummer Null. Die Arrestzelle muss eine Fehlfunktion haben.“
„Unlogisch!“, widerspricht der Anführer der Golems. „Die Arrestzelle besteht bloß aus Metallblöcken und einer Tür. Wie soll sie eine Fehlfunktion haben?“
„Ich weiß es nicht.“
Den Rest der Unterhaltung bekommt Golina nicht mit. Als die Golems außer Sichtweite sind, huscht sie mit Nano weiter.
Es gelingt ihnen, den Eingang der Höhle unter dem Dorf zu erreichen. Golina überlegt, ob sie nicht lieber doch weiter Richtung Osten fliehen sollen, als sich erneut Schritte nähern.
„Sie können nicht weit sein!“, hört sie die metallische Stimme des Golemanführers, der von der Wiese neben der Schlucht zurückkehrt. „Postiert Wachen um das Dorf und am Flussufer! Ich will, dass kein Huhn mehr zwischen euch hindurchpasst!“
Golina packt Nano am Arm und zerrt ihn in die Höhle. Das Innere ist mit Fackeln ausgeleuchtet. Das ist einerseits gut, denn auf diese Weise laufen sie nicht Gefahr, Monstern zu begegnen. Andererseits ist Nano im hellen Licht leicht zu sehen. Dummerweise nähern sich die Schritte der Golems dem Eingang. Ihr bleibt nichts anderes übrig, als tiefer in die Höhle zu laufen.
Sie erreichen eine breite, gewundene Treppe, die in die Tiefe führt. Golina weiß, dass dort unten die Tiefenschlucht liegt. Es ist gefährlich, sich unbewaffnet dort hinunter zu begeben. Doch sie hat keine Wahl, wenn sie nicht von Nummer Null und seinen Begleitern erwischt werden will.
Hastig stolpert sie mit Nano die Treppe hinab. Keine Sekunde zu früh, denn kaum, dass sie um die erste Biegung der Wendeltreppe verschwunden sind, sind über ihnen die Schritte der Golems zu hören. Sie folgen ihnen in die Tiefe!
Schlimmer noch: Als Golina und Nano weiter hinabsteigen, dringen von unten Geräusche herauf: vielfältige Stimmen, Klopfen und das Trampeln hunderter metallischer Füße.
Kurz darauf erreichen sie das untere Ende der Treppe. Golina erschrickt bei dem Anblick, der sich ihr bietet. Anstelle der schmalen, aber sehr tiefen Schlucht, die hier früher war, erstreckt sich vor ihr ein riesiger Hohlraum, so groß, dass sie die Wände kaum erkennen kann.
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