Oben angekommen öffnete er langsam die Tür, in der Hoffnung, seine Melanie würde schlafen.
Sie saß aufrecht auf dem Bett. Ihr schwarzes Haar klebte ihr in schweißnassen Strähnen im Gesicht, ihre etwas dunklere Haut hatte einen ungesunden blässlichen Ton angenommen. Als Sirian eintrat, sah sie auf und strich sich die klebrigen Strähnen aus dem Gesicht, ein schwaches, aber glückliches Lächeln umspielte ihre Lippen. Sie war hübsch, wäre da nicht die Krankheit gewesen, die sie auslaugte und schwächte.
„Sirian! Ich dachte schon du kommst gar nicht mehr!“, rief sie aus und legte das Buch beiseite, das sie in Händen hielt.
Das dachte ich auch, Schwesterherz; genau das selbe dachte ich auch …
Sirian fiel es schwer, ihr Lächeln zu erwidern, aber er schaffte es und setzte sich zu ihr auf das Bett.
„Ich würde dich doch nie im Stich lassen. Wie fühlst du dich?“
Seine Schwester legte den Kopf schief und dachte einen Moment über die Antwort nach. „Unverändert. Nur irgendwie ist mir etwas wärmer, deswegen bin ich aus der Decke raus, ich wäre fast gestorben vor Hitze!“
Sofort presste Sirian eine Hand an die Stirn seiner Schwester und seine Mundwinkel zuckten, seine Augen verengten sich einen Moment zu Schlitzen. Die Stirn seiner Schwester war glühend heiß. „Ist es so schlimm? Was ist los, Sirian?“, fragte sie leise, als sie seinen entsetzten Gesichtsausdruck sah und Sirian nahm langsam die Hand von ihrer Stirn.
Die Eversia holt zu ihrem letzten Schlag aus. Die brennende Haut, der blässliche Teint; es geht los.
„Es ist … Melanie, wäre es schlimm, wenn ich kurz etwas trinken gehe und wir nachher reden? Die letzten Tage waren verdammt anstrengend und ich brauche dringend eine kleine Pause.“
Melanie sah an ihm vorbei, hob langsam die Hand und fasste sich an die Stirn. Einen Moment lang herrschte vollkommene Stille; dann zuckte Melanie mit den Achseln und ließ die Hand wieder sinken.
„Ich fühle mich gut, seit ich wieder aus der Decke raus bin. Geh ruhig etwas trinken, aber komm danach bitte wieder, ja? Ich will nicht alleine sein.“
Sirian fühlte wie sich sein Magen zusammen zog, sich eine eisige Kälte in ihm ausbreitete. Auf einmal fühlte sich seine Kehle an, als wäre sie ausgetrocknet und er konnte kaum schlucken.
Ich muss es ihr sagen … unbedingt. Aber erst, wenn ich wieder komme. Erst muss ich etwas trinken gehen …
„Ich komme so schnell wie möglich wieder, Melanie. Versprochen“, Sirian rang sich ein Zwinkern ab, doch seine Schwester glaubte ihm sofort und lächelte warm.
„Danke, Sirian. Du bist der Einzige, auf den ich hier zählen kann. Ich bin so froh, dass du da bist.“
Melanie umarmte ihn erstaunlich fest und er klopfte ihr auf den Rücken, bettete sein Kinn auf ihrer Schulter und versuchte den Augenblick zu verdrängen, der ihn bei seiner Rückkehr erwartete.
Sirian stand vor dem Haus seiner Schwester, hatte die Hände in die Taschen seines Wamses gesteckt und atmete tief die stinkende Luft des Hafenviertels ein, doch in diesem Moment schien sie ihm nicht so unangenehm. Eine frische Brise schaffte es, sich einen Weg von den Docks durch die dunklen Gassen bis hin zu ihm durch zu bahnen und Sirian schloss genießerisch die Augen.
Das waren die einzigen schönen Momente in der Hafenstadt, die er hatte.
Während er sich auf den Weg zur Taverne 'zum stinkenden Fisch' machte, verdrängte er die bevorstehenden Ereignisse und versuchte sich zu beruhigen.
Die kalte Luft legte sich trocken auf seine Haut und er fühlte sich so ausgedörrt, wie noch nie zuvor, etwas schnürte ihm die Kehle zu.
Ich wusste schon immer, dass sie sterben würde. Ich hatte ein Leben lang, um mich darauf vorzubereiten und es ihr zu sagen, wenn sie stirbt.
Wieso fällt es mir jetzt so schwer? Erinnere dich an die ersten Jahre deiner Ausbildung! Distanziere dich!
