»Hi, Alain!«« begrüßte Yannick den Patron. »Du siehst so aufgeregt aus.«
»Hi, Yannick...! Dazu habe ich auch allen Grund!« Alain fuhr sich nervös mit der Hand durchs Haar. »Vor einer halben Stunde rief mich Yves an und teilte mir mit, daß er sich bei einem Sturz das Handgelenk verstaucht hätte und daher nicht spielen könne, weil es angeschwollen wäre und bei jeder Bewegung furchtbar schmerzen würde. So einfach mir nichts – dir nichts. Du kennst ihn doch! Wahrscheinlich war er wieder einmal besoffen. Jetzt sehe ich ganz alt aus, denn heute abend habe ich einen Yachtclub zu Gast, dessen Vorstand den Termin schon vor drei Monaten gebucht hat. Die feiern ihr 25jähriges Bestehen und wollen es natürlich krachen lassen mit allem, was so dazugehört. Und Musik gehört nun mal eben dazu! Ausgerechnet heute!« Alain blickte Yannick schräge von unten herauf an. »Dein geradezu umwerfender und in letzter Zeit bei uns sehr selten gewordener Anblick läßt jedoch in mir eine grandiose Idee aufkeimen: kannst du heute nicht für Yves einspringen? Mann, ich zahle dir das Doppelte von dem, was Yves bei solchen Gelegenheiten bekommt! Ich weiß, das ist nicht gerade fürstlich entlohnt, aber um der alten Freundschaft willen bitte ich dich inständig: rette mich und meinen Club!«
»Ich würde dir ja sehr gerne aus der Patsche helfen, Alain...« Yannick hob abwehrend die Hände. »Ich bin nur leider nicht mehr in Form. Einen ganzen Abend stehe ich stimmlich nicht mehr durch. Das Lotterleben, das ich im Moment führe, hat doch ganz schön seine Spuren hinterlassen. Darum nehme ich derzeit nur Engagements an, bei denen ich nicht mehr als drei Songs trällern muß, weil ab dem vierten nur noch heiße Luft kommt. Am liebsten aber habe ich die Jobs, bei denen ich mit Vollplayback arbeiten kann.«
»Das ist für mich ohne Bedeutung!« Alain versuchte mit einer Handbewegung Yannicks Bedenken zu zerstreuen. »Der Name Yannick Delaye hat in der Branche immer noch einen sehr guten Klang. Die Yachtclub-Schickeria wird mich dafür beglückwünschen, daß es mir gelungen ist, dich extra für sie zum Auftreten zu bewegen – da spielt es doch keine Rolle, ob du in Form bist oder nicht.«
»Über eines bist du dir hoffentlich im Klaren: mein guter Ruf kann sehr schnell den Bach runtergehen, wenn ich den Abend nicht ohne abzusacken über die Runden bringe. Das Publikum ist nicht so blöde, wie du immer glaubst. Es merkt einem ganz genau an, ob er gut drauf ist. Und wegen eines relativ kleinen Jobs lasse ich mich nur ungern zum Affen machen – damit ist uns beide nicht gedient. Ich wäre hinterher stocksauer und du ebenfalls, weil ich so schnell in deiner Bude nicht mehr auftreten würde. Darum mache ich dir einen Vorschlag: mein Freund Victor Laforêt bestreitet das Hauptprogramm und ich setze mit drei bis vier Songs das Sahnehäubchen drauf. Wie das bei einem Stargastauftritt halt so üblich ist. Und wir beide teilen uns die Gage.«
»Also, mir ist dein Freund kein Begriff.« Alain musterte Victor in abschätzender, fast aufreizender Manier. »Vielleicht ist das eine Bildungslücke, aber ich habe echt noch nie von ihm gehört, geschweige denn was gesehen. Na ja... Wenn du ihn mir empfiehlst, muß er wohl sehr gut sein...«
»Das weiß ich selbst noch nicht so genau – ich kenne ihn erst seit einer Stunde... Aber das werden wir gleich feststellen...« Yannick wandte sich Victor zu. »Hey, Victor! Dein Typ ist gefragt! Nimm dein Wimmerholz und laß es krachen, daß ihm die Augen überlaufen!«
»Bei allem Respekt vor dir, Yannick!« ereiferte sich Alain. »Deine Verarsche ist wohl nicht mehr zu überbieten! Da schleppst du mir einen halbverhungerten Penner ins Haus, von dem du nicht weißt, was mit ihm los ist und um das Faß zum Überlaufen zu bringen, verlangst du auch noch von mir, daß ich ihn hier im Club auftreten lasse! Wenn ich vorhätte, mein Abendprogramm mit solchen Typen zu bestreiten, müßte ich nicht weit gehen – die ganze Côte d'Azur ist voll von diesen Clochards!«
Während dieser Tirade hatte Victor schon seine Gitarre eingepackt, seinen Rucksack aufgenommen und schickte sich gerade an, den Club zu verlassen, als Yannick ihn am Arm festhielt: »Warte einen Moment! Ich komme mit dir! Ich muß nur noch schnell die Zeche bezahlen – von einem Arschloch lasse ich mir nur höchst ungern was schenken!« Yannick warf einen Hundertfrancschein auf die Theke in Alains Richtung. »Den Rest kannst du dir unter die Vorhaut schieben!«
»Sofern da überhaupt noch etwas Platz hat...!« ergänzte Victor, hämisch grinsend. Lachend und ohne sich nur einmal umzudrehen, verließen die beiden Club.
