»Jetzt will ich dir sagen, woran du mich erinnerst. Hast du nie Vollblutstuten gesehen, wenn sie im Stall stehen und glänzen? Haar wie Seide, und eine Haut so dünn und weich, dass der geringste Schmitz mit der Peitschenschnur sich abzeichnet. Nerven durch und durch, fein und empfindsam. Und dabei können sie an Ausdauer den stärksten Ochsen bezwingen und können sich wie ein Blitz eine Sehne verzerren und erfrieren, wenn sie nur eine Nacht ohne Decke stehen. Ich will dir nur sagen, dass man nicht viel in der Welt sehen kann, was so schön ist. Sie sind so feinfühlend und empfindsam und zart. Du bist von andern Frauen ebenso verschieden wie eine solche Stute von einem gewöhnlichen derben Arbeitspferd. Du bist ein Vollblut. Du hast Linie, Geist und Figur. Rede mir nicht von Annette Kellermann! Der bist du über. Sie ist Australierin, und du bist Amerikanerin, nur nicht nach deiner Figur. Du bist anders, du bist reizend. Ich weiß nicht, wie ich es ausdrücken soll. Andere Frauen sind nicht wie du gewachsen. Du gehörst in ein anderes Land. Du bist französisch, das ist es. Du bist wie eine Französin gewachsen, aber viel schöner – die Art, wie du dich bewegst, wie du gehst, wie du sitzt, und wenn du nichts tust.«
Und er, der nie außerhalb Kaliforniens, ja nicht einmal eine Nacht außerhalb seiner Geburtsstadt Oakland gewesen war, hatte recht in seinem Urteil. Sie war eine Blüte der angelsächsischen Rasse, eine Seltenheit mit ihren ungewöhnlich kleinen Händen und Füßen, mit der Frische ihrer Haut, mit ihrer Anmut – sie war ein Rückschlag in jene fernen Zeiten, da die verheerenden französischen Normannen ihr Blut mit der kräftigen sächsischen Rasse vermischten.
»Und wie du deine Kleider trägst! Sie sind mit dir verwachsen. Sie sind gleichsam ein Teil von dir, wie deine Haut und die Kühle deiner Stimme. Sie sind immer, wie sie sein sollen und könnten nicht anders sein. Und weißt du, ein Mann zeigt sich nun einmal gern mit einem Mädchen wie du, deren Kleider wie ein Traum an ihr sitzen, und hört gern die andern Männer sagen: ›Wer ist Billys neues Mädel? Donnerwetter, ist die fesch! Die möcht ich gern mal zu fassen kriegen!‹ Und dergleichen mehr.«
Und Saxon drückte ihre Wange gegen die seine und fühlte sich reich belohnt für die vielen nächtlichen Stunden, die sie mit Nähen verbracht, die vielen qualvollen Stunden, da sie schläfrig über dem Nähzeug genickt hatte, todmüde nach der Arbeit des Tages, während sie für ihren eigenen Bedarf die Ideen neu schuf, welche sie von den eleganten Kleidungsstücken, die unter ihrem fleißigen Eisen dampften, gestohlen hatte.
»Wirst du meiner nie überdrüssig werden?« fragte sie.
»Deiner überdrüssig? Weiß Gott, wir sind doch für einander geschaffen.«
»Ist es nicht wie ein Wunder, Billy, dass wir uns treffen sollten! Denk, wenn wir uns nie getroffen hätten. Es war doch der reine Zufall.«
»Wir sind Glückskinder«, erklärte er. »Das ist sicher.«
»Vielleicht ist es mehr als Zufall«, meinte sie.
»Gewiß. Es ist Schicksal. Nichts in der Welt hätte uns voneinander fernhalten können.«
Sie saßen schweigend da, aber das Schweigen zitterte von einer Liebe, die keine Worte fand. Langsam zog er sie an sich, seine Lippen zitterten an ihrem Ohr, und sie hörte ihn flüstern: »Was meinst du, wollen wir zu Bett gehen?«
Viele Abende verbrachten sie auf diese Art. Zuweilen aber gingen sie aus und tanzten oder gingen ins Orpheum oder ins Bell-Theater oder ins Kino und zu den Freitagskonzerten im City-Hall-Park. Sonntags packten sie oft einen Frühstückskorb und fuhren mit Prince und King, die Billys Chef gern von ihm bewegen ließ, in die Berge.
