Seit ungefähr acht Jahren ist sie als Hausdame an dieser Schule angestellt. Aber so sieht sie niemand. Pippa ist die gute Seele der Schule. Sie hat eine sehr mütterliche Ausstrahlung, weshalb sie von den Meisten nur »Mama Pippa« genannt wird. Sie ist vierzig Jahre alt, mittelgroß und hat eine Statur, die Rubens hochgelobt hätte. Sie sagt, dass dies von Gott so gewollt sei, damit die Probleme aller Schüler auf ihren breiten Schultern Platz fänden. Ihr dunkler, kakaofarbener Teint und ihre schulterlangen, schwarzen Haare glänzen immer wie teure Seide. J.J. näht ihr oft wunderschöne, bunte Tücher, die ihr dichtes Haar zusammenhalten. Sie findet, dass Pippa damit wie eine wunderschöne Frau aus dem Alten Orient aussieht. Die Hausdame kümmert sich um die Mahlzeiten und hält die Schule in Ordnung. Außerdem ist sie als Ansprechpartnerin für die unlösbaren Probleme der Kinder nicht mehr wegzudenken.
Für J.J. ist sie so etwas wie eine Mutter. Also, sie sagt immer, wenn sie sich eine Mutter aussuchen könnte, müsste sie wie Pippa sein. Alle Ferien verbringt J.J. mit der Familie der Hausdame und hatte noch nie das Gefühl, eine Fremde zu sein. Auch diese Ferien soll sich daran nichts ändern.
Als der Abend sich langsam sein Revier erkämpft, packen sie alles zusammen und gehen gemeinsam zurück zum Campus. Es war ein sehr schöner Tag für J.J., da es heute keine Zwischenfälle gab und sie hofft, dass dieses Pech sie endlich verlassen hat. Als sie ihr Zimmer betritt, klingelt das Telefon im Flur. Zoé rennt sofort zum Apparat und kommt nach wenigen Sekunden zurück. Betroffen sieht sie J.J. an.
»Ist für dich. Mrs. Rogan«, sagt sie knapp und seufzt, da sie Angst hat, dass J.J. nach diesem schönen Tag nun doch noch irgendwelchen Ärger bekommt. Diese lässt den Kopf hängen und schlurft zum Telefon. Als sie den Hörer in die Hand nimmt, verdreht sie genervt die Augen.
»Ja, Hallo. J.J. Smith am Apparat. Mal wieder!«
Kapitel 3
Der Gedankenstein kehrt zurück
Sie hat große Mühe zu sprechen. Ihr Kiefer verkrampft sich derart vor Wut, dass sie die Zähne nicht auseinanderbekommt. Am anderen Ende des Apparats seufzt die Direktorin, ohne auf J.J.s Zynismus einzugehen.
»Hallo J.J. Entschuldige bitte, dass ich an deinem freien Abend anrufe. Aber hier ist soeben ein Paket für dich abgegeben worden. Ich dachte mir, dass du es vielleicht gleich abholen möchtest«, beginnt sie aufgeregt zu sprechen.
J.J. überlegt einen Moment und schüttelt fragend den Kopf.
»Ein Paket für mich? Von wem denn?«, fragt sie verwirrt.
Plötzlich ist sie ganz sicher, dass nun etwas sehr Ungewöhnliches passieren wird. Die Sekunden, bis die Direktorin antwortet, sind deshalb unerträglich. Vor Aufregung knabbert sie an ihren Fingernägeln, was sie seit Jahren nicht mehr getan hat. Als sie gerade den Mittelfinger zum Mund führt, erlöst Mrs. Rogan sie endlich.
»Das kann ich dir nicht sagen, Liebes. Es ist keine Absenderadresse angegeben. Am besten kommst du gleich hierher und holst es ab. Dann weißt du, von wem es ist.«
J.J. legt auf, ohne sich zu verabschieden, und geht verstört ins Zimmer zurück.
In der Tür bleibt sie stehen und überlegt.
»Zoé, da ist ein Paket für mich abgegeben worden. Ich soll es gleich bei Mrs. Rogan abholen. Würdest du mitkommen?«, fragt sie mit zittriger Stimme.
Zoé springt von ihrem Stuhl und jauchzt.
»Ein Paket? Jetzt? Wie aufregend! Na komm, wir holen es sofort ab.«
Ohne auf ihre Freundin zu warten, rennt Zoé in Richtung des Schulgebäudes. J.J. braucht einen Moment, um sich zu berappen, und hastet hinter Zoé her. Völlig aus der Puste erreichen sie schließlich das Büro der Direktorin. Zoé grinst verschmitzt und klopft zaghaft, an die nur angelehnte Tür, an.