Die Stille, die im Restaurant zurückblieb, wurde nach einigen Sekunden von Gérard unterbrochen: »Ich arbeite jetzt schon seit mehr als zwölf Jahren für dich und du konntest dich bisher immer auf mich verlassen, aber selbst auf die Gefahr hin, daß du mich jetzt feuerst, muß ich dir ganz einfach sagen, daß von allen Idioten, die mir in meiner bisherigen Laufbahn untergekommen sind, du so ziemlich der Größte bist! Zuerst bittest du Yannick auf Knien, daß er dir hilft, und dann putzt du ihn runter wie einen Gassenjungen, den man beim Äpfelklauen erwischt hat! Und dem Clochard, dem Penner, wie du ihn in deiner grenzenlosen Arroganz nanntest, hast du nicht mal den Hauch einer Chance gegeben, zu zeigen, was er kann! Also, wenn ich an deiner Stelle wäre, würde ich jetzt ganz schnell meine Beine in die Hand nehmen und versuchen, die beiden noch zu erwischen, ehe sie fort sind, sonst kannst du den Abend endgültig vergessen – oder du holst dir dann als Notlösung wirkliche Penner ins Haus!«
Alain löste sich aus seiner Erstarrung und wieselte zur Tür. »Warum kann ich Trottel auch mein blödes Maul nicht halten!« jammerte er im Laufen. »Verfluchte Scheiße! Jetzt hab' ich alles total vermasselt!« Aber er hatte Glück. Die beiden waren noch in Sichtweite und er beeilte sich noch mehr, sie einzuholen.
»Wartet doch! Das könnt ihr doch nicht so einfach machen!« keuchte er, als er bei ihnen angelangt war.
»Wie du siehst... Wir können! Und wie wir können...!« höhnte Yannick, ohne den aufgeregt neben ihm herlaufenden Alain eines Blickes zu würdigen.
»Aber das Fest! Du hast mir versprochen zu singen!« stieß Alain schrill hervor.
Victor und Yannick blieben nun stehen. Yannick stach Alain mit ausgestrecktem Zeigefinger in die Brust. »Versprochen habe ich gar nichts! Ich habe dir nur einen Vorschlag gemacht, den du in dümmster Manier zurückgewiesen hast! Damit ist die Sache für mich erledigt – und du auch!«
»Ich war wohl etwas geschafft von dem ganzen Ärger, der mir heute untergekommen ist«, sagte Alain und breitete Entschuldigung heischend die Arme aus. »Glaube mir, es war nicht so gemeint!«
»Nicht bei mir«, Yannick deutete mit dem Daumen auf Victor, »sondern bei ihm solltest du dich entschuldigen! Ich habe ihn nämlich nicht dazu überredet, hierherzukommen, damit du ihn aufs Übelste beleidigst! Und außerdem, das laß dir gesagt sein, bringst du mich dadurch ziemlich bei ihm in Mißkredit!«
»Also gut«, preßte Alain mit unaufrichtig-betretener Miene hervor, »es tut mir leid! Wollen Sie hiermit meine Entschuldigung annehmen, Monsieur?«
»Sie ist bereits angenommen. Ich bin so etwas gewöhnt«, antwortete Victor ohne einer Spur von Triumph in der Stimme.
»Dann ist die Sache hiermit vergessen«, sagte Yannick. »Du kannst also mit uns rechnen. Aber nur zu den vorhergenannten Bedingungen.«
»Abgemacht!« Alain sah man die Erleichterung im Gesicht an. »Dann kommt doch bitte wieder zurück in den Club. Ich möchte nämlich schon mal hören, was dein Freund auf musikalischem Gebiet so bringt, Yannick.«
»Ich denke, wir können das Vorspielen ausfallen lassen.« Victor blickte Alain verschmitzt lächelnd, aber nichtsdestotrotz unerbittlich an. »Allein schon dadurch, daß Sie uns engagierten, haben Sie Ihr Gespür für musikalische Attraktionen hinreichend bewiesen. Sie brauchen also heute abend nichts anderes tun, als uns anzusagen – den Rest machen wir schon.«
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