Es macht ihm immer noch Spaß über in seinen Augen unwürdige Gäste herzuziehen, dachte Luciana und schüttelte mit einem Seufzen den Kopf.
„Wenn die beiden ehrenwerten Gäste mir nun folgen möchten. Ich bringe euch zu einem Ort, an dem ihr darauf warten könnt, dass ich Eure Heiligkeit wecke und davon unterrichte, dass Ihre Exzellenz Besuch hat.“
Luciana öffnete den Mund, um etwas zu antworten, doch Aaron kam ihr zuvor.
„Tut das, die Zeit drängt.“
Mit einer ausladenden Geste deutete der Diener auf die Treppe, die Aaron gerade eben als unpraktisch bezeichnet hatte und lief voran. War sie vorher beinahe unsichtbar gewesen, erkannten sie nun eine kleine Holztür neben der Treppe. Schnell öffnete der Diener die Tür, stieß sie weit auf und bedeutete den beiden Rittern, einzutreten. Der Raum war ziemlich klein, geradezu mickrig und Luciana sträubte sich einen Moment, dort hineinzugehen, aber Aaron warf dem Diener ein verständnisvolles Lächeln zu und schubste sie leicht in das Zimmer. Der Diener schüttelte den Kopf und schloss hinter ihnen krachend die Tür.
„Ich mag den Kerl nicht“, fauchte Luciana und rieb sich die Schulter, „er behandelt uns wie Dreck.“
Aarons lehnte sich gegen die kahle Holzwand.
„Er ist nicht freundlicher zu uns, als alle Priester zu Paladinen und dem normalen Volk.“
Er lachte leise.
„Wenn es nach denen ginge, gäbe es keine Armee und jeder müsste ein Keuschheitsgelübde ablegen. Ich wette mit dir, wenn sie das im Orden durchsetzen, gehen die Zahl der Mitglieder schlagartig zurück.“
Luciana konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen und blickte sich in dem Raum um, auf der Suche nach etwas, das sie ablenken würde, bis der Page wieder kam. Es gab nichts. Der Raum war leer, nur ein Abstellkämmerchen.
„Ich bin mir sicher, dass andere Gäste nicht in diesem verdreckten Zimmerchen hier empfangen werden“, lachte Aaron und fuhr mit der Hand über die Holzwand. Sie war alt und ein wenig modrig.
„Aber es trifft sich ganz gut, dass wir in einem Raum sind, der nicht abgehört werden kann. Komm, setz dich.“
Luciana setzte sich im Schneidersitz auf den Boden und stützte den Kopf auf die Hände, ihn neugierig anschauend. Sie konnte sich vorstellen, was er sagen würde, dennoch wagte sie es nicht, ihm zuvor zu kommen.
Was wohl jetzt kommt? Soll ich noch irgendetwas für ihn tun, um diesen seltsamen Test zu bestehen? Ich will es mir gar nicht ausmalen …
„Also“, begann Aaron und ließ sich ihr gegenüber auf den Boden sinken, „ich fürchte diese Geschichte wird weitreichender, als alles andere, was wir je gemacht haben. Alleine die Tatsache, dass so viele Parteien in diesen Mord verwickelt zu sein scheinen, gibt mir doch sehr zu denken. Es gibt ein paar Dinge, die wir daher besprechen sollten.“
Aaron holte tief Luft und wrang die Hände.
„Das vielleicht Wichtigste wäre, dass du niemandem etwas davon erzählst, dass du in diese Sache irgendwie verwickelt bist. Niemandem! Hier in der Stadt gibt es viele Auftragsmörder und Attentäter, das weißt du ja. Und keiner davon hat etwas dagegen, eine der hübschesten Frauen des Landes zu jagen. Vor allem da ich gar nicht wissen will, was sie machen, bevor sie dich endgültig umbringen.“
Luciana senkte den Blick und errötete ein wenig, wurde aber wieder ernst, als er die Sache mit den Auftragsmördern ansprach.
„Zweitens“, fuhr Aaron fort und Luciana wandte ihm wieder ihre Aufmerksamkeit zu, „ich möchte, dass du nachts nicht mehr dein Haus, Versteck oder Lager verlässt, ist das klar? Die Chancen einen Einbruch zu hören und zu entkommen sind allemal größer, als die, nachts einen Mörder mit einem Stilett abzuwehren. Und nun das Letzte, das allerdings nur die jetzige Situation betrifft“, Aaron hielt kurz inne und kratzte sich am Kinn, abwägend, ob er es sagen sollte.
„Hast du schon einmal etwas von einem gewissen Azard Ciantá gehört?“
Luciana legte die Stirn in Falten und dachte nach.