Jeden Morgen wurde Saxon vom Wecker geweckt. Am ersten Morgen hatte Billy darauf bestanden, dass er mit ihr zusammen aufstehen und Feuer im Herd machen sollte. Sie erlaubte es ihm am ersten Morgen; aber später legte sie alles abends zurecht, so dass sie am Morgen nichts zu tun hatte, als ein Streichholz anzuzünden. Und dann zwang sie ihn, im Bett zu bleiben und weiterzuschlafen, bis sie ihn rief, wenn das Frühstück fertig war. In den ersten Wochen gab sie ihm sein Essen mit. Dann kam eine Woche, in der er mittags nach Hause kam. Dann musste er wieder Essen mitnehmen. Es hing davon ab, wie weit er zu fahren hatte.
»Du machst es nicht richtig mit deinem Mann«, versicherte Mary ihr. »Du bedienst ihn zu sehr. Du verziehst ihn ja direkt. Und er sollte dich verziehen.«
»Er ist der Versorger«, antwortete Saxon. »Er arbeitet schwerer als ich. Ich habe so viel Zeit übrig, dass ich nicht weiß, was ich damit machen soll. Außerdem verziehe ich ihn, weil ich ihn liebe und weil ... nun, weil ich es will.«
Trotz der sorgfältigen Besorgung des Haushalts merkte Saxon doch, sobald sie es in ein System gebracht hatte, dass sie freie Zeit genug hatte. Namentlich, wenn ihr Mann sein Essen mitnahm, so dass sie mittags nicht zu kochen brauchte, stand ihr ein großer Teil des Tages zur Verfügung. An die vieljährige Routine der Arbeit in der Fabrik und der Plätterei gewöhnt, konnte sie sich noch schwer mit diesem Müßiggang versöhnen, und es war ihr kaum erträglich, dazusitzen und nichts zu tun, zumal ihre Freundinnen aus der Mädchenzeit sie nicht besuchen konnten, da sie immer noch in der Fabrik oder in der Plätterei arbeiteten. Die Nachbarfrauen kannte sie nicht, mit Ausnahme einer wunderlichen alten Frau, die nebenan wohnte. Saxon und sie unterhielten sich hin und wieder über das Gitter hinweg, das die beiden Höfe trennte.
Eine Beschäftigung, mit der sie doch immerhin einige Zeit totschlug, erlaubte der viele Müßiggang ihr: sie konnte baden, sooft sie wollte. Als Kind und bei Sarah hatte sie sich mit einem Bad wöchentlich begnügen müssen. Als sie heranwuchs, hatte sie versucht, häufigere Bäder einzuführen. Aber der Versuch scheiterte. Sarah war erstarrt in dem Glauben an das wöchentliche Bad am Sonnabend, und was über diesen Reinigungsprozeß hinausging, betrachtete sie als Anstellerei und Verdächtigung ihrer eigenen persönlichen Reinlichkeit. Außerdem war es ein sinnloser Mißbrauch von Brennmaterial und vermehrte die Wäsche des Hauses unnötig mit Handtüchern. Hier aber, in Billys Haus, wo Herd, Wanne, Handtuch und Seife ihr gehörten, und niemand Einspruch erheben konnte, ergab Saxon sich täglich diesem Genuß. Die Wanne war allerdings nur ein einfacher Waschzuber, den sie in die Küche stellte und selbst mit Wasser füllte; aber es waren vierundzwanzig Jahre vergangen, ehe sie sich diesen Luxus erlauben konnte. Es war die wunderliche Frau von nebenan, die eines Tages in einer zufälligen Unterhaltung etwas erwähnte, das dieses Bad zum Höhepunkt des Wohlbefindens machte. Eine ganz einfache Sache – nur ein paar Tropfen Ammoniak ins Wasser, aber Saxon hatte nie etwas davon gehört.
Sie sollte mit der Zeit vieles von der wunderlichen Frau lernen. Die Bekanntschaft wurde eines Tages im Hof geschlossen, als Saxon einiges von ihrer feinsten Wäsche zum Trocknen aufhängte. Die Frau, die sich an das Verandageländer lehnte, fing ihren Blick auf und nickte, soweit Saxon sehen konnte, halb ihr, halb der Wäsche an der Leine zu.
»Sie sind jungverheiratet, nicht wahr?« fragte die Frau. »Ich bin Frau Higgins. Aber nennen Sie mich lieber beim Vornamen, Mercedes.«
»Und ich bin Frau Roberts«, antwortete Saxon. Es war ihr noch so ungewohnt zu sagen, dass sie errötete. »Mein Vorname ist Saxon.«
»Ein komischer Name für eine Yankeefrau«, bemerkte die andere.
»Ach, ich bin keine Yankeefrau«, erklärte Saxon. »Ich bin Kalifornierin.«
»Lala«, lachte Mercedes Higgins. »Ich vergaß, dass ich in Amerika bin. In andern Ländern nennt man alle Amerikaner Yankees. Aber nicht wahr, Sie sind jungverheiratet?«
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