Unter ihr bäumte sich das Pferd wild auf, wieherte laut und galoppierte los. Die Kraft ihrer Arme ließ nach, eine Welle der Erschöpfung schlug auf sie ein und einen Moment lang drohte sie vom Pferd zu fallen, doch sie spürte den eisernen Griff des Ritters, seinen Ruf, sie solle sich gut festhalten. Sie gehorchte. Sie hatte keine Kraft mehr, irgendetwas anderes zu tun. Sie würde hoffen müssen. Langsam öffnete sie wieder die Augen, spähte zurück. Die Flammen, die die Halle verzehrten, schossen an ihr vorbei, ihr Blickfeld verschwamm und das einzige was sie sah, war dieses Rot, durchzogen von schwarzen Schatten, die vor den Pfeilen und den gezogenen Schwertern flohen. Plötzlich durchbrach ein wilder, lauter Aufschrei das Fauchen des Feuers und eine schwarze, massige Gestalt stürmte zwischen den Flammen hervor, rannte auf das Pferd zu. Dabei schwang sie einen großen Streitkolben in der rechten Hand. Der Ritter riss die Zügel zurück, das Pferd schnaubte wütend und blieb abrupt stehen. Weitere Gestalten lösten sich aus dem tobenden Feuersturm, umzingelten sie langsam, aber sicher. Sie saßen in der Falle. Das Pferd trat unruhig von einem Huf auf den anderen, tänzelte im Kreis, während der Ring der schwarzen Gestalten immer enger wurde. Sie meinte ganz sicher ein dreckiges, mehrstimmiges Lachen aus den Schreien und dem Sirren der Pfeile heraus hören zu können und sie klammerte sich verkrampft an den Ritter.
Auf einmal erbebte das Pferd unter ihnen, es wieherte schwach und stürzte beiseite. Ein Pfeil ragte aus seiner Seite. Sie fiel, zusammen mit dem Ritter, krachte auf den leichenübersähten Boden, stieß sich den Kopf und blieb benommen liegen, als ihr Sichtfeld auf einmal verschwamm und sie ihre Glieder nicht mehr spürte. Hinter ihr erhob sich der Ritter, mit einem kratzenden Geräusch zog er das Schwert und stellte sich schützend vor Luciana, sein Blick schweifte panisch umher.
Mit einem wütenden Schrei rannte eine der Gestalten mit erhobenem Streitkolben auf den Ritter zu, holte mit beiden Händen Schwung und ließ den Streitkolben auf den Ritter niederfahren, der mit einem Satz beiseite wich und sein Schwert singen ließ. Der wütende Schrei des Banditen wurde zu einem Röcheln und leblos sackte er zu Boden, sich dabei die aufgeschlitzte Kehle haltend. Die anderen Männer zögerten, sahen sich verunsichert an und traten einen Schritt zurück, schwächten so den engen Kreis, den sie gebildet hatten. Erneut flogen Armbrustbolzen an ihnen vorbei, spickten den Boden. Der Ritter blieb zitternd in der Mitte stehen und Luciana entging nicht, dass er sein linkes Bein etwas schonte. Mit Mühe hievte sie sich auf alle Viere und wollte sich erheben, aber der Ritter legte ihr eine Hand auf den Rücken, drückte leicht.
„Bleib liegen!“, herrschte er sie an und wandte seinen Blick wieder den Männern zu, die sich immer wieder nervös nach den anderen Pferden und Rittern umsahen, doch niemand schien sie zu sehen. Niemand war in der Nähe!
„Wir müssen hier weg, verdammt! Die Bastarde von Rittern sind ganz in der Nähe, sie kommen!“, schrie einer der Banditen ängstlich und wandte sich an die anderen, ließ seinen Streitkolben sinken. „Wenn wir nicht verschwinden, werden die uns abschlachten wie Vieh! Fliehen wir, das Feuer überstehen die beiden sowieso nicht!“
Die anderen Banditen nickten unsicher und der Ritter und Luciana hielten erwartungsvoll die Luft an.
„Ihr wollt fliehen und diejenigen, wegen denen so viele unserer Kameraden vor die Hunde gegangen sind, einfach am Leben lassen?! Fehlen euch die Eier, das Nötige zu tun, ihr Schlappschwänze?“, brüllte der Größte von ihnen, schwang seinen Streitkolben durch die Luft.