Ja, der Name sagt mir etwas. Ich erinnere mich an eine Akte in den Archiven der Stadtgarnison, als ich meine Aufnahmeprüfung ablegen musste. Allerdings weiß ich nicht mehr, was er getan hat.
„Der Name kommt mir bekannt vor“, erwiderte sie schließlich und nickte. Aarons Lächeln gefror, er wandte den Blick ab und rieb sich zögernd am Kinn.
„Nun dieser Azard war einmal ein Paladin des Ordens, einer der besten. Eines Tages schlug er dem Letzten Herrscher vor, Ragnir aus seiner jetzigen Position zu entlassen und dafür ihn als den Lord Marschall des Ordens unter dem Letzten Herrscher einzusetzen. Der lehnte ab, nicht zuletzt mit der Begründung Ragnir sei der beste Krieger des Landes. Das schmeckte Azard ganz und gar nicht und nachts versuchte er, Ragnir ins Totenreich zu schicken. In dieser Nacht verpasste Ragnir Azard im Schwertkampf eine Narbe übers ganze Gesicht und verhängte das Todesurteil über Azard. Er und seine Männer flohen durch die Unterstadt, das ganze heißt in den Büchern 'Der Umsturz'. “
Aaron machte eine kurze Pause und ließ seine Halswirbel knacken.
Mit einem Schlag erinnerte sich Luciana an jene Nacht, denn sie hatte die Konsequenzen der Flucht am eigenen Leibe gespürt.
Ich habe einen Mann namens Damien vor Azard und seinen Männern gerettet, als sie ihn einkesseln wollten. Ich kannte damals fast alle Geheimgänge und Schlupfwinkel in der Unterstadt und den Slums und so habe ich Damien versteckt.
„Ich erinnere mich … aber die Paladine haben Azard gefasst und getötet, oder? Ich habe es nicht weiter mitverfolgt, aber am Tag darauf gab es eine Massenhinrichtung von abtrünnigen Paladinen; Statthalter und erster Kronrichter Lyras hatte sie zum Tode verurteilt“, erzählte sie in Erinnerungen versunken und Aaron räusperte sich leise, sah beschämt zur Tür.
„Das ausgerechnet hier zu sagen, ist vielleicht nicht das Klügste, aber ich muss.“
Er beugte sich zur ihr herüber, sein Mund kam ihrem Ohr ganz nahe.
„Es gibt Gerüchte, dass Azard beim Erzbischof untergetaucht sei und ihm jetzt diene. Einige Paladine haben die Massenhinrichtung wegen des Erzbischofs überlebt und sind nun bei ihm, um für ihn zu töten. Seine Morde sind die, die wie Unfälle aussehen und die niemand aufklären kann. Azard ist kalt, grausam und er ist verdammt gut. Gib also dem Erzbischof keinen Grund, dich loswerden zu wollen.“
Luciana erwiderte lange Zeit nichts, dann verzog sie das Gesicht und brachte ein gequältes Lächeln zustande. Sie bezweifelte, dass der Erzbischof ihr Böses wollen könnte. Nicht, nachdem er sie so gut behandelt hatte.
„Ich verstehe mich ganz gut mit dem Erzbischof, mach dir keine Sorgen. Wieso kann der Orden den Erzbischof nicht einfach befragen und die Altstadt durchsuchen?“
Aaron stöhnte leise und erhob sich wieder.
„Hast du dich noch nie gefragt, wieso der Erzbischof und Ragnir sich so hassen?“
Luciana schüttelte den Kopf. Es war ihr peinlich, dass sie nicht über all diese Dinge Bescheid wusste, was auf ihre Herkunft zurückzuführen war, aber dafür konnte sie ja nun schließlich nichts. Außerdem traute sie ihrer Stimme im Moment nicht. Sie wollte Aaron nicht sehen lassen, dass er ihr Angst gemacht hatte. Azards Name war ihr vielleicht nicht mehr bekannt gewesen, doch seine Taten sprachen für sich. Sei es nun wegen ihrer Erfolge oder den Grausamkeiten.
Als sie ihren Blick hob und Aaron in die Augen sah, da erblickte sie einen tief sitzenden Schmerz in seinem Gesicht, ein Aufblitzen von Trauer.
Ich werde das Gefühl nicht los, dass dahinter mehr steckt, als nur eine simple Warnung, dachte sie und rückte etwas näher an Aaron heran.
„Woher weißt du so gut darüber Bescheid?“, fragte sie flüsternd und der Ausdruck verschwand sofort aus Aarons Gesicht, so schnell, dass Luciana beinahe gedacht hätte, sie hätte es sich nur eingebildet. Aber sie hatte es gesehen, da war sie sich sicher!
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