Der Statthalter hatte vor einigen Jahren angefangen, alles Mögliche zu beschlagnahmen; ihm reichte der kleinste Grund, um jemanden vollkommen zu enteignen, bis auf das letzte Hemd.
Wieso er dies tat, das wusste niemand, aber seitdem er damit begonnen hatte, hütete sich jeder davor, dem Statthalter ein Dorn im Auge zu sein.
„Was ist mit dem Ring?“, fragte Luciana auf einmal und das Lächeln des Erzbichofs verblasste augenblicklich.
„Ring?“, hakte Ethgar gespielt misstrauisch nach und setzte eine ausgezeichnete Unschuldsmiene auf.
„Ich weiß nichts von einem Ring, bedaure. Die Ermittlungen laufen über General Aaron, ich erfahre davon erst etwas, wenn er mir einen Bericht zukommen lässt.“
„Luciana meinte den Ring, den Godric bei sich trug, als seine Leiche gefunden wurde, Eure Heiligkeit“, warf Aaron ein und er lächelte kalt.
„Wenn Ihr ihn nicht habt, so ist er verschwunden und ich fürchte, das wird eine Zeitverzögerung verursachen, die der Mörder nutzen könnte, um zu entkommen, … Eure Heiligkeit.“
Ethgar schwieg einen Augenblick lang und musterte Aaron und Luciana abschätzend.
Er lügt!, erkannte Luciana und spürte, wie sich in ihr Enttäuschung regte.
Sie hatte den Erzbischof immer für einen ehrbaren, ehrlichen Mann gehalten, der der Gerechtigkeit half, wo immer er konnte; dass er sich nun so offensichtlich und plump verstellte, war erbärmlich.
„Ihr dürft allerdings gerne meine Archive und die Bibliothek der Altstadt zu Rate ziehen“, platzte Ethgar plötzlich heraus und Aaron hob überrascht eine Braue.
„Das ist zu gütig, Eure Heiligkeit, zu gütig. Ich merke, wir haben schon zu viel von Eurer Zeit in Anspruch genommen und Ihr habt sicher dringendere Dinge zu erledigen. Ich verspreche Euch, den Mörder zeitig zu finden.“
Aaron erhob sich von seinem Stuhl und deutete eine Verneigung an, Luciana tat es ihm gleich.
Ich kann es nicht fassen, aber ich muss Aaron zustimmen … Ethgar benimmt sich mehr als verdächtig.
„Ihr dürft euch zurückziehen, General. Du auch, Luciana“, stimmte Ethgar endlich ein und erhob sich nun ebenfalls von seinem thronartigen Stuhl.
„Ich wünsche allerdings über jegliche Fortschritte in Kenntnis gesetzt zu werden, General. In diesen Mord sind mehr wichtige Leute involviert, als ihr ahnt.“
Als ob ich das nicht wüsste!, stieß Aaron in Gedanken aus und verließ von Luciana flankiert den Speisesaal. Draußen wartete der Diener, der sie mit einem hämischen Lächeln hinaus begleitete und mit einem kecken Lachen das Tor hinter ihnen zustieß.
Luciana sog die frische Mittagsluft in ihre Lungen, trat mit Aaron von dem Eingangstor weg und von dem Gelände der Residenz hinab.
Ich habe den Test bestimmt nicht bestanden, bangte sie und warf Aaron von der Seite einen misstrauischen Blick zu.
Der General wirkte immer noch genauso selbstsicher und gelassen wie zuvor, ließ sich nichts anmerken. Schweigend ließen sie die Residenz des Erzbischofs hinter sich und schlenderten durch die nun endlich vollkommen erwachte Altstadt. Studenten und Boten hechteten über die Straßen, wichen Kutschen aus, die Tuchhändler und die wenigen reicheren Schmiede bauten ihre Stände vor ihren Häusern auf und begannen laut, ihre Ware anzupreisen. Die Hauptstraße der Altstadt glich meistens einem Markt, jedoch unterschied er sich in vielerlei Hinsicht von dem in der Unterstadt oder im Klerikerviertel. An den vielen Kreiseln – alle markiert durch eine große, runde Säule – standen Vertreter anderer Länder und feilschten mit den hiesigen Händlern um die besseren Preise, warben für ihre Ware und machten mit Flüchen und wüsten Beleidigungen die Sachen der anderen Händler nieder. Luciana sah einen Mann aus Iridania, der mit lauter Stimme seine Teppiche vorstellte; erkennen konnte sie ihn an seiner fast schwarzen Haut und den fließenden Roben, die hier im Norden niemand trug. Sie waren mit Gold und Silber bestickt, reichhaltig verziert und der Mann trug eine kleine Krone, die ihn als ein Mitglied der größten Teppichgilde in Iridania auszeichnete.
