Ich verstehe seine Bedenken … das Hafenviertel ist das dreckigste und unhygienischste Viertel der ganzen Stadt und dort haben die Menschen gar nichts. Wenn er seine Schwester dort leben lässt, muss er sich nicht wundern, wenn sie krank wird.
Luciana nickte knapp und atmete tief durch, wünschte Sirians Schwester im Stillen viel Glück und wandte der Residenz ihren Blick zu. Sie war wirklich prachtvoll, selbst in der Dunkelheit des jungen Morgens. Eine breite Marmortreppe führte zu einem Vorgarten hinauf. Dort oben angekommen führte ein Steinweg direkt vor den Eingang der Residenz. Links und rechts der Straße standen lose Säulen, auf deren Spitzen die Abbilder von diversen Helden und verschiedener Fabelwesen aus Stein saßen, ihre leeren Blicke auf die Mitte des Steinwegs gerichtet, dorthin, wo die Passanten und Besucher des Erzbischofs hinliefen. Im gespenstischen Halbdunkel des Morgens wirkten die Statuen wie Wächter, groß und furchteinflößend. Am Ende dieses Steinwegs ragte die Residenz schließlich in die Höhe. Betont lässig schlenderten sie die Marmortreppe hinauf, Stufe um Stufe, bis sie schließlich auf dem breiten Weg waren und diesen entlang liefen. Es war ein seltsames Gefühl zu wissen, dass die Statuen ihnen ihre kalten Blicke in die Rücken bohrten, als könnten sie zum Leben erwachen und sie angreifen, wenn sie etwas Falsches taten. Und tatsächlich munkelte das Volk, dass diese Statuen den Erzbischof beschützen konnten, wenn ihn jemand bedrängen sollte.
Die große Fassade der Residenz, die wie ein Wall vor ihnen aufragte, ließ sie geradezu winzig wirken, degradierte sie zu Insekten.
„Und hier wohnt er. Kein Wunder, dass er sich mit den Adeligen so um die Altstadt streitet“, knurrte Aaron und schnaubte. Luciana erwiderte nichts. Es schien ihr unangebracht und außerdem fiel ihr keine passende Antwort ein. Stattdessen schaute sie sich neugierig um, jedes Detail des Gebäudes bewundernd. Zwischen den Säulen wuchsen Pflanzen; Pflanzen, die man sonst nirgendwo in der Welt sah, selbst im Winter. Gottesrosen, die mit ihren silbernen Blütenblättern und goldenen Blattadern jede andere Rose weit in den Schatten stellten, Blutlavendel, sogar goldene Tulpen ragten hier und da zwischen dem Schnee auf.
„Eines muss man dem Erzbischof lassen …“, murmelte Luciana mehr zu sich selbst, als zu jemand anderem. Vorsichtig strich sie mit einem Finger über die Blüten einer Gottesrose. Sie waren warm und dufteten herrlich, viel intensiver als gewöhnliche Rosen.
„Er hat Stil.“
Aaron ignorierte die Exotik dieses Ortes und starrte geradewegs zu dem überdachten Holzportal, das in das Innere der Residenz führte. Selten betrat jemand dieses Gebäude. Sehr selten sogar. Es war eine große Ehre und doch fühlte sich keiner der beiden geehrt, sondern viel mehr eingeschüchtert. Ehrfürchtig traten sie vor das Eichenholzportal und Aaron klopfte drei Mal. Das Geräusch hallte noch lange wider und einen Moment passierte nichts. Sie standen beide vor dem Holzportal, zitterten in der eisigen Kälte des Winters. Dann hörten sie von der anderen Seite etwas, ein Riegel wurde zurückgeschoben, ein Schlüssel wurde in ein Schloss gesteckt und ein Flügel des großen Holztors schwang lautlos auf, nur einen winzigen Spalt breit.
Heraus schaute ein etwas älterer Mann mit kurzem grauen Haar. Er war klein, stämmig und seine grünen Augen funkelten gefährlich. Seine Kleidung beschränkte sich auf die traditionelle Kluft der Diener. Eine schwarze Hose, zusammen mit einem schwarzen Frack, worunter man ein weißes, eng anliegendes Wams trug.
„Was wünschen die Herren zu solch früher Stunde?“, fragte der Mann in formellem Ton und kniff die Augen zusammen, um sie besser zu erkennen.
„Mein Name ist Aaron, General des Ordens der Silberklinge im Dienste Eurer Göttlichkeit des Letzten Herrschers. Das hier ist eine … Freundin, Luciana. Gestern bat ich um eine Audienz bei seiner Heiligkeit dem Erzbischof. Wir sind angemeldet und uns wurde zugesagt.“
Der Diener sah sie einen Moment lang zögernd an, dann zuckten seine Mundwinkel kurz und er nickte widerwillig.
