Saraid stand jetzt ganz nah vor ihm. „Willst du mir sagen, dass dir die Hochzeit deiner Tochter wichtiger ist als die Abgaben für deinen Fürsten, der dir dieses Leben ermöglicht?“
Schweiß perlte an Murwayns Schläfen herab. „Nein, natürlich nicht.“
Die Gäste verfolgten das Gespräch atemlos. Niemand regte sich.
„Was ist nun, Murwayn?“ Saraids Stimme hatte einen drohenden Unterton angenommen.
„Vater, gib ihm doch das Geld.“ Moiras Stimme verriet ihr Unverständnis und ihre Unwissenheit.
Murwayn zögerte. „Ich kann es ihm nicht geben, mein Kind. Ich habe es nicht.“ Seine Stimme war nur noch ein Hauch. Moira erbleichte und starrte ihren Vater ungläubig an. Unter den Gästen gab es ein kurzes Raunen.
Saraid lächelte zufrieden. „Du hast es nicht?“
Der Gwyldhändler presste die Lippen aufeinander und schüttelte den Kopf.
„Du wirst verstehen, dass ich nicht mit leeren Händen zurückkehren kann.“ Saraid drehte sich zu seinen Männern um. „Ergreift die Braut.“ Zwei der Männer stürzten auf Moira zu. Der eine schlug sie zu Boden, warf sie sich über die Schulter und verschwand in der Dunkelheit, während der andere den aufgebrachten Bräutigam mit Fausthieben bewusstlos schlug.
„Nein!“, schrie Murwayn und war im Begriff, hinter den Entführern her zu laufen, doch Saraid hielt ihn zurück.
„Bring uns das Geld und es wird ihr nichts geschehen“, zischte er und stieß Murwayn zu Boden. Keiner der Gäste rührte sich. Saraid verneigte sich und verließ unter den entsetzten Blicken der Hochzeitsgesellschaft den Garten.
Einige Männer sprangen auf, brachten den Bräutigam ins Wohnzimmer und legten ihn auf eines der Sofas, während andere Murwayn aufhalfen, der keuchend nach Fassung rang. Die Gäste redeten und gestikulierten nun wild durcheinander, einige Frauen weinten.
„Warum hast du uns nichts von deinen Problemen erzählt?“, donnerte ein älterer Mann.
„Ich wollte euch damit nicht belasten, Vater“, erwiderte Murwayn und schaute beschämt zu Boden.
„Das hast du jetzt davon! Du weißt doch, dass Morfan Saraid schickt, wenn nicht pünktlich bezahlt wird, du hast es oft genug bei anderen mitbekommen. Wie konntest du Moira einer solchen Gefahr aussetzen? Was hast du mit deinem Geld gemacht?“
Murwayn schwankte und ließ sich auf einen Stuhl fallen. „Ich habe es in eine gute Sache investiert.“
Sein Vater schnaubte gereizt. „Du musst deine Schulden bezahlen.“
„Wie denn? Ich habe das Geld nicht!“ Tränen rannen über das Gesicht des Händlers.
Der Alte bedachte Murwayn mit einem wütenden Blick, schob das Geschirr auf einem der Tische beiseite und legte einen Beutel mit Gwyldmünzen auf die Tischplatte. Dann zückte er Papier und Feder und trug seinen Namen und den Betrag ein. „Der Nächste“, rief er und trat zurück.
Ein zustimmendes Raunen ging durch die Schar der Gäste und einer nach dem anderen legte einen Lederbeutel oder einzelne Münzen auf den Tisch, bis der notwendige Betrag erreicht war.
„Du musst sofort aufbrechen“, drängte der Alte. „Je mehr Zeit Moira in der Festung verbringt, desto größer wird das Leid sein, das ihr widerfährt.“
„Wir nehmen mein Schiff“, schlug ein Mann mit wettergegerbtem Gesicht vor.
Sie segelten los und erreichten den Hafen von Dùn Righ im Morgengrauen. Murwayn begab sich sofort zur Festung und überreichte Saraid die in einen Sack gefüllten Gwyldmünzen.
„Du hast das Geld also doch?“, fragte Saraid hämisch.
Murwayn sah beschämt zu Boden und schwieg.
Saraid grinste und hob den Arm. Zwei Männer betraten den Innenhof und schoben Moira vor sich her. Ihr Gesicht war geschwollen, ihr Hochzeitskleid zerrissen.
„Nimm deine Tochter und geh!“ Saraid drehte sich um und verschwand mit den Männern in einem der Festungstürme.
Moira fiel kraftlos auf die Knie. „Vater!“, wisperte sie.