Nicht weit von ihnen, auf einer kleinen Piazza, stellte sich ein tätowierter Sarrakaner aus dem unendlichen Dschungel im Osten des Kontinents auf eine Kiste und präsentierte voller Stolz die wilden Bestien, die er im Dschungel gefangen haben wollte.
Luciana erblickte voller Staunen einen sarrakanischen Tiger, das gefährlichste Raubtier des Kontinents. Die Bestie knurrte Luciana wütend an, fauchte laut und unter dem Grollen erbebten die Passanten. Das dunkelgrüne Fell des Sarrakanischen Tigers schien leicht zu flimmern und seine gewaltigen Pranken zitterten aufgeregt, wenn ein Passant zu nahe am Käfig vorbei lief.
„Ein sarrakanischer Tiger ist doppelt so groß, wenn er sich aufrichtet“, sagte Aaron blinzelnd und Luciana zuckte instinktiv zurück, als der Tiger sie fauchend anfunkelte.
Ein wunderschönes Tier … und doch so gefährlich. Ich will mir gar nicht vorstellen, was geschehen würde, wenn der Käfig bräche.
„Es ist falsch ein solches Tier seiner Freiheit zu berauben“, flüsterte sie und wandte den Blick von dem sarrakanischen Tiger ab, sah Aaron herausfordernd an.
Der General erwiderte gelassen ihren Blick und deutete ein flüchtiges Lächeln an.
„Ich würde es anders ausdrücken. Wir sollten diese Tiere so festhalten, dass sie es nicht merken. Schließlich macht es die Regierung genauso mit uns und das funktioniert doch auch“, Aaron zwinkerte ihr zu und deutete mit einem Nicken auf eine kleine Bank, die noch nicht besetzt war.
„Komm, setzen wir uns.“
Mit einem Stöhnen ließ Luciana sich auf das Holz sinken, lehnte sich an die kühle Steinwand hinter ihr und verfolgte das Treiben auf der Hauptstraße.
Hier gibt es kaum Bettler, schoss es ihr durch den Kopf.
Nur wohl gekleidete Männer und Frauen bugsierten lachend ihre Kinder durch die Hauptstraße, applaudierten lachend den Akrobaten und Feuerspuckern oder lauschten versonnen den Werken der Studenten.
„Unser Besuch beim Erzbischof ist besser gelaufen, als ich erwartet hatte“, verkündete Aaron und verschränkte nachdenklich die Arme vor der Brust.
Verwundert starrte Luciana ihn an und versuchte aus seiner Miene heraus zu lesen, was er genau damit meinte.
Besser als erwartet? Was hat er denn erwartet? Dass Ethgar uns mit Feuerbällen und Blitzen aus seiner Residenz wirft?
„Es lief besser als erwartet?“, lachte Luciana freudlos und schüttelte den Kopf.
„Ihr müsst ein unglaublicher Pessimist sein, General …“, fügte sie noch hinzu und Aaron grinste selbstgefällig.
„Was ich wollte, habe ich erreicht. Ich bin kein Student und darf die Archive der Universität und der Bibliothek verwenden. Außerdem war es nur wichtig, dass du nach dem Ring fragst und das hast du doch getan. Den Test dürftest du als bestanden ansehen.“
Luciana spürte kaum, wie sie erleichtert ausatmete.
„Allerdings …“´, fügte Aaron leise hinzu, „will ich nun zu dem eigentlichen Auftrag kommen, wegen dem du dabei bist.“
Zögerlich rückte Luciana etwas näher an General Aaron heran und lehnte ihren Kopf möglichst unauffällig in seine Richtung, so dass er leiser sprechen konnte.
„Ich habe den Bericht über deinen Einsatz gelesen … deinen gesamten Einsatz, einschließlich aller Dinge, die du tun musstest, um das Vertrauen der Banditen zu gewinnen. Du hast dort bestimmte Kontakte aufgebaut?“
Luciana nickte unmerklich; sie wusste noch nicht genau, worauf Aaron hinaus wollte, doch sie konnte es sich ungefähr vorstellen.
„Das ist sehr gut“, fuhr Aaron fort, holte einen kleinen Zettel heraus und schob ihn Luciana in eine Manteltasche.
„Ich will, dass du in die Unterstadt gehst und dort nach Anzeichen suchst, die beweisen, dass der Erzbischof einen Auftragsmörder engagiert hat. Versuch die Schmuggler mit ins Boot zu holen und finde alles heraus, was in deiner Macht steht.“
Читать дальше