Er erinnerte sich an die Lektionen, in denen ihnen eingepaukt wurde, jegliche Bindung zu ihrem alten Leben zu kappen, bevor sie dem Orden endgültig beitraten.
Alte Rechnungen sollten beglichen oder vergessen werden, aber nichts durfte dem Paladin mehr aus seiner Vergangenheit im Wege stehen.
Das schlammige Abwasser gluckste, warf stinkende Blasen und Sirian rümpfte angewidert die Nase. Wieso hatte sein Vater so früh aufgegeben? Er sah sich nun mit der selben Situation konfrontiert wie sein Vater damals, aber gab nicht auf!
Mit einem Schnauben bog er um die Ecke, die ihn zu der Taverne bringen würde und bereits aus der Ferne kam ihm der Geruch von schlechtem Alkohol und altem Fleisch entgegen.
Zu dieser Tageszeit dürfte noch niemand in der Taverne sein; die meisten Bewohner arbeiteten von früh morgens bis tief nachts auf den Docks, um wenigstens halbwegs über die Runden zu kommen.
Die Taverne war leicht zu erkennen; sie war das einzige Gebäude, das sich äußerlich wirklich deutlich von den anderen unterschied. Die anderen Bürgern mussten sich private Markierungen machen, um ihre Häuser und Wohnungen wiederzufinden, die Taverne jedoch würde niemand verfehlen. Ein paar alte Holzstufen führten zu der großen Tür, über der an einer rostigen Eisenstange ein Schild hing, das mit dem Namen der Taverne beschriftet war.
Die Fenster waren nicht so eintönig wie die anderen im Hafenviertel, sondern aus grünem Glas und das Licht, das durch sie fiel, tauchte die umliegenden Gassen und Hauswände in einen grünen, tanzenden Schein. Mit federnden Schritten schlenderte Sirian darauf zu, öffnete die Tür und trat ein. Eine Mauer aus warmer Luft schlug ihm entgegen und einen Moment war er etwas benommen. Draußen herrschte Schnee und Eis, doch in der Taverne brannten etliche Feuer an Fackeln und in zwei Kaminen und somit war es mehr als nur warm. Entgegen Sirians Erwartungen, oder vielleicht sogar Hoffnungen, war er nicht alleine in der Taverne, im Gegenteil, an vielen Tischen saßen Dockarbeiter, beugten sich über Würfelbretter, oder tranken Bier. Sirian hatte das Bier in der Taverne nur einmal probiert und seitdem den starken Verdacht, dass der Wirt es mit dem dreckigen Wasser aus den Docks panschte, denn genauso schmeckte es.
Sirian ging direkt zu dem Wirt und klopfte auf den Tisch, den der Wirt gerade putzte. Er war der Inbegriff der Hässlichkeit. Dick, pickelig und glatzköpfig bot er nicht gerade den Anblick, den man beim Trinken eines Biers haben wollte. Wahrscheinlich war es das, was die guten von den schlechten Tavernen unterschied. Der Wirt richtete sich auf, wischte die dreckigen Hände an einer Schürze ab, die vor Jahrtausenden einmal weiss gewesen sein musste, stemmte die Hände in die Hüften und schaute Sirian mit einem schiefen Lächeln an.
„Die Taverne ist nur was für Männer, Kleiner. Komm wieder, wenn du erwachsen bist!“
Einige der Männer lachten auf diese Bemerkung hin, aber Sirian ignorierte es.
„Ich will etwas zu trinken. Jetzt!“, erwiderte er mit beherrschter Stimme und stützte sich mit den Händen auf dem Tisch ab.
„Und nichts von diesem widerlichen Bier, das hier ausgeschenkt wird.“
Der Wirt warf ihm einen wütenden Blick zu, er wurde etwas blasser und die Pickel traten hässlich hervor.
„Wie du möchtest, Jungchen“, presste er zwischen zusammengepressten Zähnen hervor und deutete auf einen freien Stuhl.
„Setze dich und ich bringe dir was.“
Gehorsam ließ Sirian sich auf dem wackeligen Stuhl nieder und schaute sich um. Die wenigen Gäste beachteten ihn kaum, waren voll und ganz auf ihre Tätigkeiten konzentriert. Bis auf einen! Einer der Gäste saß in der hintersten Ecke der Taverne, starrte Sirian an und zog an einer Pfeife. Obwohl der Rauch der Pfeife im nächsten Moment ein wenig die Sicht nahm, konnte Sirian klar erkennen, wie sich die Lippen des Mannes zu einem lässigen Lächeln verzogen. Sirian schluckte und wandte den Blick ab, fixierte die dreckige Tischplatte.
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