„Geleit entdeckt“ meldete Grammel per Funk an die Heimatbasis und gab die Koordinaten durch „erkennen zirka 30 Frachtschiffe. Nahsicherung besteht aus ungefähr 15 Fahrzeugen, Zerstörer und Korvetten ausgemacht. Kurs Ostnordost. Geschwindigkeit geschätzt 7 Seemeilen.“
Die FW 189 stieg weiter, verschwand in den Wolken und drehte mit einer eleganten Kurve auf Heimatkurs ein.
„Mein lieber Scholli“ sagte der Kommandant, als er den Funkspruch gelesen hatte „da ist ja was angesagt. So ein großes Geleit haben die noch nie zusammengestellt. Sagen wir mal, so ein Dampfer hat im Durchschnitt 6.000 Tonnen, dann sind das insgesamt 180.000. Da kann man eine Menge an Panzern, Waffen und Munition zu den Russen transportieren. Deswegen ist der Pulk auch so stark geschützt. An die Kolcher ranzukommen wird schon ein schweres Stück werden aber wir werden es schaffen. Allerdings nehme ich mal an, dass nicht nur die Boote auf den Konvoi angesetzt werden, sondern auch Überwasserstreitkräfte und Flugzeuge. Na gut, wir werden sehen. Noch stehen wir weit ab und müssen erst mal rankommen. LI, alles in Ordnung mit der Maschine?“
„Ja, Herr Kaleun.“
„Gut. Wir laufen weiter große Fahrt und müssten ja in drei Tagen aufgeschlossen haben. Obersteuermann, kommt das so hin?“
„Ja, Herr Kaleun. Das Geleit wird ständig von Aufklärern der Luftwaffe begleitet und wir haben genaue Standortmeldungen. Außerdem haben die gar keine andere Wahl als nach Murmansk oder anderen russische Häfen zu laufen. Natürlich könnten die Schiffe jetzt auf Nordkurs bis zur Packeisgrenze gehen und dann in möglichst großer Entfernung von unseren Luftwaffenbasen so weit ablaufen, bis sie dann wieder auf Südkurs an die russische Küste eindrehen. Das würde ihnen unsere Flugzeuge vom Leib halten, unsere Boote aber nicht. Ich wette einen Besen darauf, dass die Dampfer versuchen werden, Nowaja Semlja zu erreichen.“
„Das sehe ich auch so. Das heißt also, mit Höchstfahrt auf Ostkurs gehen.“
„Genau.“
Martin Haberkorn saß mit dem Kommandanten und dem II WO in der O-Messe. Die Männer tranken Kaffee. Es war nicht sonderlich warm, da das Boot zur Sicherheit mit offenem Turmluk gefahren wurde und die kalte Luft so in das Innere strömte.
„Tja, alles Gute ist nie beisammen“ meinte der Kommandant „entweder wir sitzen im Mief, frieren uns die Knochen krumm oder schwitzen wie die Affen. Da könnte doch mal einer was erfinden, nicht wahr, LI?“
„Sicher, Herr Kaleun. Man bräuchte einen Apparat, der sowohl wärmt als auch kühlt. Das mit der Wärme dürfte relativ einfach zu bewerkstelligen sein. Ich könnte mir vorstellen, die Abwärme der Diesel über ein Rohrleitungssystem in die anderen Räume zu bringen. Das würde aber nur funktionieren, wenn die Maschinen laufen. Aber man könnte eine kleine Hilfsmaschine konstruieren, die auf irgendeinem Weg Wasser zum Verdampfen bringt. Wie man Kälte erzeugen kann weiß ich prinzipiell schon, schließlich gibt es ja seit einigen Jahren schon Kühlschränke. Carl von Linde hat wesentlich dazu beigetragen, diese Maschinen fertigungstauglich zu machen. Und in Scharfenstein in Sachsen gibt es eine größere Fabrik dafür. Natürlich ist die Kühlung auf den Innenraum des Schrankes begrenzt, sie für Zimmer oder Räume zu nutzen ist sicher sehr aufwendig und teuer. Wir werden also noch eine Weile weiter frieren und schwitzen müssen.“
„Na ja, so ist eben unser Los“ scherzte der II WO „aber immerhin sitzen wir ja im Trockenen, werden durch die Gegend gefahren und müssen nicht durch den Dreck kriechen. Dazu regelmäßige Verpflegung und ein feines Bettchen. Geregelte Dienstzeiten. Musikalische Unterhaltung. Klo ist gleich um die Ecke. Ich frage mich öfter mal, wie die Herren der Luftwaffe das regeln, wenn die jetzt auf das Geleit losgehen. Wenn’s einem von denen mal ankommt, kann der doch nicht einfach die Tür aufmachen, seinen Hintern raushalten und abdrücken.“
Haberkorn musste lachen, auch der Kommandant grinste belustigt.
