„Heute Mittag um halb eins bei Musso and Frank. Der Mann hat zumindest Stil.“
„Hoffentlich lädt er Dich ein. Obwohl... ich habe mit Catherine eine relativ großzügige Spesenregelung vereinbart.“
„Gut. Die Lamb Chops dort sind nämlich ein Gedicht.“
„Treib es nicht zu bunt, Timmyboy! Versuch bitte, unter hundert Dollar zu bleiben.“
„Pro Nase?“
„Insgesamt.“
„Das wird nicht klappen.“
Tyler seufzte theatralisch.
„Heute Abend kocht ja Bob schon wieder für uns. Versuch doch einfach, Dich nicht zu überfressen.“
„Das Risiko ist gering. Du kennst mich.“
„Stimmt leider. Und bind Dir eine Krawatte um.“
„Die mit dem Ketchup-Fleck?“
Tyler verdrehte die Augen und griff in seine Schreitischschublade.
„Nimm die hier. Und iss bitte irgendwas, was nicht kleckert. Das Ding war teuer.“
„Lamb Chops kleckern nicht.“
***
Dr. Ackermann war ein netter Zahnarzt. Auch wenn er der Meinung war, dass sich wackelnde Zähne nicht einfach wieder festmachen ließen, sondern gezogen und durch baugleiche Implantate ersetzt werden müssten. Ich ergab mich in mein bitteres Schicksal.
Eine Stunde später waren die wankelmütigen Zähne draußen und ich war im vorübergehenden Besitz zweier selten schlecht aussehender Provisorien, die am Montag durch die finalen Beißer ersetzt werden würden. Ich sah wehmütig auf das schwenkbare Tischchen vor mir, auf dem meine Zähne lagen, die mich immerhin sechzig Jahre lang begleitet hatten. Momentan war ich wieder der Meinung, dass die beiden Ganoven ihren Tod absolut verdient hatten.
Ackermann war auch aus Deutschland, lebte aber seit mehr als dreißig Jahren in Venice. Sein Deutsch klang sehr amerikanisch und ich fragte mich, ob ich eines Tages auch so klingen würde. Bei mir war es bisher eher umgekehrt: mein Amerikanisch klang noch immer ein bisschen zu deutsch. Und jetzt gerade klang es ohnehin, als hätte ich den Mund voll Watte.
„Warten Sie“, sagte Ackermann und holte mit der Pinzette zwei Watteröllchen aus meinem Mund. „Besser?“
Ich nickte dankbar.
„Wir sehen uns am Montag um zehn.“
Ich verabschiedete mich, und er bat noch darum, dass ich am Montag gleich bar bezahlen möge. Er nannte eine Summe, für die ich mir weitaus Vergnüglicheres hätte leisten können, zum Beispiel ein langes Wochenende in Cancun. Mit allen Extras. Zu zweit. Inklusive Flug.
„Und bitte rauchen Sie die nächsten achtundvierzig Stunden nicht.“
Ich nickte brav und verließ die Folterkammer.
Draußen nahm ich meine halb gerauchte Robusto vom Gepäckträger und entzündete sie für den Rückweg.
***
O’Mara saß in seinem zivilen Ford Crown und sah Decker aus der Praxis kommen. Er sah, wie der sich auf sein altes Fahrrad schwang und wieder in Richtung seines Hauses radelte. Er ließ ihm einen großzügigen Vorsprung und folgte ihm.
Das Ganze ging ihm gehörig auf den Nerv. Er hatte gestern schon alle Informationen über Decker per Computer recherchiert, die sich da finden ließen. Und das war wenig. Und das Wenige war praktisch nutzlos.
OK, er war Deutscher, er lebte zeitweise in den USA, hatte aber bisher seine jeweilig genehmigte Aufenthaltsdauer nie überzogen. Er hatte keine polizeilichen Einträge, zahlte seine Strafzettel wegen Falschparkens pünktlich und schien ein braver Bürger zu sein. Das Haus gehörte ihm. Es lag so kreuzdämlich, dass O’Mara es nicht von seinem Auto aus beobachten konnte. Er würde heute Abend zu Fuß vor Ort sein müssen. Decker war sechzig – was O’Mara überraschte. Er hätte eher auf Anfang fünfzig getippt. Er schien nicht illegal zu arbeiten, zumindest war er gestern offenbar den ganzen Tag zuhause gewesen. Wenigstens seitdem O’Mara ein Auge auf ihn hatte. Kurz: er hatte keinen Schimmer, wie er Decker beikommen konnte. Es war zum Kotzen.
Und auch jetzt verschwand der samt Fahrrad hinter seinem Gartentor und ließ sich die nächsten zehn Minuten nicht mehr blicken. Dann hupte der Fahrer eines UPS-Lasters hinter O’Maras Ford. Es blieb ihm nichts anderes übrig als leise fluchend weiter zu fahren, bis er sich hundertfünfzig Meter entfernt in eine Ausfahrt quetschen konnte. Das hatte alles keinen Zweck.
