Sie hätte nur ihren hübschen vorlauten Mund aufmachen müssen. Konnte sie doch sonst auch sehr gut. Im Sachen an den Kopf werfen war Charlotte einsame Spitze!
Thomas schüttelte den Kopf. Charlotte, der Alptraum seiner schlaflosen Nächte.
Missmutig schob er die Küchentür auf. Er sah sich um, entdeckte sie aber erst auf den zweiten Blick.
Sie beugte sich gerade über eine dunkelblaue Tasche und wühlte darin herum. Zwischen drin unterbrach sie immer wieder seufzend und schniefend was auch immer sie tat. Tom wollte sie nicht eiskalt erwischen, weswegen er laut und vernehmlich an die Schwingtür klopfte. Charlotte fuhr herum und Tom konnte einen Sekundenbruchteil gute Sicht auf ihre laufende Nase, ihr verschmiert es Make-up und ihre roten Augen erhaschen.
Shit!, dachte er sich. Er wollte eigentlich nur kurz vorbei kommen und „Hi“ sagen, aber klar, bei Diva Charlotte war gar nichts einfach.
„Was willst du hier?“, fuhr sie ihn hektisch an, während sie ihm den Rücken zu drehte, so dass er ihr Gesicht nicht mehr sehen konnte.
Vom her Saal drang Tanzmusik zu ihnen herein. Offenbar trug sich der Veranstalter mit der Idee die Leute tanzen zu lassen, um sie so von dem Vorfall abzulenken Er würde auch gern tanzen. Norah wäre bestimmt schon mitten im Getümmel, wild ihre blonde Mähne werfend.
„Ich wollte nach dir sehen“, sagte er ruhig zu Charlotte.
Die gab nur ein spöttisches Lachen von sich. „Als ob. Hast du meinen Anhänger? Und was hast du eigentlich mit dem Lederband angestellt?“, zickte sie ihn an. Dann drehte sie sich ihm wieder zu, strich die langen glatten Haare hinter die Ohren, so dass er freie Sicht auf ihr Gesicht hatte.
Tom starrte verblüfft. Wie war das möglich? Eben noch sah sie aus wie quer durch den Schlamm gezogen und jetzt, keine Minute später stand da eine schöne, sorgfältig geschminkte Frau, an deren Maske keine Spur des Dramas zu entdecken war! „Faszinierend!“, entfuhr es ihm.
„Danke für das Kompliment, aber dafür kann ich mir nichts kaufen, also, der Anhänger?“, sagte sie streng.
„Wie hast du das hingekriegt?“, er war verwundert.
„Oh bitte!“, sagte Charlotte sarkastisch.
Tom kniff die Augen zusammen. „Der Anhänger hängt da wo er hingehört“, meinte er.
Charlotte lächelte dünn. „Du willst es echt wissen oder?“
Tom zuckte nur die Schultern. „Wie konnte ich ahnen, das der dir so wichtig ist? Wo du ihn in London zurück gelassen hast. Abgesehen davon, ich bin sicher, wir können uns einig werden. Norah liebt die Flocke. Ich würde sagen…“, er kramte nach seinem Portemonnaie, "ich würde sagen ich gebe dir Fünfzig Euro und die Sache ist bereinigt?“
Er hob den Kopf und sah wie Charlotte mit vor Empörung offenem Mund vor ihm stand. „Ich glaube ich höre schlecht?“, fauchte sie.
„Nein nein, fünfzig Euro “, versicherte er ihr und hielt ihr den Geldschein hin.
„Der Anhänger“, begann sie mit schriller Stimme, stockte und er sah, wie sie die Lippen aufeinander presste, als sie um ihre Fassung rang. Sie holte tief Luft und sprach in ruhigerem Tonfall weiter: „Der Wert des Anhängers ist unbezahlbar für mich. Außerdem gehört er zu mir. Der ist unverkäuflich. Eben so gut könntest du versuchen Regan zu kaufen!“
„Ach ja Regan.“ Er ließ den Namen ihrer Tochter einige Sekunden im Raum zwischen ihnen stehen, bevor er grinsend fragte: „Wie gehts der Kleinen? Wo ist sie überhaupt? Sicherlich hast du die jetzt für diese Nachtschicht nicht auch irgendwo aus Versehen liegen lassen, hmm?“
Kurz darauf ertönte ein lautes Klatschen und er hielt sich die Wange auf der ihr Handabdruck zu sehen war. „Autsch. Nicht schlecht. Den Teil hatte ich schon fast vergessen“, murmelte er.
