Die Geschwindigkeitsrückrechnung der am Unfall beteiligten Fahrzeuge dient als Ausgangsgröße dazu, ob und auf welche Art und Weise der Unfall von den Fahrzeuglenkern hätte vermieden werden können. Die Geschwindigkeitsrückrechnung bezieht sich meist auf den Energieeinsatz, der zu einem bestimmten Ergebnis geführt hat. So kann man anhand der Bremsspuren eine mittlere gefahrene Geschwindigkeit ermitteln, die sich aus dem Erscheinungsbild der Bremsspur ergibt. Gleichermaßen können Verformungen an der Karosse des Fahrzeuges oder andere Deformationen und Positionsveränderungen einen Rückschluss auf die Aufprallgeschwindigkeit geben. Bei der Rückrechnung wird also die Geschwindigkeit der Unfallbeteiligten von ihrer Endlage berechnet. Bremsungen, Schleudervorgänge, Stöße und ballistische Sprünge können so energetisch bewertet werden und führen auch oft zu einem guten Ergebnis ohne größeren Rechenaufwand.

Energieaufwand für die Positionsveränderung
von PKW 2 steht in einem mathematisch
errechenbaren Verhältnis zur Aufprallgeschwindigkeit
von PKW 1
Abbildung 1: Geschwindigkeitsrückrechnung
Die Geschwindigkeitsrückrechnung ist eines unter mehreren Verfahren, um gefahrene Geschwindigkeit zu ermitteln.
1.8 TÄTIGKEITEN BEI GERICHT
Im Zivilprozess (§ 404 Abs. II ZPO) und im Strafverfahren (§ 73Abs. 2 StPO) muss, in Rechtsschutzsachen (§ 2 Abs. 1e ARB) kann der vom Gericht angerufene Sachverständige "öffentlich bestellt und vereidigt" sein. Daneben ist den betroffenen Parteien selbstverständlich freigestellt, ein Privatgutachten von einem Sachverständigen seines Vertrauens erstellen zu lassen. Ein Gutachter, der für eine Prozesspartei bereits als Privatgutachter tätig war, wird in der gleichen Sache als gerichtlicher Gutachter gewöhnlich ausgeschlossen. Die vom Gericht bestellten Gutachten werden nach Justizvergütungsund -entschädigungsgesetz (JVEG) abgerechnet. Die Stundensätze richten sich nach Honorargruppen und liegen zwischen 50 und 85 Euro je Stunde. Die Honorargruppen sind einzelnen Fachbereichen zugeordnet (Anlage 1 zu § 9 JVEG). Kraft Gesetz sind öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige verpflichtet, gerichtliche Aufträge auszuführen. Trotz der relativ niedrigen Honorarsätze wird aber auch ein freier Sachverständiger die Ehre, vor Gericht tätig zu werden, normalerweise nicht ablehnen.
Für Sachverständige auf dem Gebiet Unfallrekonstruktion können die gerichtlichen Gebührensätze allerdings zum wirtschaftlichen Problem werden, da sie recht häufig für Gerichte tätig werden und weniger Umsatz aus Privatgutachten erwarten. Zudem wiegt die Verantwortung für das Schicksal der am Prozess Beteiligten wesentlich schwerer als bei der reinen Schadensermittlung, in der es "nur" um Geld geht. Einen Blechschaden zu bewerten, ist meist einfacher, als bei einer Unfallrekonstruktion exakte wissenschaftliche Untersuchungen und Folgerungen zu ziehen. Bei schweren Personenschäden oder Todesfällen, bei einer drohenden Gefängnisstrafe für den Schuldigen, muss der Sachverständige eine Verantwortung übernehmen, die mancher verständlicherweise nicht gern tragen will.
1.9 AUSSTATTUNG UND EINRICHTUNG
Es ist möglich und auch gängige Praxis, als Sachverständiger mit einem Arbeitszimmer in der Privatwohnung und der entsprechenden Büroeinrichtung zu starten. Eine eigene Prüfstation ist zunächst nicht unbedingt nötig, allerdings bei entsprechender Auftragslage längerfristig zu empfehlen. Bei Einrichtung einer Prüfstation wären allein für Geräte wie Abgasmessinstrumente, Bremsenprüfgeräte, Lackschichtenmesser, Mikroskop u.a. ca. € 15.000 an Investitionen zu veranschlagen.
