Bei Deiner Beurteilung ist wichtig, dass wir nicht nach sportgestählten, durch das Militär ausgebildeten und disziplinierten Soldaten suchen, die auf Befehl im Krieg Hurra schreien und dann schießen, sondern nach Individualisten, die zwar ausschließlich in unserem Auftrag arbeiten, aber dann selbst entscheiden, wann, wo und womit sie andere Menschen töten. Wir suchen Mörder, die innerlich nicht an ihrem Tun zerbrechen; dazu müssen sie auch noch hoch intelligent, kreativ, gedanklich völlig autark und insbesondere in sich selbst ruhend sein.
Denn eines ist sicher, sie werden niemals einen Beichtvater oder eine Schulter zum Ausweinen finden können, wenn sie ihr Job doch einmal seelisch berühren sollte.
Noch eines, Sophie, die drei müssen Meister der Täuschung, der Verstellung sein! Berücksichtige dies bei Deinen Psychogramen, denn wir brauchen nicht nur drei Mörder, sondern auch drei sehr gute Schauspieler. Anderweitig werden die in ihrem normalen Umfeld, in dem sie sich bewegen, sehr bald auffliegen oder im Einsatz nicht lange überleben.
Auf den Punkt gebracht, Sophie, unsere Drei müssen nicht nur morden, sondern auch lügen und sich verstellen können, denn sie werden sich in zwei Welten bewegen. Die eine Welt, und in der werden sie aus Tarnungsgründen zu 98 % ihrer Zeit leben, ist ein ziviles Berufsleben; die andere Welt besteht aus den 2 %, welche durch uns hier angeordnet werden.
Ich nehme an, wir werden die Drei für ein von uns noch zu festzulegendes Berufsumfeld ausbilden lassen müssen. Dies muss so gestaltet sein, dass erstens die Geschäfte von Odin und seine Raben Hugin und Munin die Aufmerksamkeit der Terroristen oder ihrer Hintermänner bewirken und dann Gier auf eine Zusammenarbeit erregen.
Zweitens müssen Auslandsreisen der Drei als völlig normal erscheinen und dürfen keinen Argwohn erregen. Diese Reisen, wenn sie in unserem Auftrag stattfinden, müssen ja so erfolgen, dass niemals eine Spur der Reisewege, der Ziele und der drei Reisenden hinterlassen wird.
Ich habe mir überlegt, dass der erste Punkt mit Sicherheit durch berufliche Tätigkeiten der Drei in einem chemischen, biologischen oder nuklearem Umfeld abgedeckt sein würde.
Sowohl die Einschätzung unserer Mandarine als auch meine eigene geht in die Richtung, dass die Hintermänner in den Ländern des Islam zukünftig terroristische Anschläge mit viel mehr Toten als bisher verüben lassen wollen.
Denn auch diese Burschen werden festgestellt haben, dass ihre bisherigen Anschläge niemanden sonderlich beeindruckt haben. Und für mehr Eindruck bieten sich nur Einsätze von chemischen, biologischen und vor allen Dingen nuklearen Waffen an.
Der zweite Punkt, die Reisetätigkeit ohne Spurenhinterlassung, ist schon sehr viel schwieriger. Hier muss ich mir noch gründliche und schöpferische Gedanken dazu machen.“
Frau Dr. Sophie Redder hatte sich Stichpunkte zu den Ausführungen ihres Vorgesetzten gemacht und stellte dann zwei Fragen:
„Wie alt sollen die Mitglieder der Gruppe sein und wie lange, lieber Wolf, habe ich denn Zeit für meine Ausarbeitungen?“
„Ich glaube, das Alter sollte zwischen 24 und 26 Jahren angesiedelt sein. Keinesfalls älter, denn wenn alles gut geht, sollen die drei in unseren Diensten ja steinalt werden.
Denn körperliche Fitness oder permanente Jugend ist bei diesem Job nicht das Wichtigste, sondern Erfahrung; aber die sammelt sich nur in den Jahren. Ein James Bond sollte also nicht in Deinen Auswahlkriterien als Maßstab gelten.
Deine Zeit für die Ausarbeitung? Ich würde vorschlagen, wir treffen uns in genau einer Woche wieder für eine erste Zwischenbesprechung; bis dahin seid Ihr Beiden von allen anderen Aufgaben ab jetzt entbunden.
Dir, Sonnfried, wird es obliegen, alle Eventualitäten aufzuzeigen, welche die Aufdeckung dieser Gruppe im politischen oder medialen Umfeld innerhalb Deutschlands oder im Einsatz möglich machen könnten. Versuche es, wenn möglich mit Deinen statistischen Wahrscheinlichkeitsberechnungen so plausibel darzustellen, dass es auch Sophie und ich verstehen.
