Wer es also mit einem eigenen Sound schaffen will, hat es in diesem Geschäft doppelt so schwer. Im Gegensatz zur Beat- und Rockmusik, die parallel zu Kaempferts großen Erfolgen ihren Aufstieg hatte und die (besonders in den Anfängen) von der Individualität einzelner Musiker geprägt war, blieb die Unterhaltungsmusik an ein bestimmtes Raster gebunden. Mochte Kaempfert sich diesem Druck durch seine bahnbrechenden Erfolge auch größtenteils entzogen haben, Rehbein besaß diesen äußerlichen Rückhalt nie. Gerade bei den Auftragsarbeiten, die er (neben den Produktionen mit Kaempfert) zahlreich ausführte, wusste er, was man da von ihm erwartete. Schließlich engagierte man ihn auch deshalb.
Rehbein verfügte über eine fundierte klassische Ausbildung, spielte selber mehrere Instrumente, darunter Geige auf einem hohen professionellen Niveau. Er sagte aber auch: »Unterhaltungsmusik kann man eigentlich nicht lernen. Und komponieren, nun ja, heutzutage muss das auch nicht mehr im üblichen Sinn gelernt sein. Man denke nur an die Beatles, die nicht einmal Noten lesen konnten und trotzdem hervorragende Musik komponiert haben.«
In seiner Arbeit streifte Rehbein immer wieder die Klassik, in der er auch seine Vorbilder hatte. Die Trennung zwischen E- und U-Musik interessierte ihn wenig. Für ihn gab es nur gute oder schlechte Musik.
Kehren wir zu Kaempfert–Rehbein zurück. Die Probe, auf die diese Freundschaft im grellen Licht des Erfolgs gestellt wurde, war hart. Hinter den Kulissen spielte sich viel ab, was der Sieger Kaempfert der Öffentlichkeit nie zeigte. Er kannte die Regeln und hielt sie eisern ein. Kaempfert und Rehbein waren wie Erde und Sphäre, das zeigen auch ihre unterschiedlichen Physiognomien. Kaempferts energische, zupackende Art, sein »Wille zur Macht«, vertrug sich nur in bestimmten Momenten mit dem Wesen Rehbeins. Diese Dynamik wurde nie durchbrochen und forderte am Schluss ihre Opfer. Auch wenn Rehbein der um Geld und Ruhm Betrogene war, Kaempfert hat sich selber genauso betrogen. Er brauchte Rehbein, um überhaupt weitermachen zu können. Und kam davon nicht mehr los.
Zwischenzeitlich ist nun auch eine Bert-Kaempfert-Biografie mit dem Titel Stranger In The Night/Die Bert Kaempfert Story erschienen. Ich habe mich mit dem Autor Marc Boettcher im April 2002 getroffen, da er bei seinen Recherchen von meinem damals noch in Arbeit befindlichen Manuskript (übrigens bereits mit dem Titel Strangers in the Night ) erfahren hatte.
Warum eine Kaempfert-Biografie mit dem Titel Stranger in the Night ? Boettcher hat mir bei unserem Treffen davon nichts erzählt. Vielleicht wusste er es da ja selber noch nicht. Er schrieb die Biografie im Auftrag der Kaempfert-Töchter. Und die hatten schlussendlich zu enscheiden, was gesagt und was verschwiegen werden musste. Auch wenn Boettcher auf mich den Eindruck eines um Wahrheit bemühten Autors machte, seine Hände waren gebunden. Seine Bemühungen, in dem Buch teilweise einige kritische Elemente einfließen zu lassen, sind zwar spürbar. Aber mehr durfte nicht sein!
War Kaempfert wirklich der Fremde in der Nacht? Er machte jedenfalls nie diesen Eindruck, weder privat noch beruflich. Nein, ein Fremder war er nie, schon gar nicht in dem Geschäft, in dem er so erfolgreich wirkte.
Wir werden uns das später noch genauer anschauen!
Die Idee zu diesem Buch hier entstand schon zu Rehbeins Lebzeiten. Er selbst hatte darunter gelitten, dass er kein Ventil fand, um den Menschen draußen das zu erzählen, was wirklich passiert war. Wäre ihm das gelungen, hätte es eine innere Reinigung für ihn sein können.