„Nun gut, tretet ein.“
Mit einem Ächzen stieß der Diener die Tür etwas weiter auf und trat einen Schritt beiseite, um sie einzulassen. Aaron wartete, um Luciana zuerst hinein zu lassen und betrat nach ihr die Residenz. Drinnen war es angenehm warm, doch nicht viel heller, als draußen.
„Es ist ziemlich dunkel“, raunte Aaron und rieb sich den Rücken. Der Diener machte eine säuerliche Miene und kräuselte die Lippen.
„Einen Augenblick, ich werde es für die werten Gäste des Erzbischofs etwas heller machen.“ Luciana konnte den Diener nur als Silhouette sehen, doch auf einmal hörte sie ein lautes Klatschen und hoch über ihnen entzündeten sich die Kerzen eines gigantischen Kronleuchters. Als Aaron das Innere der Residenz sah, pfiff er leise und anerkennend; Luciana kannte die Residenz noch in und auswendig, doch auch sie spürte immer wieder Ehrfurcht in sich schwellen, wenn sie die Eingangshalle betrat. Sie standen in einer riesigen, runden Halle, die von vier dicken Säulen gestützt wurde. Sie war so hoch, dass die Galerie, die den Zugang in den Ost-und Westflügel ermöglichte, noch halb im Dunkel lag. Ungefähr in der Mitte der Halle auf halber Höhe des Raums schwebte der Kronleuchter, von Magie dort oben gehalten. Hier unten gab es genug Licht, doch es war nicht hell genug, um die Galerie zu beleuchten. Die Decke war aus einer sehr großen runden Glasscheibe, durch die man den bewölkten Himmel sehen konnte. Die Statuen waren nicht wie diejenigen draußen vor dem Eingang rund und verziert, sondern viereckig und einfach Mittel zum Zweck, wenngleich sie aus schimmerndem roten Stein waren, von dem Luciana wusste, dass er in nur fünf Bergwerken im ganzen Kontinent abgebaut wurde. Der Boden war vertieft und die Vertiefung mit Wasser gefüllt. Der Diener trat auf die Wasseroberfläche, wurde jedoch weder nass, noch versank er in dem Wasser. Er 'stand' auf dem Wasser. Das Wasser war so klar, dass man den Boden und das Bild, das diesen zierte, sehr gut sehen konnte. Es war ein silberner Drachenkopf, das Symbol des Ordens, der eine goldene Flamme ausspie.
„Es ist immer noch so wunderschön“, hauchte Luciana beeindruckt und trat vorsichtig mit einem Fuß auf das Wasser. Es war irgendwie weich und zugleich hatte man das Gefühl einzusacken, obwohl man sicher stand. Aaron lief skeptisch um das Wasserbecken herum, auf dem dafür geschaffenen Weg.
„Das ist die Halle unseres Gottes“, erklärte der Diener mit einer sarkastischen Verbeugung.
„Hier sind alle fünf Elemente unserer Welt in je einem Wunder vertreten, allerdings sind nur die Säulen für Feuer und der Boden für das Wasser wirklich sichtbar für … das ungeschulte Auge“, fuhr er fort und seine Mundwinkel verzogen sich zu einem widerlichen Lächeln. Genau gegenüber dem Eingang war ein Durchgang zu einer breiten Treppe, die zu einem großen Fenster führte. Von dem Fenster aus gab es zwei Treppen, die eine führte links zurück auf die Höhe der Galerie der Halle, die andere nach rechts zurück auf die Höhe der Galerie.
„Unpraktisch. Man muss die Halle durchqueren, eine Treppe nach vorne laufen und dann wieder nach hinten zurück laufen, je nachdem in welchen Flügel man will. Wieso die Treppen nicht gleich hier anbringen?“, fragte Aaron und sah sich misstrauisch um. Der Diener verbeugte sich erneut kurz.
„Diese Halle ist zur Verteidigung gedacht, werter General. Sollten es Eindringlinge hier hinein schaffen, müssen sie, wie Ihr ja so kess bemerkt habt, die Halle durchqueren, das kostet Zeit. Zu diesem Zeitpunkt können Bogenschützen von der Galerie aus einen Pfeilhagel nach dem anderen abschießen. Reine Taktik, durch logisches Nachdenken leicht zu erschließen, werter Paladin.“ Aaron verengte seine Augen zu Schlitzen und das widerliche Grinsen des Dieners wurde breiter, geradezu unerträglich.
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