Als sie den Vorraum von Mrs. Rogans Büro betreten, bleiben sie erstaunt stehen. In der Mitte des Raums steht ein großer Karton, der in braunes, grobes und teilweise eingerissenes Packpapier eingeschlagen ist. Zusätzlich wurde er noch mit einem Strick verschnürt, was ihn sehr altertümlich wirken lässt. J.J. geht langsam auf das seltsame Paket zu und versucht den Absender zu finden. Aber es steht tatsächlich nichts darauf.
»Es sieht aus, als wäre es schon vor Jahren von einer Postkutsche gefallen.«
»Wer hat das für mich abgegeben?«, fragt sie misstrauisch, da sie befürchtet, dass es sich um eine Verwechslung handele. Die Direktorin holt einen Brief von ihrem Schreibtisch und überreicht ihn ihr.
»Als ich vom Abendessen zurückkam, stand das vor meiner Tür und dieser Brief lag oben drauf.«
J.J. reißt den Brief an sich und dreht ihn um. Aber auch hier findet sie keinen Absender. Auf dem Umschlag steht lediglich:
Bitte diesen Brief und das Paket an Josie Jezabel Smith aushändigen. Persönlich!
»Das wird ja immer unheimlicher. Ich habe keine Ahnung, wer mir schreiben sollte. Alle Menschen, die ich kenne, befinden sich auf diesem Campus.«
Fragend sieht sie zur Direktorin.
»Ich finde das seltsam. Ich habe noch nie Post, geschweige denn ein Paket bekommen!«, sagt sie irritiert.
Zoé, die die gesamte Zeit in der Tür gewartet hat, dauert das alles viel zu lange. Sie geht schnurstracks zum Paket und versucht es anzuheben. Wie ein Gewichtheber zieht sie, bis sie vor Anstrengung einen puterroten Kopf hat.
»Vielleicht ist das ja ein Scherz. Das Ding wiegt bestimmt zwei Zentner!«, japst sie, bevor sie erneut daran zerrt, jedoch das Paket lediglich ein paar Zentimeter in die Höhe hieven kann. J.J. steckt den Brief in ihre Hosentasche und fasst mit beiden Händen unter den Paketboden. Als sie es mit einem kräftigen Ruck nach oben zieht, verliert sie das Gleichgewicht und stolpert rückwärts.
»Sehr witzig, Zoé! Das Paket ist total leicht. Na ja, danke, Mrs. Rogan, dass Sie mich angerufen haben.«
Die Direktorin lächelt und hält ihnen die Tür auf.
»Vielleicht lässt du mich ja wissen, was sich darin verborgen hat. Natürlich nur, wenn es kein Geheimnis ist!«, ruft sie J.J. hinterher, die nur schnell zurücknickt.
Sie ist viel zu gespannt, was sich darin befinden könnte, als das sie auch nur noch eine weitere Minute mit Small Talk verschwenden will. Zoé läuft aufgeregt neben ihr her und spekuliert ohne Pause, welchen Schatz sie gleich entdecken werden. Als sie in ihrem Zimmer ankommen, stellt es J.J. mitten in den Raum und geht ein Stück zurück. Immer wieder umkreist sie das seltsame Paket, während Zoé wie Rumpelstilzchen von einem Bein auf das andere springt und sie ununterbrochen anspornt, es endlich zu öffnen. Aber J.J. ist zu angespannt. Sie steht nur stocksteif da und starrt auf das mysteriöse Objekt.
Zoé rauft sich die Haare.
»Bist du denn gar nicht neugierig? Also ich platze gleich! Komm schon, mach es endlich auf!«, fordert sie ungeduldig.
J.J. lässt das Jammern ihrer Freundin kalt.
»Es ist und bleibt merkwürdig! Ich habe noch nie einen Brief bekommen und gerade jetzt, wo mir ständig diese Dinge passieren, bekomme ich auch noch ein sonderbares Paket. Es ist sehr altertümlich und schäbig verpackt. Und zusätzlich mit einem Strick verschnürt, was heutzutage niemand mehr tut! Ich bin gespannt, was darin ist! Gleichzeitig habe ich aber auch Angst! Vielleicht ist es doch nur ein Scherz von Britany. Ein stinkender Hundehaufen oder Ähnliches. Aber das hätte sie doch niemals vor die Tür der Direktorin gestellt!«, kombiniert sie in Gedanken.
Nun reißt Zoé endgültig der Geduldsfaden.
»Hallo! Erde an J.J. Biiiiiiiiittttte, mach dieses Paket jetzt auf!«, bettelt sie, während sie wie eine Besessene im Kreis herumhopst und vor Anspannung Gift und Galle spuckt.
J.J. begutachtet es aber nur weiterhin kritisch und schüttelt stur den Kopf.
»Findest du es nicht seltsam? Was ist, wenn sich etwas Ekliges oder Gruseliges darin befindet? Immerhin kenne ich niemanden, der mir etwas schicken könnte«, erwidert sie leise.
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