»Ach, Billy, ich will dir eine gute Frau sein«, schluchzte sie, als er sie losließ.
Er küsste ihre nassen Augen und fand ihre Lippen wieder.
»Jetzt weißt du, woran ich dachte, und warum ich so schwitzte beim Lunch. Ich konnte es nicht länger aushalten, ich musste es dir sagen. Du weißt ja, dass du mir vom ersten Augenblick an gefielst.«
»Und ich glaube, ich habe dich auch vom ersten Tage an geliebt, Billy. Ich war den ganzen Tag so stolz auf dich, denn du warst so gut, rücksichtsvoll und so stark, und alle Männer hatten solchen Respekt vor dir, und die Mädchen waren in dich verliebt. Einen Mann, auf den ich nicht stolz wäre, könnte ich weder lieben noch heiraten. Und ich bin so stolz auf dich, ach, so stolz.«
»Nicht halb so stolz, wie ich es selber jetzt auf mich bin«, antwortete er, »und zwar, weil ich dich gewonnen habe. Das ist alles zu schön, um wahr zu sein, und in zwei Minuten wird vielleicht der Wecker rasseln und mich wecken. Nun, selbst wenn es so ist, so will ich doch jedenfalls so viel wie möglich von diesen beiden Minuten haben.«
Er schloss sie in seine Arme und presste sie so an sich, dass es fast schmerzte. Nach einer kleinen Weile, die für sie wie eine ewige Seligkeit war, ließ er sie los, und es war, als müsste er sich gewaltsam hierzu aufraffen.
»Und noch hat die Uhr nicht geweckt«, flüsterte er an ihrer Wange. »Und es ist dunkle Nacht, und dort vor uns liegt Fruitvale und stehen King und Prince mitten auf dem Wege. Ich kann dich nicht loslassen, und wir haben noch ein Stück zu fahren. Gift und Galle, aber wir müssen weiter.«
Er ließ sie ganz los, stopfte die Decke um sie fest und gab den ungeduldigen Pferden einen kleinen Schmitz mit der Peitsche.
Eine halbe Stunde später sagte er: »Prrr!«
»Jetzt weiß ich, dass ich wach bin, aber ich bin mir nicht ganz sicher, ob ich all das andere nicht geträumt habe, und ich muss meiner Sache sicher sein.«
Und wieder machte er die Zügel fest und schloss sie in seine Arme.
Die Tage vergingen Saxon im Fluge. Sie arbeitete wie gewöhnlich in der Plätterei und leistete sogar noch mehr Überarbeit als sonst, aber jede Stunde, die sie frei hatte, war den Vorbereitungen zu der großen Veränderung und – Billy gewidmet. Als allsiegender Liebender von Gottes Gnaden hatte er bestimmt verlangt, dass sie schon am Tage nach dem Antrag ihre Hochzeit feiern sollten, und mehr als eine Woche Aufschub weigerte er sich kategorisch zu bewilligen.
»Warum sollten wir warten?« fragte er. »Wir werden nicht jünger, und denk an alles, was wir uns mit jedem Tage, den wir warten, entgehen lassen.«
Zuletzt gab er sich mit einem Monat zufrieden, und das war ein Glück, denn vierzehn Tage darauf wurde er mit einem Dutzend anderer Kutscher nach den großen Ställen von Corberly & Morrison in West-Oakland versetzt. Damit erübrigte sich alles Wohnungssuchen am anderen Ende der Stadt, und sie wählten die Pine Street in unmittelbarer Nähe von den Werkstätten der Süd-Pazifik-Bahn, wo Billy und Saxon ein hübsches Häuschen mit vier kleinen Zimmern für zehn Dollar monatlich mieteten.
»Das nenne ich geschenkt, wenn ich daran denke, wie ich für die Löcher, in denen ich bisher wohnte, bluten musste«, erklärte Billy. »Für das zum Beispiel, das ich zur Zeit bewohne – es ist nicht einmal so groß wie das kleinste von diesen – bezahle ich sechs Dollar monatlich.«
»Aber es ist möbliert«, wandte Saxon ein. »Das ist der Unterschied. Verstehst du?«
Aber das verstand Billy nicht.
