Mich? General Aaron bittet mich um Hilfe bei einem Fall? Einer der besten Männer des Ordens?
„Ich?“, wiederholte sie fassungslos und einen Augenblick vergaß sie sogar ihre Trauer.
„Wieso denn ich? Ich kannte Godric gut, schon, aber ich verstehe nichts davon, Fakten nachzugehen und Mörder zu fassen. Ich bin bei der Stoßtruppe! Meine Einheit und ich kommen ins Spiel, wenn andere den Verbrecher schon gefunden haben!“
„Und unter deiner Führung ist deine Einheit zu einem der besten Stoßtrupps der Garnison geworden“, fügte Aaron hinzu und Luciana lief leicht rötlich an.
Natürlich wusste sie, dass dem so war, doch sie hatte es noch niemals jemanden zugeben oder sagen hören.
„Ich fühle mich geehrt, General, doch ich … ich würde lieber ablehnen, gerade wenn die Mission so gefährlich ist. Ich habe eine kleine Stiefschwester, wegen der ich überhaupt erst in die Garnison gegangen bin und …“
Bevor Luciana ihren Satz beenden konnte, holte Aaron einen Geldbeutel heraus und warf ihn auf den Tisch. Goldene Kronen des Letzten Herrschers blitzten im flackernden Licht der kleinen Kerze auf und Lucianas Augen weiteten sich, ihre alten Instinkte von der Straße ließen ihre Fingerspitzen jucken.
Es war eine Menge Geld, wahrscheinlich genug, um sie und Alicia die nächsten Jahre über zu versorgen.
„Das hier jetzt, den Rest, wenn der Mörder gefasst und tot ist“, sagte Aaron leicht lächelnd und schob den Beutel über den Tisch auf sie zu.
„Damit kannst du Alicia ernähren, sie auf die Schule schicken und ihr sogar einen Teil der Universität bezahlen. Wenn du ihr eine Chance geben willst, ist dies die Beste für euch beide. Der Letzte Herrscher kann äußerst gütig sein und wer ihm gut dient, bekommt seinen gerechten Lohn.“
Lucianas Augen blitzten kurz auf und sie griff nach dem Geld, hielt sich im letzten Augenblick jedoch zurück und ihre Hand verharrte über dem Beutel.
Wenn sie die Mission annahm, dann gab es kein Zurück mehr. Wenn sie das wirklich tat, dann nahm sie nun Befehle von Aaron entgegen und musste tun, was auch immer er von ihr verlangte; wenngleich ihr erster Eindruck von ihm doch positiv war, so wusste sie im Grunde rein gar nichts über ihn! Genauso gut könnte er sich hinterher als mieser Bastard herausstellen, der sie bis an ihre Grenzen trieb.
Sie begegnete Aarons dunklem Blick und versuchte in seinen Augen eine Emotion zu lesen, aber sie sah nur kalte Entschlossenheit und einen Hauch Amüsement.
Mit einem Schlag wurde ihr klar, dass sie überhaupt keine Wahl hatte.
Er hat mir bereits verraten, was Godric zugestoßen ist und mich davor gewarnt, es irgendjemandem zu sagen. Wenn ich nicht zustimme, dann bin ich ein Risiko und er muss mich verschwinden lassen; er wird mir nicht glauben, wenn ich ihm versichere, dass ich schweigen kann!, schoss es ihr durch den Kopf und sie biss sich auf die Unterlippe.
An Aarons feinem Lächeln konnte sie erkennen, dass er gerade das selbe gedacht hatte.
„Hier ist der Wein“, platzte Sirian herein und stellte lautstark zwei Becher auf den Tisch, setzte sich mit einem gemütlichen Seufzen auf einen Stuhl und sah die beiden abwechselnd an.
„Komme ich … ungelegen?“, fragte er nach einer Weile des peinlichen Schweigens und Lucianas Mundwinkel zuckten leicht, ihre Hand senkte sich auf die goldenen Kronen nieder und sie zog das Geld in ihre Richtung; Aarons Lächeln wurde breiter.
„Nein, nein“, versicherte sie ihm, bemüht ruhig zu bleiben.
Du hättest dir keinen besseren Augenblick aussuchen können, um herein zu platzen …
„Also nimmst du den Auftrag an?“, hakte Aaron leise nach und leerte seinen Becher Wein mit einem einzigen beherzten Schluck; Luciana nickte leicht.
„Das tue ich. Ich will herausfinden, wer Godric getötet hat und den Mörder zur Strecke bringen!“
General Aaron erhob sich und der junge Adept folgte dem Beispiel seines Meisters, hielt den Blick gesenkt.
