»Das war Herbert zu profan?«
»Es war unwichtig für ihn. Er dachte nicht so. Das zeigt sich auch darin: Wenn ich ihm mal sagte, ›Wasch doch das Auto‹, antwortete er: ›Was soll das! Bring den Wagen zum Waschen. In dieser Zeit schreibe ich eine Nummer.‹ Diese alltäglichen Dinge waren für ihn Nebensächlichkeiten. Und wenn das jemand weiß, kann er das natürlich bewusst ausnutzen.«
»Die erste Begegnung zwischen Herbert und Kaempfert ist ja bezeichnend für ihr späteres Verhältnis.«
»Richtig«, bestätigt mir Ruth. »Diese erste Begegnung ist typisch. Kaum war der Krieg vorbei, hatte Fips schon ein Motorrad. Herbert kam mit dem Geigenkasten an. Fips: ›Mensch, wo musst denn du hin? Komm, kannst aufsitzen.‹ Dort zeigte sich schon alles. Herbert sitzt hinten, den Geigenkasten unter dem Arm, Fips sitzt vorne am Steuer. So ging das mit den beiden ein Leben lang weiter, denn Fips saß immer am Steuer und ließ es nie los.«
»Es war ein hoher Preis, den Rehbein für diese Abhängigkeit zahlte.«
»Hanne sagte mir einmal«, erinnert sich Ruth, »dass Herbert ihr eigentlich den Mann weggenommen habe. Verstehst du, was ich meine? Fips war in gewisser Weise mehr daran interessiert, diese führsorgende Stellung bei Herbert als bei seiner Frau einzunehmen. In diesem Bereich fühlte er sich seinem Freund gegenüber sehr verpflichtet.«
»Und was war deine Rolle in diesem Spiel?«, frage ich Ruth.
»Ich darf sagen, dass ich Herbert vor einigen Situationen bewahrt habe. Er konnte sich manchmal für jemanden begeistern, und ich spürte intuitiv, dass ein solcher Kontakt gefährlich werden könnte. Da sagte ich ihm dann: ›Pass auf!‹«
»Warum bei Kaempfert nicht?«
»Weil das eben alles nicht vorhersehbar gewesen ist. Obwohl es Situationen gab, in denen ich klar erkannte, was gespielt wurde. So auch bei der Sache mit Strangers In The Night . Und trotzdem kam dann alles so, wie es wohl hat kommen müssen.«
Gib dem Menschen eine Uniform ...
Herbert Rehbein, geboren am 15. April 1922 in Hamburg, wuchs in einer bürgerlichen Umgebung auf, liebevolle Mutter, Vater Polizeibeamter, ein jüngerer Bruder. Schon früh hatte er den Wunsch, ein Instrument zu spielen. Ein Klavier, das er gerne gehabt hätte, war zu teuer. Er bekam eine Geige. Die Auflage lautete: Schule an erster Stelle, dann erst die Musik! Rehbein schaffte prompt das Abitur nicht. Dafür erhielt er ein Stipendium und fing im Vogtschen Konservatorium in Hamburg ein Musikstudium an.
Damit war der Weg zur brotlosen Kunst eingeschlagen. Für Rehbein gab es ohnehin nur Musik, also dachte er nicht an Brot. Er sang zusätzlich im Kirchenchor, die Matthäuspassion in der St.-Michaelis-Kirche. Dann kam die Hitlerjugend.
Er schummelte sich durch, ließ diejenigen machen, die es machen wollten. Einer der Jungen, der ihn mochte, stellte sich schützend vor ihn. Rehbein quittierte mit kleinen Gefälligkeiten. Sämtliche Ideologien stießen ihn ab, so dachte er schon in jungen Jahren: »Gib dem Menschen eine Uniform, und du lernst ihn erst wirklich kennen!« Für diese Welt war er nicht gemacht.
In der Welt der Musik hingegen fühlte er sich wohl. Das entsprach seinem Wesen. Er übte täglich Geige, oft bis zu zehn Stunden. Alles oder nichts. Zusätzlich nahm er Privatunterricht bei Professor Gerstekamp, einem Mann aus der Philharmonie. Rehbeins Begabung blieb dem Professor nicht verborgen. Die beiden mochten sich. Gerstekamp verstand, wie er mit Rehbein umzugehen hatte. Kein Zwang, sondern subtile Förderung der Begabung.
Draußen zog eine Fratze am Horizont auf: Krieg! Zehntausend Geigen hätten dem Donnern der Gewalt nicht standhalten können. Die Nazis wüteten schon lange, Hitler schürte eine Krankheit, die sich bald über ganz Europa, bis hin nach Afrika, ausbreiten sollte. Der Klang der Geige verstummte. Wehrmacht hieß es für Rehbein. Junge, unverbrauchte Männer waren gefragt. Rehbein wollte zum Musikkorps. Als Geiger hatte er da natürlich keine Chance, also stieg er für diesen Zweck auf Klarinette um. Er musste in Lübeck einrücken. Kasernendrill. Die Ausbildung ging schnell. Rehbein kam nach Kreta
Der Krieg tobte. Kreta blieb vorerst verschont. Rehbein verschrieb sich auch dort voll und ganz der Musik. Doch die Strenge der Klassik ließ ihm zu wenig Raum, engte ihn ein, obwohl er das Orchestrale liebte. Er gründete ein Tanzorchester, dem er als Kapellmeister und Geiger vorstand. Sehr schnell machte er sich unter den Soldaten einen Namen. Er brauchte diese Sonderstellung, um zu überleben.
