Brockmann reichte Krüger die Abschrift.
„Hennings und der Chef von SEDDAGRO in Mexiko wurden tatsächlich wegen illegaler Freisetzung von gentechnisch veränderten Pflanzen angeklagt?“, fragte Krüger nach.
„Offensichtlich konnte man die Beschuldigungen aber nicht aufrechterhalten“, fuhr Brockmann fort, „weil die Labors abgebrannt sind und alle Beweismittel vernichtet wurden!“
„Ja, ich weiß“, sagte Krüger.
Brockmann schaute Krüger verdutzt an.
„Ich bin durch eine Recherche auf die Zeitungsmeldung aus Mexiko gestoßen“, sagte Krüger, „in der über den Brand in den SEEDAGRO-Labors von Oaxaca berichtet wurde. Der Brand passierte im selben Monat, in dem der Haftbefehl ausgestellt worden war. Und daraus habe ich natürlich entsprechende Schlussfolgerungen gezogen.“
„Aufgrund dieser Erkenntnisse haben wir den Druck auf SEEDAGRO verstärkt, aber die Antwort war stupide immer wieder dieselbe: Man habe sich nichts zuschulden kommen lassen und es habe zu keinem Zeitpunkt illegale Freisetzungen gentechnisch veränderter Pflanzen gegeben, darüber hinaus hätten sich der Haftbefehl und die Verdächtigungen als haltlos erwiesen, woraufhin der Haftbefehl wieder aufgehoben worden sei. Die Juristen von SEEDAGRO drohten sogar mit Verleumdungsklage. Die Manager, die ich damals befragte, sind noch heute in ihren leitenden Positionen. Schließlich schloss ich die Akte Hennings, gab sie in die Registratur, und der Fall ging als Bergunfall mit Todesfolge in die eidgenössische Statistik ein.“
„Wie heißen die befragten Manager und was ist ihre Funktion?“, wollte Krüger wissen.
„Jacques Durrance ist der Leiter der Forschung in Lausanne. Und Marco Helfiger ist der Forschungsvorstand. Die beiden stecken unter einer Decke und verbergen etwas, da fresse ich einen Besen.“
„Hennings Arbeitsplatz durften Sie nicht inspizieren?“, fragte Krüger.
„SEEDAGRO hätte das solange verhindert, bis sie alles, was wichtig war, beiseitegeschafft hätten. Außerdem hatte ich keine Rechtfertigung für einen Durchsuchungsbefehl, kein Richter hätte mich da unterstützt.“
„Dann wird wohl eine Reise nach Mexiko unumgänglich sein, um den Vorwürfen an SEEDAGRO vor Ort auf den Grund zu gehen. Wenn Sie mir den Kontakt des dortigen Staatsanwaltes geben, kann ich Sie gerne in die Ergebnisse der Recherche einbeziehen.“
„Dafür wäre ich Ihnen sehr dankbar. Ich glaube, Sie haben da mehr Möglichkeiten und Freiheitsgrade als ich. Da die Akte Terry Hennings geschlossen ist, wäre auch für mich eine Wiedereröffnung der Ermittlungen nicht einfach. Ich gebe Ihnen den Kontakt des Staatsanwaltes heute Abend.“
Brockmann ging zu seinem Schreibtisch und holte eine kleine Blechschachtel heraus.
„Darf ich einen Zigarillo rauchen?“
„Aber bitte, das ist schließlich Ihr Büro.“
„Trotzdem frage ich lieber vorher.“
Brockmann zündete sich den Zigarillo an und setzte sich wieder an den Besprechungstisch.
„Ich habe da noch eine Sache, in der ich Sie um strengste Vertraulichkeit bitte.“
„Selbstverständlich.“
„Gut. Wir überwachen die russische Botschaft und auch wichtige Plätze der Stadt mit Kameras. Das ist an sich nichts Bedeutsames. Aber offiziell tun wir so was natürlich nicht. Jedenfalls haben wir im Juni 2013 routinemäßig registriert, dass die Botschaftsangestellte Olga Gromskaja die Botschaft verließ. Sie fuhr später mit dem Tram zum Bahnhof. Auf dem Bubenbergplatz gibt es einen Eisstand vor einem Kaufhaus. Dort kaufte sie ein Eis und wurde von einem Mann angesprochen. Innerhalb von Sekunden übergab er ihr einen Umschlag, den sie blitzschnell in ihre Jackentasche steckte. Dieser Mann war Terry Hennings. Wir haben für diesen Zeitraum keine Mietwagenmeldung gefunden, also hat er wahrscheinlich von Genf nach Bern den Zug benutzt. Wir wissen nicht, was in diesem Umschlag war. Botschaftsangehörige anderer Länder wegen so einer Sache offiziell zu belästigen, würde niemals genehmigt. Ich dachte, ob Sie vielleicht Interesse haben, mit der Dame einmal zu reden. Wir können uns ja eine Geschichte einfallen lassen, und ich mache Sie vertraut damit, wo die Dame wohnt und welche Gewohnheiten sie hat.“
Krüger überlegte erstaunt.