Er würde sich ganzentschieden etwas einfallen lassen müssen. Und zwar bald.
***
Tim war ausnahmsweise überpünktlich. Benjamin Remington hatte, wie versprochen, einen Tisch bei Musso and Frank reserviert, und Tim vertrieb sich die Wartezeit mit einem Körbchen mit frischem Knoblauchbrot und einem Martini Cocktail.
Um zehn vor eins kam Remington. Er entschuldigte sich mit beiläufiger Selbstverständlichkeit, nicht so als sei es ihm wirklich unangenehm sondern so, als sei er es gewohnt, dass andere Menschen auf ihn warteten.
„Kein Problem, Mister Remington. Ich habe mir die Zeit damit vertrieben, den Martini zu testen.“
„Nennen Sie mich Ben.“
„Sehr gerne. Ich bin Tim.“
„Was kann ich für Sie tun, Tim? Oder gibt es schon Neuigkeiten über meinen Vater?“
„Leider nein. Dafür ist es noch zu früh. Das einzige, was wir bisher mit einiger Wahrscheinlichkeit annehmen dürfen, ist das er nicht in einem der großen Krankenhäuser ist, dass außerdem die Polizei keine nicht identifizierten Verbrechensopfer gemeldet hat und dass er – soweit sich das überhaupt feststellen lässt – nicht die USA verlassen hat, wenigstens nicht per Flugzeug .“
Der Ober reichte den beiden die Menu-Karte. Remington Junior nahm das Lamb Chop. Tom ergriff die Gelegenheit, sich dieser Wahl höflich anzuschließen. Der Ober nahm noch die Bestellung von zwei Club-Soda auf und verschwand.
„Ich glaube ohnehin nicht an sein Verschwinden“, murmelte Ben.
„Verzeihen Sie?“
„Ich glaube, er lebt nicht mehr. Sie hat ihn umbringen lassen.“
„Wer hat ihn umbringen lassen, Ben?“
„Meine Stiefmutter. Wussten Sie, dass sie ein Verhältnis mit dem Geschäftspartner meines Vaters hat?“
„Nein. Aber selbst wenn: wie kommen Sie darauf, dass sie Ihren Vater hätte töten wollen?“
„Geld. Und die Freiheit, mit Goodell zusammen zu sein.“
„Goodell ist der Partner Ihres Vaters?“
„Ja. Henry Goodell. Er ist seit vielen Jahren geschieden. Er ist jünger als mein Vater. Und er erbt automatisch die Firmenanteile, sodass ihm dann das Unternehmen alleine untersteht. Das Vermögen geht an meine Mutter, ein Teil natürlich auch an mich. Aber der geringere Teil.“
„Was dann wären...?“
„Ich weiß es nicht genau. Für mich blieben wahrscheinlich so um die zwei oder drei Millionen Dollar.“
„Was ja auch ein Motiv wäre.“
„Natürlich. Aber mir liegt nicht viel an Geld. Ich komme mit dem, was ich während meines Studiums von meinem Vater bekomme, hervorragend aus. Mehr als die fünftausend Dollar im Monat brauche ich nie, alle Kosten für Wohnung und Uni werden natürlich extra bezahlt.“
Tim schluckte. Was für ein schnöseliger kleiner Pisser.
„Nehmen wir mal an, Ihr Vater sei am Leben. Gibt es einen Ort, an dem Sie nach ihm suchen würden?“, fragte er.
„Wir haben eine kleine Ranch in Oregon, wo meine Stiefmutter oft einen Teil des Sommers verbringt. Mein Vater ist da auch oft gewesen, ebenso wie ich. Aber dort ist niemand. Ich habe schon mit unserem Verwalter telefoniert, der sich um die Ranch kümmert. Er ist extra rausgefahren. Das Haus ist leer.“
„Geben Sie mir bitte die Adresse und die Nummer des Verwalters. Vielleicht taucht er ja doch noch dort auf.“
Benjamin zog einen schweren Füllhalter aus der Innentasche seines Sakkos und notierte eine Adresse und eine Telefonnummer auf einen Zettel.
„Hier. Aber das ist sinnlos.“
Der Ober erschien mit zwei dampfenden Tellern. Die Lamb Chops sahen fantastisch aus. Während des Essens verstummte die Unterhaltung fast ganz. Die beiden sprachen über belanglose Details aus Oliver Remingtons Leben. Tim registrierte, dass Ben Remington dazu neigte, von seinem Vater in der Vergangenheitsform zu erzählen. Was immer das bedeuten mochte. Nachdem das Lämmlein verzehrt war, bestellte Ben noch zwei Espressi und bat um die Rechnung.
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