„Sehr gut, sehr gut. Dann triff mich bitte morgen Mittag auf dem Ares – Plaza der Altstadt. Ich habe dort einen kleinen Test für dich und gleichzeitig auch unsere erste Spur“, Aaron zwinkerte ihr zu, dann klopfte er Sirian auf die Schulter und die beiden ließen Luciana alleine.
Luciana ließ die Schultern sinken, die Anspannung fiel von ihr ab und sie starrte hinab auf den Geldbeutel in ihrem Schoß, schluckte, als sie sich gewahr wurde, dass sie ein kleines Vermögen in den Händen hielt.
Ich habe mich verkauft!, dachte sie voll Ekel, jedoch schoss ihr dann das Bild ihrer kleinen Stiefschwester durch den Kopf und sie rang sich ein müdes Lächeln ab.
Aber zu einem guten Preis …
Erschöpft griff sie zu ihrem Weinbecher, hob ihn an ihre Lippen und nippte an dem Wein, genoss den Geschmack des Getränks, als es ihre Kehle hinab rann und legte den Kopf in den Nacken.
Es war erstaunlich, welche Wendungen und Richtungen das Leben einschlagen konnte.
Im Moment fühlte sie sich, als hätte sie auf ihrem Lebensweg eine halbe Drehung gemacht und befände sich geradewegs auf dem Weg zurück, in die Richtung aus der sie gekommen war … in die Richtung, in die sie nie wieder zurück wollte.
Wie viele Tote hat dieser Krieg schon gefordert? Ich weiß es nicht mehr und die reine Anzahl bereitet mir Übelkeit. Ich plane bereits in den Krieg hinein und baue den Orden so weit auf, wie es in meinen Kräften steht. Seit der Schlacht der tausend Klingen, in der ich mit meinen wenigen Anhängern eine zehn Mal stärkere Armee der Vampire vernichtete, strömen uns die Menschen geradezu in die Arme und wenden sich von meinem Vater, dem König, ab. Doch Menschen alleine helfen mir nicht. Ich brauche Soldaten! Männer, die kämpfen können und kämpfen wollen! Ich brauche Menschen, die bis an ihre Grenzen und darüber hinaus gehen können, ohne zu brechen!
Die wenigen gut ausgebildeten Männer, die von der königlichen Garde zu uns übergelaufen sind, werden wohl oder übel zu meiner Elite werden müssen, wenngleich ich ihnen nicht traue. Sobald wir genug Männer haben, die kämpfen können, müssen wir Moréngard verlassen und mit der Ausbildung der Männer beginnen; es wird eine lange Reise von hier bis zum Ende des Krieges, aber ich habe es geschafft, dem Volk wieder Hoffnung zu schenken.
Nun stehen sie hinter mir und können mir helfen, die Gefahr der Vampire zu bannen.
Ich habe die Stärke in den Augen meines Volkes gesehen!
Ich habe die Entschlossenheit in den Handlungen meiner Freunde gesehen!
Wir können diesen Kampf gewinnen – sie müssen mir nur vertrauen und wir werden siegen, werden die Vampire vom Antlitz dieser Welt tilgen und das Land aus der Ära der Dunkelheit hinaus führen, in das es vor Jahrhunderten gestürzt wurde, als die Vampire angriffen.
Kapitel 2 Der Fluch der Wissenden
I
Dunkle Wolken verhangen den Himmel.
Luciana schlenderte mehr oder weniger ausgeruht durch die menschenleeren Promenaden der Altstadt. Heulend rauschte der Wind durch die blattlosen Äste der Bäume, welche links und rechts neben der Promenade gepflanzt worden waren. Die kahlen und von schlammigen Überresten des Schnees bedeckten Wipfel wiegten sich sanft im Wind, das Holz der Bäume knarrte laut.
Ihre Schritte waren das einzige Geräusch auf den leeren Straßen und sie wickelte sich mit einem Stöhnen enger in den dünnen Mantel, den sie sich hektisch umgeworfen hatte, um nicht zu spät zu kommen. Die Altstadt war das intellektuelle Zentrum der Stadt, das Hirn, das den Rest Moréngards am Laufen hielt; darüber hinaus war es der Mittelpunkt des Glaubens an den Letzten Herrscher als ihren Gott, denn hier residierte der Erzbischof, seine Heiligkeit, die den Letzten Herrscher in ihrer Welt vertrat. Alle anderen Häuser waren in kleinen und größeren Kreisen um die Residenz des Erzbischofs angelegt, den Eingang immer zum Anwesen hin ausgerichtet.
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