Aus einem Brief eines ehemaligen Kriegskameraden an Rehbein:
»Die 22. I. D., bzw. das 16. Infanterie-Regiment, lag mit seiner Stabskompanie auf Kreta in den Ortschaften Rethimnon, zuletzt in Neapolis. Unser Kommandeur war Oberstleutnant Haag und später Major Bruns. Ich z.B. war im Zugtrupp des Pak-Zuges bei Leutnant Giesel und Sie in der Regimentskapelle, die mit ihrem Tanzorchester an so manchem Abend im Soldatenheim für Stimmung sorgte. Wie oft habe ich zu Hause von dieser Zeit gesprochen und dabei von der Eroberung der italienischen Instrumente und Noten erzählt. Kamen dabei doch so tolle Sachen wie der › Schwarze Panther ‹ und › Mary Lou ‹ zum Vorschein. Was waren das für schöne Stunden, als Sie als Kapellmeister mit dem Tanzorchester diese beiden Hits immer wieder spielen mussten. Den Alltag auf Kreta verbrachten Sie oft bei uns im Pak-Zug, und dadurch lernten wir uns näher kennen. Sie sprachen damals schon von moderner Musik und meinten, dass man sich eines Tages damit auseinandersetzen müsste. Sie spielten in der Regimentskapelle schon eine besondere Rolle.«
Eines Nachts musste Kreta Hals über Kopf geräumt werden. Flug nach Athen. Von dort aus folgte ein Gewaltsmarsch durch Jugoslawien, der »Wandernde Kessel« genannt. Eine ganze Division bewegte sich mühsam vorwärts, über Pässe, ständigen Angriffen und Überfällen von Partisanen, russischen Bombern und Tieffliegern ausgesetzt. Sämtliche Musikkorps waren aufgelöst worden. Aus Rehbein wurde »Schütze Rehbein«.
Die Musikinstrumente des Unterhaltungsorchesters reisten mit, versteckt in einem Küchenwagen. Die Soldaten litten immer mehr. Irgendwann kamen sie nicht mehr weiter, harrten wochenlang in den Wintermonaten bei Schnee und Eis in den Bergen aus, kämpften sich endlich durch.
Am 15.5.1945, nach neun Monaten Fußmarsch, erreichte sie in der Nähe von Celje, etwa vierzig Kilometer vor der österreichischen Grenze, die Kapitulation. Die Division, der Rehbein angehörte, hatte ganz Jugoslawien hinter sich gelassen, von Griechenland aus bei Cevgelija über die Grenze, auf Skopje zu, an Pristina vorbei nach Sarajevo, von dort aus nach Luka, weiter nach Zagreb.
Titos Partisanen gingen mit den »Schwabos« nicht zimperlich um. Die Gefangenen wurden entwaffnet. Essen gab es keines. In der Nacht versuchten einige Deutsche zu fliehen, wollten hinüber ins nahe liegende Österreich, um sich von den Amerikanern gefangen nehmen zu lassen. Die Schüsse verrieten, was mit ihnen geschah. Nur wenigen gelang die Flucht. Auf all die anderen, einschließlich Rehbein, wartete eine unbeschreibliche Tortur.
Der Zug der Gefangenen setzte sich in Richtung Belgrad in Bewegung. Bis auf eine wässerige Suppe hatte es in den letzten Tagen nichts zu essen gegeben. Jetzt konnten sich die Partisanen endlich an dem verhassten Feind rächen. Sie trieben die Gefangenen mit Gewehrkolben voran. Männer wurden grundlos erschossen. Endloser Hass regierte.
Rehbein steckte mitten drin. Wer noch gute Schuhe hatte, musste sie abgeben. Also zerschnitten die Gefangenen ihre noch guten Schuhe mit Rasierklingen, präparierten sie geschickt. Die Schuhe sahen danach völlig kaputt aus, ließen sich aber noch tragen. Längst mussten sich viele Männer Lumpen um die Füße wickeln. Auch Rehbein. Der Hunger wurde immer schlimmer. Die Gefangenen rissen Blätter von den Bäumen, stopften sie sich in den Mund, knieten sich hin, fraßen Gras. Krankheiten breiteten sich aus, vor allem die Ruhr mit schleimigblutigen Durchfällen. Die Folge waren nicht selten Darmdurchbrüche und Bauchfellentzündungen. Die Kranken, von rasenden Leibschmerzen gequält, mussten sich immer wieder an den Straßenrand hocken. Sie schissen sich dort fast die Därme aus dem Bauch. Wer nicht mehr mitkam, wurde erschoßen oder niedergeknüppelt und liegen gelassen.
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