„Na die werden, bevor sie in ihre Mühlen einsteigen, alle schön gewindelt, dann dürfte das doch kein Problem sein“ schlug der Kommandant vor „deswegen sehen die in ihren Fliegerkombis immer so aufgedunsen aus. Ist ja angeblich wegen der Kälte in der Höhe, aber jetzt kennen wir den wahren Grund. Was meinen Sie, LI?“
„Sie haben sicher Recht, Herr Kaleun“ erwiderte Haberkorn feixend „eine andere Möglichkeit gibt es doch eigentlich gar nicht.“
Die Männer alberten noch eine Weile herum. Als der II WO sich zum Wachwechsel abmeldete verschwand der Kommandant in seinem Schapp, und auch Haberkorn kroch in seine Koje, er wollte auf Vorrat schlafen. Die Tage des Anmarschs würden vermutlich keine Überraschungen bringen, aber wenn sie am Geleit stehen würden wäre es sicher mit der Ruhe vorbei.
Günther Weber, 2. Juli 1942, Mostowaja, Russland
Dass die Zeiten der Großoffensiven momentan vorbei waren und es sich gegenwärtig um taktische Vorstöße handelte zeigte sich im Tagesbefehl der Division. Zusammen mit einem Panzerbataillon, zwei Infanteriedivisionen der Wehrmacht sowie Teilen eines Pionierbataillons sollten die SS-Männer einige Dörfer im südlichen Frontabschnitt einnehmen. Knapp 2.000 Soldaten und drei Panzerkompanien mit jeweils 12 Fahrzeugen standen für den Vorstoß zur Verfügung. Die Einheiten hatten sich entfaltet und rückten am Vormittag langsam auf das erste Ziel vor. Das Dorf lag in einem kleinen Tal und die deutschen Soldaten bewegten sich hangabwärts darauf zu. Der Aufklärung nach lagen dort keine russischen Truppen und allem Anschein nach waren auch die Bewohner geflohen. An der Spitze der Deutschen rollten die Panzer und einen Kilometer vor dem Ort hielten diese und die Kommandanten beobachteten durch die Ferngläser. Dann ruckten die Fahrzeuge wieder an, ein Teil hielt direkt auf das Dorf zu, die anderen Panzer drehten nach rechts und links ein, um am Ort vorbeistoßen können. Die Panzermänner hatten die Luken geschlossen, sie rechneten also mit einem Hinterhalt. Das war nicht der Fall, das Dorf war verlassen. Die Schützenpanzer der SS-Kompanien hatten sich am Eingang zu dem Ort gesammelt, aber hielten große Abstände ein. Jederzeit konnten russische Schlachtflugzeuge auftauchen und obwohl die Russen den Typ nicht effektiv einsetzten und die Piloten unerfahren waren, hatten diese Maschinen doch schon einen gewissen Nimbus erhalten, da sie extrem gepanzert und damit eigentlich nur schwer abzuschießen waren. Die Männer in den Cockpits der Flugzeuge waren aber fast durch die Bank weg Anfänger und in taktischen Dingen gänzlich unbedarft, so dass die deutschen Jäger noch leicht mit ihnen fertig wurden.
Nahe ihrem Schützenpanzerwagen standen wie zwei Zwillinge aneinander gelehnt ein abgeschossener russischer und ein deutscher Panzer, ein BT 7 und ein Panzer III. Weber ging dorthin, um sich die Fahrzeuge näher anzusehen. Beide mussten im vorigen Jahr beim deutschen Vormarsch vernichtet worden sein. Der BT 7 war deutlich kleiner als der Panzer III und hatte eine ganz andere Formgebung. Das Laufwerk des russischen Panzers bestand aus großen Rollen, die bis zur Wanne hochreichten, der Panzer III hatte kleine Laufrollen und drei Stützrollen für die Ketten. Auch die Fronten waren vollkommen unterschiedlich gestaltet. Der BT 7 zeigte eine wie ein Dreieck geformte Front, der deutsche Panzer einen auf dem Wannenbug aufgesetzten kastenförmigen Aufbau. Weber suchte nach Anzeichen für die Vernichtung. Beide Fahrzeuge wiesen Durchschüsse auf und waren anschließend ausgebrannt. Aus der Fahrerluke des russischen Panzers hing die bereits skelettierte Leiche eines Soldaten, der Schädel war abgefallen und lag vor der Front des Fahrzeuges. Obwohl er als Infanterist in Gefecht ja vollkommen ungeschützt war, würde Weber nie mit einem der Panzersoldaten tauschen wollen. Eingesperrt in so einen Stahlkasten mussten die Männer stets mit der Gefahr leben, aus dem Panzer nicht mehr herauszukommen, wenn er getroffen worden wäre. Die Luken der ersten Fahrzeuge der Ausführung F 2 – jetzt als G bezeichnet – klemmten öfter und Weber hatte sich gewundert, dass die Panzermänner manchmal mit offenen Luken ins Gefecht fuhren. Er selbst konnte auch jederzeit von einer Kugel getroffen oder von Granatsplittern verwundet oder getötet werden, aber in einem Panzer bei lebendigem Leib zu verbrennen war für ihn ein grauenvoller Gedanke.
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