Ich werde diese Woche nutzen, die nicht ganz einfache Aufgabe zu lösen, wie wir ihren Transport ohne Spuren gestalten. Auch, wo und wie wir solches Menschenmaterial rekrutieren können.
Denn ein Inserat in den großen Tageszeitungen wie „Mörder gesucht“ wäre meiner Ansicht nach zwar ehrlich, aber nicht zielführend.“
Der Einzige, der über diesen Spruch erheitert war, war Dr. Wolfgang Billardier selbst.
Kapitel 12
Samstag, 14. März 1998
Hardthöhe, Bonn
Es gab in all den Jahren bis heute nur einen einzigen Mitarbeiter, der die Dienstvorschriften der Abteilung C12-12 des Deutschen Verteidigungsministeriums einmal nicht einhielt.
Dies war fast 21 Jahre nach der Geburt von „Odin“ an einem Samstagnachmittag um 17:21 h, als der Nuklearphysiker Dr. Klaus Rastatt eine Akte aus dem für ihn nicht autorisierten Sicherheitsbereich seiner Abteilung entwendete und wie er bei seiner späteren Vernehmung aussagte „lediglich zur Einarbeitung in die Komplexität unserer Abteilung mit nach Hause nehmen wollte.“
Es war die Abteilung C12-12 unter dem derzeitigen Abteilungsleiters Dr. Friedrich Sinn; sein Vorgänger und ursprünglicher Schöpfer der Gruppe Odin aus dem Jahre 1977 war 1989 in Pension gegangen.
Es war eine Akte mit der Sicherheitsstufe S 7, „Nationale Sicherheit“, der höchsten Stufe, die es in der Sicherheitsklassifikation der Bundesrepublik Deutschland gab. Es war die Akte Odin.
Diese Entwendung löste zur gleichen Sekunde, wie Dr. Rastatt sie aus dem Schubfach nahm, einen Alarm aus, welcher auf einem der zwei Hauptbildschirme in der Sicherheitszentrale des Verteidigungsministeriums angezeigt wurde.
Denn, was außer den jeweiligen Abteilungsdirektoren, niemand wusste: Alle Akten, welche ab der Sicherheitsstufe S 5 „Streng geheim“ eingestuft waren, lagen in ihren Stahlfächern auf einem winzigen, nicht sichtbaren Federkontakt. Um eine solche Akte ohne eine Alarmauslösung aus dem Fach herausnehmen zu können, musste eine monatlich wechselnde, 8-stellige Buchstaben- und Ziffernkombination an die Sicherheitszentrale vom jeweiligen Abteilungsdirektor telefonisch gemeldet werden. Diese schickte dann sofort zwei Feldjäger, welche diesen Abteilungsleiter persönlichen identifizieren mussten.
Erst wenn die Sicherheitszentrale die Bestätigung dieser Feldjäger erhalten hatte, dass es sich bei der Person tatsächlich um den Abteilungsleiter handelte, welcher berechtigt war, eine Akte zu entnehmen, wurde der Federkontakt durch den wachhabenden Offizier in der Zentrale unscharf geschaltet.
Da all dies aber nicht geschehen war, kam es zu dem Alarm und die diesbezügliche Meldung an die Überwachungszentrale enthielt binnen Bruchteilen einer Sekunde computergestützt alle wichtigen Daten: Gebäude- und Etagen-Nummer, welche Abteilung, ebenso den Namen sowie die dem zuständigen Abteilungsleiter zugewiese Notfall-Telefonnummer und sogar die Nummer des Faches, welches den Alarm auslöste.
Auch war ein durch eine versteckte Miniaturkamera aufgenommenes Bild (intern PID, Personenident genannt) der Person zu sehen, welche sich an den Stahlfächern zu schaffen machte.
Zusätzlich war in roten Ziffern die Telefonnummer des diensthabenden Offiziers des militärischen Abschirmdienstes (MAD) auf dem Bildschirm zu sehen.
Diesen rief der an diesem Nachmittag in der Sicherheitszentrale des Ministeriums zuständige Offizier, ein Hauptmann, sofort an und schilderte den Sachverhalt.
Die ihm dann erteilten Anweisungen des diensthabenden Offiziers des MAD, eines Majors, wunderten ihn kein bisschen, denn sie entsprachen genau den Vorgaben des Diensthandbuches bei so einem Ereignis:
„Hauptmann, drucken Sie das PID sofort aus und schicken Sie unverzüglich sechs Feldjäger Ihrer Wachkompanie mit diesem PID los; diese werden das verdächtige Subjekt sofort verhaften und es samt der entwendeten Akte unverzüglich zu uns bringen.
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