»Mit meiner Gelehrsamkeit ist es nicht weit her, Saxon. Aber ein einfaches Rechenexempel kann ich doch lösen. Es ist schon vorgekommen, dass ich meine Uhr versetzen musste, wenn ich in der Klemme war, und ich weiß, was Zinsen sind. Wieviel, meinst du, wird es kosten, das Haus hier zu möblieren, mit Teppichen auf dem Fußboden, Linoleum in der Küche und allem andern?«
»Für dreihundert Dollar können wir es wirklich hübsch machen«, antwortete sie. »Ich habe darüber nachgedacht und glaube bestimmt, dass es dafür zu machen ist.«
»Dreihundert«, murmelte er und runzelte die Stirn vor lauter Eifer. »Dreihundert, sagen wir, zu sechs Prozent. Das macht sechs Cent auf einen Dollar, sechzig Cent auf zehn Dollar, sechs Dollar auf hundert Dollar. Kannst du sehen, dass ich fabelhaft mit zehn multiplizieren kann? Jetzt achtzehn durch zwölf, das macht einen Dollar fünfzig monatlich.« Er hielt inne, zufrieden, dass er seine Behauptung bewiesen hatte. Dann fiel ihm etwas anderes ein. »Ho! Wir sind noch nicht fertig. Was machen die Zinsen, wenn man vier Zimmer möbliert. Also – was macht ein Dollar fünfzig durch vier?«
»Fünfzehn durch vier – drei und drei im Kopf«, begann Saxon mit großer Zungenfertigkeit. »Dreißig durch vier sind sieben, achtundzwanzig, zwei im Kopf, und zwei Viertel ist ein halb. Da hast du's.«
»Na ja, du scheinst es auch zu können.« Er besann sich einen Augenblick. »Ich bin nicht mitgekommen. Wieviel, sagst du, macht es?«
»Siebenunddreißigeinhalb Cent.«
»Schön. Laß uns jetzt sehen, wieviel man mir für mein eines Zimmer abgenommen hat. Zehn Dollar monatlich für vier Zimmer macht zweieinhalb für eines. Dazu siebenunddreißigeinhalb Cent für die Möbel, macht zwei Dollar und siebenundachtzigeinhalb Cent, abgezogen von sechs Dollar – –«
»Drei Dollar und zwölfeinhalb Cent«, warf sie hastig ein.
»Richtig! Um drei Dollar und zwölfeinhalb Cent werde ich also für das Zimmer, in dem ich wohne, betrogen. Da siehst du es! Es ist direkt eine Ersparnis, wenn man heiratet. Nicht wahr?«
»Aber die Möbel werden abgenutzt, Billy.«
»Ja, Teufel auch, daran dachte ich nicht. Das muss man selbstverständlich mitrechnen. Na, was denn! Es ist nun doch rein geschenkt, und Sonnabend musst du sehen, dass du früh in der Plätterei fertig wirst, damit wir die Ausstattung kaufen können. Ich war gestern abend bei Salingers. Ich soll fünfzig anzahlen und den Rest mit zehn Dollar monatlich abtragen. Fünfundzwanzig Monate, dann gehört alles uns. Und vergiss nicht, Saxon, nimm und kauf alles, wozu du Lust hast – einerlei, was es kostet. Keine Knauserei, wenn es für dich und mich ist. Verstehst du?«
Sie nickte, und nichts in ihrem Gesicht verriet die Unzahl von Ersparnissen, die sie zu machen gedachte. Ein feuchter Glanz trat in ihre Augen.
»Du bist so gut zu mir, Billy«, murmelte sie und trat zu ihm, und seine Arme waren gleich bereit, sie zu empfangen.
»Also hast du es doch getan«, meinte Mary eines Morgens in der Wäscherei. Sie hatten noch keine zehn Minuten gearbeitet, als ihre Augen auch schon den Topasring am Ringfinger von Saxons linker Hand gesehen hatten. »Wer ist der Glückliche? Charley Long oder Billy Roberts?«
»Billy«, lautete die Antwort.
»Huh! Du willst also einen jungen Menschen haben, den du dir erziehen kannst?«
Saxons Gesicht zeigte deutlich, dass die boshafte Bemerkung getroffen hatte, und Mary bereute sie sofort.
»Kannst du keinen Spaß verstehen. Ich freue mich schrecklich. Billy ist ein fabelhafter Mann, und ich freue mich, dass er dich haben soll. Ihr seid wie für einander geschaffen, und du wirst eine bessere Frau für ihn sein als jede, die ich kenne. Wann steigt es?«
Ein paar Tage darauf traf Saxon Charley Long auf dem Heimweg von der Plätterei. Er versperrte ihr den Weg und begann, mit ihr zu reden.
»So, du gehst also mit einem Boxer?« knurrte er. »Wo das hinführt, kann man ja mit einem halben Auge sehen.«
Zum erstenmal in ihrem Leben hatte Saxon keine Furcht vor diesem schwergliedrigen dunklen Mann mit den schwarzen Brauen und den behaarten Händen und Fingern. Sie hob ihre linke Hand.
»Sieh her! Den konntest du mir nicht an den Finger stecken, so groß und stark du auch bist. Aber Billy Roberts konnte es – und das in weniger als einer Woche. Er hat dich besiegt, Charley Long, und mich obendrein. Er ist nicht so einer wie du. Er ist durch und durch ein Mann – ein feiner Mann mit einem reinen Leben.«
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