„Gut. Da Sie verhindert sind, kann ich mir vorstellen, diesen Job zu übernehmen.“
„Das freut mich, mein siebter Sinn sagt mir, dass wir auf eine neue Spur kommen.“
„Was könnte das für eine Story sein, mit der ich die Dame bitte, mir etwas zu verraten?“
„Sie sind einfach ein guter Freund von Hennings, und er hat Ihnen noch wenige Tage vor seinem Tod mitgeteilt, dass er sich mit Ihnen kurzfristig treffen möchte. Sie wollen unbedingt seinen Tod aufklären, weil sich sonst niemand darum kümmert. Sie fahren die Edle-Ritter-Tour. Frau Gromskaja hat schon zweimal versucht, ihre Tochter in der Schweizer Schule anzumelden, angeblich spricht das Kind perfekt Deutsch. Immer wurde das aus prinzipiellen Gründen abgelehnt. Da könnten wir eventuell erneut darüber nachdenken.“
„Das ist mir zu vage. Können Sie wirklich den Schuleintritt regeln?“
„Nein, das können wir nicht anordnen, aber wir können dafür sorgen, dass das Mädchen einen fairen Aufnahmetest bekommt.“
„Das klingt doch schon besser“, sagte Krüger. „Sie können den Test bereits fest buchen: Ich bin überzeugt, dass Olga Gromskaja darauf anspringt.“
Es klopfte an der Tür. Dieselbe Frau, die Krüger am Empfang abgeholt hatte, steckte den Kopf hinein.
„Ober bittet um Unter“, sagte sie bedeutungsvoll und schloss wieder die Tür.
Brockmann lächelte.
„Sie entschuldigen, auch ich habe einen Chef, der mich dringend sehen will. Da ich nicht weiß, wie lange es dauert, schlage ich vor, dass ich Sie um achtzehn Uhr im Hotel abhole.“
19. Thun (Schweiz); Mai 2016
Kaum war Krüger zurück im Hotel, da klingelte sein Mobiltelefon. Die Nummer auf dem Display sagte ihm nichts.
„Hallo, hier ist Hanna Losch!“, sagte die Stimme, die er nach kurzem Zögern wiedererkannte.
„Hanna! Hallo, wie geht’s?“
„Prima. Ich wollte dich nicht stören, sondern nur kurz ausrichten, dass mein Chef meinen Artikel von der Pressekonferenz super fand. Er meinte, ich sei ja eine Expertin und hat mir glatt einen neuen Auftrag gegeben. Und weißt Du was? Jetzt soll ich einen großen Report über die ganze Branche schreiben.“
„Hanna, das ist toll. Allerdings findest du in den Bibliotheken sehr wenig zu dieser Branche. Wie willst du vorgehen?“
„Wo bist du eigentlich gerade?“
„Zufällig in der Schweiz, genauer gesagt in Bern.“
„Das ist ja großartig! Ich dachte, ich fange mit einem Interview bei SEEDAGRO an, da das mit dem Kauf noch aktuell ist, und nehme das als Aufhänger.“
„Hast du denn schon um ein Interview angefragt? Eventuell musst du vorher alle Fragen schon zuschicken.“
Hanna Losch zögerte.
„Nein, das habe ich noch nicht. Ich dachte, ich fahre morgen früh los und stürme bei denen mit der Tür ins Haus.“
„Versuch es, aber ich bin pessimistisch.“
„Wenn du gerade in der Schweiz bist, hättest du eventuell …?“
„Oh nein, Hanna! Ich bin noch sehr eingespannt mit meiner eigenen Arbeit. Es tut mir leid, aber da kann ich dir nicht helfen.“
„Das meinte ich gar nicht. Ich dachte spontan, wir könnten uns irgendwo treffen, wenn du zufällig auch in der Schweiz bist.“
Was sollte er machen? fragte er sich. Widerstand war zwecklos.
„Sicher … das ist möglich“, antwortete er zögernd. „Wenn du morgen auf der Durchfahrt bist, melde dich einfach. Ich freue mich.“
„Ich mich auch. Ciao, bis Morgen!“
Da habe ich den Salat, dachte er. Auf keinen Fall durfte er sich in dieser Phase eine Last ans Bein hängen. Auf der anderen Seite fühlte er, wie sehr er sich auf ein Wiedersehen freute. Ihre leuchtend grünen Augen gingen ihm einfach nicht aus dem Sinn.
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