Da ich Rehbein persönlich gut gekannt habe, hat er mir viel aus seinem Leben erzählt. Manchmal verbrachten wir ganze Nächte im Gespräch, und es war immer ein großes Vergnügen, ihn erzählen zu hören. Sein schauspielerisches Talent war beeindruckend. Nicht umsonst hatte ihm die berühmte Schauspielerin Grete Weiser (nachdem sie Rehbein bei den Dreharbeiten zu einem Film sah, in dem er O.W. Fischer beim Geigenspiel doubelte) ein Angebot für eine Rolle – an Stelle des jungen Karl-Heinz Böhm – gemacht und, als Rehbein abschlug, sogar persönlich seine Mutter aufgesucht, damit diese ihn umstimme. Er wollte seine Erfahrungen aber auch schriftlich festhalten und machte dann, bereits schwer krank, einen Versuch. Es blieb ihm aber nicht die Zeit dazu. Jahre später griff ich das Thema aus einiger Distanz auf.
Mein Dank für die Entstehung dieses Buches gilt in erster Linie Ruth Rehbein und ihren beiden Söhnen, Herbert und Jürg Rehbein. Viele Stimmen sind dazugekommen, Kriegserlebnisse, Musikergeschichten, viel Privates, Gedanken zu Geld und Berühmtsein, zu Freundschaft, Erfolg und den Auswirkungen eines Betruges, die fast ein ganzes Leben lang gedauert haben. Bedanken möchte ich mich auch bei Heinz Schubert, der keine Mühe scheute, mich mit Informationen aus »ganz alten Zeiten« zu versorgen.
Strangers In The Night ist die Spitze des Eisbergs. Doch wir wollen tiefer tauchen, hinein ins Wasser der Zeit, um einen Teil des Fundaments zu entdecken. Werfen wir etwas Licht dagegen! Kaempferts Ruhm sei ihm unbenommen. Er hat ihn sich auf seine Weise verdient. Diese Geschichte ist längst geschrieben. Und Rehbein war für sich selbst verantwortlich.
Boettcher stellt in seiner Kaempfert-Biografie am Anfang folgende Frage: »Wie kam es aber dazu, dass der damals dem Namen nach unbekannte Produzent und Bandleader aus seiner Anonymität herausgehoben wurde und sich in den Vereinigten Staaten gegen die Konkurrenz weltbekannter Orchester behaupten konnte? Wer war dieser zurückhaltende Mann, dessen zahlreiche Evergreens bis heute unvergessen sind? Was ist dran an den jahrelangen Gerüchten, Strangers In The Night hätte ein anderer komponiert? Warum starb Bert Kaempfert im Alter von erst 56 Jahren? Vielleicht kann diese Biografie etwas Licht in das Dunkel bringen.«
Dies ist nun Rehbeins Geschichte.
Das Haus steht an einem Hang. Ich gehe darauf zu. Links sehe ich das villenartige Gebäude eines Nobelrestaurants, dessen Fenster beleuchtet sind. Die Garage, die zu dem Haus gehört, ist verschlossen. Nacht. Hinter mir fährt eine Straßenbahn vorbei. Ich erreiche den Briefkasten. Er ist mit H. R. angeschrieben. Eine Steintreppe führt zur Haustür.
Ich bleibe einen Moment lang stehen. Kein Mensch ist zu sehen. Meine Hand berührt die Haustür. Sie ist unverschlossen, geht auf. Im Flur brennt Licht. Ich biege links ab, komme am Fuß einer Holztreppe vorbei, betrete ein Zimmer, in dem hellblaue Polstermöbel stehen. Farbige Bilder an den Wänden. Direkt vor mir führt eine Glastür nach draußen, wo die Dunkelheit der Nacht wie eine schwarze Fläche ruht.
Ich wende mich ab und steige die Treppe hoch. Bad, Zimmer, Schlafzimmer, ein kleines Zimmer, und wieder Treppe, einen Stock höher.
Der Raum direkt unter dem Dach ist lang. Ich trete ein. Rechts, direkt an der Wand neben der Tür, steht ein Klavier. Auf dem Boden liegen Notenblätter. Auf einem Tisch steht ein Spulen-Tonbandgerät. Das erhöhte Fenster reflektiert das Licht der Deckenlampe. Hinter den Scheiben liegen die Dächer der Stadt. Wie sehr hatte er diesen Ausblick gemocht!
Die Stille hier drinnen ist unerträglich. Ich strecke die Hand aus, will den Klavierdeckel anheben, lasse es bleiben.
Langsam steige ich die Treppe hinunter. Die Tür des kleinen Zimmers steht offen. Näharbeiten liegen herum. An der einen Wand hängen Fotografien, alle mit Widmungen versehen, meist schwarze, geschwungene Schriften, die teilweise übers halbe Bild hinwegfliegen.
Plötzlich ertönt eine gesungene Melodie. Laut bricht es durch die Wände, rollt wie Wind die Treppe hoch, fließt von oben die Treppe herab, strömt durch offen stehende und geschlossene Türen.
Strangers in the night exchanging glances, wond’ring in the night what were the chances, we’d be sharing love before the night was through.
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