„Ihr könnt ruhig gehen, aber ich werde bleiben und wenn sie mich hängen, vierteilen und danach an die Haie in den Docks verfüttern! Ich habe keine Lust mehr, mich in der stinkenden Kanalisation zu verstecken! Los, flieht, aber ich bleibe!“
Einen Moment lang fürchtete Luciana, die Banditen würden nun doch bleiben, doch das 'Flieht' ließen sie sich nicht zwei Mal sagen und rannten sofort in Richtung des Ausgangs zu, der noch von den Flammen verschont geblieben war. Bis jetzt. Der Ritter machte einen Schritt auf den Banditen zu, der übrig geblieben war und schwang sein Schwert, die Klinge blitzte auf. Der Bandit parierte den Hieb, zog den Ritter zu sich heran und warf ihn sich über den Rücken auf den Boden. Es klirrte laut, als der Ritter in der silbernen Rüstung auf den Boden krachte und dort ächzend liegen blieb. Panisch tasteten seine Finger nach dem Schwertgriff, aber der Bandit stellte einen Fuß auf das Handgelenk des Ritters und trat fest zu. Knackend brach die Hand und der Ritter schrie gepeinigt auf. Luciana wollte sich erheben, dem Ritter helfen, doch sie konnte kaum einen Finger rühren. Ihre Seite stach, als hätte man ihr ein Schwert in die Rippen gerammt, jeder Atemzug tat weh und der beißende Rauch des Feuers machte es so gut wie unmöglich, richtig Luft zu holen.
Hilflos musste sie mit ansehen, wie der Mann mit einem dreckigen Lachen den Streitkolben hoch über den Kopf hob, aufschrie und zuschlug. Es knirschte, als der Streitkolben auf die Brustplatte der Rüstung krachte, die Brustplatte sich unter den heftigen Hieben des Mannes verbog. Drei Mal schlug er zu, drei Mal knirschte und knackte es, drei Mal flehte der Ritter um Gnade, drei Mal schloss Luciana entsetzt die Augen. Als der Ritter sich nicht mehr regte, ließ er von ihm ab und kam langsam auf sie zu, seine Augen fixierten sie, sein Blick schien sie zu lähmen. Dennoch kroch sie rückwärts, weg von dem Mann, weg von dem Streitkolben, weg von dem Tod, den dieser mit sich brachte. Als der Mann ihr lächerlichen Fluchtversuch wahrnahm, warf er den Kopf in den Nacken, lachte laut auf und lief nun schneller. Luciana wich weiter zurück, ignorierte das Brennen in ihrer Seite und schleppte sich immer weiter weg … bis ihr Rücken schließlich gegen die kalte Steinwand stieß.
„Wie fühlt sich das an?“, fragte der Mann leise, doch trotz der tobenden Flammen, trotz der sirrenden Pfeile und der durchdringenden Schreie konnte sie ihn genau verstehen.
„Wie fühlt es sich an, wenn man weiß, dass man sterben wird, aber man nichts dagegen tun kann. Wenn der Tod auf einen zukommt, ganz langsam und schadenfroh“, fuhr der Mann fort, seine Schritte hallten von dem steinernen Boden wider. Luciana antwortete nicht, presste sich gegen die Steinwand hinter ihr, als könne sie sie durchbrechen, wenn sie nur fest genug drückte.
„Keine Antwort? Die wird auch nicht nötig sein. Ab jetzt nicht mehr.“
Vor ihr angekommen blieb der Mann stehen, hob langsam den Streitkolben mit beiden Händen hoch über den Kopf. Sie ließ ihren Blick panisch hin und her schweifen, auf der Suche nach etwas, das sie benutzen könnte, um sich zu wehren, irgendetwas, das ihr helfen könnte! Sie fand nichts! All die Müdigkeit, die Schmerzen traten in den Hintergrund. Sie würde nicht um ihr Leben betteln! Sie nicht! Sie war die erste Nachtjägerin des Ordens und würde sich ihrem Schicksal hingeben! Stolz hob sie den Kopf und begegnete dem Blick des Mannes, ihre blauen Augen funkelten gefährlich. Überrascht zog er die Augenbrauen in die Höhe, seine Finger schlossen sich fester um den Griff des Streitkolbens.
„Lebe wohl, Luciana“, zischte der Mann, Luciana hob ihre Hände vor das Gesicht, wandte den Blick ab, wartete auf den tödlichen Schlag … der nicht kam. Etwas klirrte laut und als sie die Augen öffnete sah sie am Boden den Streitkolben liegen. Zögerlich sah sie auf. Der Mann hatte die Augen entsetzt geweitet, seine Hände hielt er um die Klinge, die aus seinem Bauch ragte.
„Auf Nimmerwiedersehen“, hauchte eine kalte Stimme hinter dem Mann. Ächzend fiel der Mann zur Seite und blieb mit dem Gesicht nach unten reglos liegen. Hinter ihm stand eine Gestalt in einem schwarzen Mantel, seine Kapuze war tief ins Gesicht gezogen und selbst mit dem Licht der Flammen vermochte sie das Gesicht nicht auszumachen. Allmählich wurden ihre Augenränder schwarz, sie kippte beinahe unmerklich zur Seite, der Boden kam immer näher. Das letzte was sie spürte, war, dass sie angehoben wurde.
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