Hinzu kommen die Halle, Standfläche, Gruben und andere Einrichtungen. Anfangs genügt es, wenn der Sachverständige die Fahrzeuge in einer fremden Werkstatt prüfen kann. Er darf allerdings nur an solchen Prüfstellen Fahrzeuge untersuchen, die der sogenannten Geräte-Richtlinie entsprechen.
Einrichtungen für die Kfz-Sachverständigentätigkeit
Der Kfz-Sachverständige muss über die aufgelisteten Mindesteinrichtungen zur Berufsausübung verfügen:
EDV-gestützte Kalkulationssysteme
geeignete Fotoausrüstung mit Tasche
Reifenprofiltiefenmesser
Reifendruckmesser geeicht
Bandmaß 20 m
Maßstab
Kreide
Werkzeugkoffer mit Inhalt
Lupe
Taschenlampe
Prüflampe
Elektrische Messgeräte (Voltmeter – Amperemeter)
Lackschichtdickenmesser
Präzisions-Teleskopmessstab
Im Bedarfsfall muss dem Sachverständigen die Möglichkeit gegeben sein, eine geeignete Untersuchungsstelle zu benutzen.
Für Sachverständige bestehen gewisse Werbebeschränkungen, die jedoch in den letzten Jahren wesentlich gelockert wurden. Hinweisende Werbung ist grundsätzlich erlaubt. Im Zweifelsfällen sollte man sich vorher bei den Verbänden oder der örtlichen IHK erkundigen, ob eine bestimmte Form der Werbung in der Branche statthaft ist. Die Eröffnung eines Büros kann der Sachverständige in jedem Fall anzeigen. Ebenso ist der Hinweis auf seine Tätigkeit und sein Angebot statthaft solange es nicht reisserisch ist.
Neben einer Zeitungsannonce kann man sich mit seinem Fachgebiet in einem persönlichen Schreiben bei Anwälten oder Werkstätten und Versicherungsagenturen bekannt machen. Normalerweise erhält man Aufträge aufgrund von Weiterempfehlungen unter Rechtsanwälten oder Werkstätten. Unter Umständen hat man auch in seiner Praxiszeit als Angestellter in einem Sachverständigenbüro bereits einschlägige Kontakte geknüpft, die einem erste Aufträge als Selbständiger bringen.
Wichtig ist auch der Eintrag im Branchenfernsprechbuch. Die beste, weil in der Regel immer noch eindrucksvollste Werbung ist natürlich die Bestellung und Vereidigung durch die Industrieund Handelskammer und die Aufnahme in deren Sachverständigenliste. Auch die Mitgliedschaft im Berufsverband unterstützt die Akquisitionsbemühungen erheblich, weil sie eine solide fachliche Qualifikation voraussetzt.
Als Selbständiger kommt man nicht umhin, den privaten Versicherungsschutz zu überdenken. Zudem sollte die Firma zumindest gegen existenzbedrohende Risiken absichert sein. Hinzu kommen Risiken, die aus der Geschäftstätigkeit erwachsen und bei anderen, z.B. Kunden, Schaden verursachen können.
Die Schadensmöglichkeiten sind je nach Betrieb sehr unterschiedlich und lassen sich nur durch eine Risikoanalyse erfassen. Danach werden die erforderlichen Versicherungen abgeschlossen. Erhebliche Risiken sollten auf alle Fälle versichert werden, für Bagatellschäden kann man selbst aufkommen. Wichtig sind Betriebsunterbrechungsversicherungen, die zusätzlich zu den entsprechenden Sachversicherungen, wie Feuer, Sturm oder Maschinenschaden abgeschlossen werden. Unabdingbar sind Haftpflichtversicherungen für Schäden, die die Mitarbeiter im Rahmen der betrieblichen Tätigkeit verursachen.
KONTROLLFRAGEN
DER KFZ SACHVERSTÄNDIGE
1. Nennen Sie die Voraussetzungen für eine Vereidigung als Kfz-Sachverständiger!
2. Welche Aufgaben gehören in das Tätigkeitsfeld eines Kfz-Sachverständigen? Nennen Sie auch die persönlichen Voraussetzungen, die von einem KfzSachverständigen erwartet werden!
3. Beschreiben Sie, welchen Aufgaben ein Unfallgutachten gerecht werden soll!
4. Welche Angaben soll ein Gutachten in der Kfz-Bewertung enthalten?
DIE TÄTIGKEIT DES KFZ SACHVERSTÄNDIGEN
5. Beschreiben Sie, welche Funktion eine Geschwindigkeitsrückrechnung für ein Unfallgutachten besitzt und welcher gedankliche Ansatz dabei zum Tragen kommt!
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