Murwayn zog sie behutsam empor und sah in ihren Augen, dass sie Schreckliches erlebt hatte.
Als Jo aus ihrer Ohnmacht erwachte, lag sie auf dem Sofa im Wohnzimmer. Motz kniete davor und reichte ihr einen Schnaps.
„Ausnahmsweise“, sagte er ernst.
Manù saß im Sessel vor dem Kamin und starrte ins Feuer. Die Aufzeichnungen ihres Großvaters lagen auf ihren Knien. Langsam drehte sie sich zu Jo und musterte sie mit ihren dunklen Augen. „Was ist geschehen?“
Jo holte tief Luft und beschrieb die Bilder, die durch ihren Kopf gewirbelt waren, kalte Eindrücke eines fremden Landes. Manù hielt stirnrunzelnd das Kettchen hoch. Es bestand aus vielen kleinen grauen Metallkugeln, die auf ein Band gezogen waren. Sie ließ sie nachdenklich durch ihre Finger gleiten.
„Ich kenne dieses Material nicht.“ Sie reichte Motz die Kette, der sie nach einer eingehenden Betrachtung kopfschüttelnd an Luc weitergab.
„Seltsam“, murmelte Luc. „Es ist kalt wie Eis. Ich habe auch keine Ahnung, was das sein könnte. Vielleicht sagen die Aufzeichnungen etwas darüber.“ Er hielt Jo die Kette hin, die jedoch abwinkte. Sie verspürte kein Verlangen, sie zu berühren. Luc reichte sie an Manù zurück.
„Ich möchte die Gesprächsprotokolle zunächst alleine lesen, wenn ihr einverstanden seid“, flüsterte Manù und entnahm dem Manuskript einige Seiten.
Jo, Motz und Luc nickten und warteten schweigend, bis die Wahrsagerin die Hände in den Schoß sinken ließ.
„Und?“, fragte Motz.
Manù seufzte. „Es sind Aufzeichnungen von Gesprächen, die mein Großvater mit Mexx im Januar und Februar 1940 geführt hat. Sie enthalten Einzelheiten über die Tätigkeiten der Magier und Heilerinnen auf Mexx Heimatinsel Thuroth. Danach stellten die Magier ihr Können dem Wohl der Gemeinschaft zur Verfügung, wobei ihre wichtigste Aufgabe im Erhalt des Zaubers bestand, der die Inseln vor dem Versinken im Meer bewahrte. Reisen zu und von den Inseln waren mit einem Amulett und einem Reisespruch möglich, den mein Großvater hier niedergeschrieben hat.“ Manù hielt eine Seite hoch und las vor:
„Esculton, venath, co ven dun
Dennon for an venen vin
An men portar o Thuroth
Vin an sul ca tempo eteriel
Dùn Righ min meto, nin esiton
Men prennon an là men liberon.“
Jo stutzte. „Was ist das für eine Sprache?“
„Laut meinem Großvater ist es eine frühe Version der Alten Sprache der Magier“, erwiderte Manù und ein Lächeln überzog ihr Gesicht, das Jo nicht deuten konnte. „Es gibt auch eine Übersetzung des Spruchs:
Hört, ihr Winde, was ich euch sage,
Werdet stark und eilt herbei,
Um mich zurück nach Thuroth zu tragen,
Schnell und sicher wie seit ewiger Zeit.
Dùn Righ ist mein Ziel, so zögert nicht länger,
Ergreift mich nun und nur dort gebt mich frei.
Mein Großvater hat hier vermerkt, dass Mexx ihm bei einem seiner Besuche ein zierliches Kettchen aus Gwyld überreicht hat, einem Material, das auf Thuroth abgebaut wurde. Mádo hat das Amulett von Claude untersuchen lassen, der das Material jedoch nicht kannte. Das letzte Protokoll erwähnt, dass Mexx nach Thuroth zurückkehren wollte, da ihm unsere Zeit nicht bekam, und dass er meinen Großvater einlud, ihn zu begleiten. Das ist im Großen und Ganzen alles.“ Manù starrte auf die Seiten in ihrer Hand und schwieg.
„Was soll das heißen, ihm bekam unsere Zeit nicht ?“, fragte Jo und setzte sich auf.
Manù zuckte mit den Achseln. „Das weiß ich nicht.“
„Und was soll der Unsinn mit dem Reisespruch und dem Amulett?“ Motz Stimme klang gereizt. „Dein Großvater kann das doch nicht ernsthaft geglaubt haben.“
Manù schwieg.
„Wer war denn dieser Claude?“, fragte Luc.
„Der Ehemann der Schwester meines Großvaters“, erwiderte Manù. „Er war Chemiker an der Sorbonne.“
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