„Du bist mal ein echter Dreckstyp!“, fauchte Charlotte und stürmte an ihm vorbei nach draußen. Mitten auf die Tanzfläche, wo sich Norah in aller Lebensfreude wie ein goldener und hellgrüner Brummkreisel drehte.
Charlotte griff ruppig nach ihr und dann nach dem Kettchen, dass um Norahs Hals hing. Tom hörte Norah kreischen, aber es war schon zu spät. Charlotte hatte schon was sie wollte und stürmte aus dem Saal. Zum größten Vergnügen aller Schaulustigen durch die Vordertür.
Müde schlurfte Charlotte aus dem Aufzug und kramte den Schlüssel zu ihrer kleinen Wohnung im siebten Stock des Hochhauses hervor.
Als sie die Tür hinter sich zuzog und in dem kleinen fast viereckigen Flur stand, kam ihr Jackie entgegen. „Schon?“, fragte sie leise.
Aus dem kleinen Zimmer gegenüber dem Flur war Regans leises Schmatzen zu vernehmen. Charlotte nickte geknickt. Dann brach sie wieder in Tränen aus, presste die Hände panisch vor den Mund. Wenn sie so weiter machte würde sie nur Regan und ihre Freundin wecken.
Jackie, nahm ihr die Sporttasche ab und bugsierte sie in das links gelegene Wohnzimmer in dem sich auf einem kleinen Sofatisch Stapel an Papierkram häuften.
„Na nu komm erst mal Mäuschen. Ist doch allet halb so schlimm. Was war denn los?“, erkundigte sie sich bei der immer noch von einem Heulkrampf geschüttelten Charlotte.
„Er war da“, kiekste Charlotte. Sie konnte kaum atmen, der Kummer lag ihr wie tausend Steine auf der Brust.
„Wer war da?“, fragte Jackie und zog Charlotte in den Lichtschein der Sofalampe. „Oh man siehst du scheiße aus“, teilte sie ihr dann wahrheitsgemäß mit.
Charlotte lächelte traurig. „Tom war da“, flüsterte sie dann.
„Wie jetze? Tom? Dein Tom?“
Charlotte nickte.
Jackies pinkfarbener Kurzhaarschopf glühte im gelben Licht der Lampe und sie zog die Brauen zusammen. „Wat macht der n da? Kellnert der och?“
Charlotte schüttelte den Kopf. „Nein, er kellnert nicht“, sagte sie mit zitternder Stimme.
Jackie zog die Augenbrauen hoch. „Charlie“, sagte sie in einem warnenden Tonfall und Charlotte seufzte, als sie sah, wie Jackie sie anstarrte. „Was hast du verjessen mir zu erzähln?“, fragte Jackie.
„Wenn ich es dir sage, versprichst du mir dann, dass du nicht ausflippst und es für dich behalten kannst?“, flüsterte Charlotte und beäugte die andere misstrauisch.
Jackie nickte. „Klar doch“, sagte sie.
„Tom Donoghue“, sagte Charlotte. Mehr nicht.
Jackie sah sie fassungslos an. "Momentchen mal! Du willst mir ehrlich erzählen, du hattest wat mit Tom Tod aller Frauen Donoghue?“ Jackies Augen waren groß wie Unterteller. „Du hattest wat mit nem Star?“, wiederholte sie.
Charlotte nickte.
Jackie pfiff. Dann stand sie auf und lief eine Weile im Wohnzimmer auf und ab, wobei sie immer wieder stehen blieb und Charlotte kopfschüttelnd ansah.
„Dit is doch“, murmelte sie in einer Tour, „dit glob ick jetz nich. Brat ma einer nen Storch! Da haste wat mit nem Star und dit sagste mir nich?“
Charlotte zuckte die Schultern. „Wie hätte ich das denn sagen sollen?“, meinte sie leise. „Das ist nichts was man mal eben so zwischen Tür und Angel sagt.“
„Allerdings!“, schnaubte Jackie „Allerdings. Dit is n Ding.“ Wieder schüttelte sie den Kopf. „Ist die Kleene etwa auch von ihm? Hat se deswegen son Namen?"
Charlotte schüttelte stumm den Kopf und starrte auf ihre Hände. „Nein. Tom war nach Regans Geburt. Vor nicht ganz einem Jahr.“
„Ah“, sagte Jackie und nahm ihren Parcours im Wohnzimmer wieder auf. „Und nu?“, fragte sie Charlotte.
„Was und nun?“
„Wat willste nun machen?“, fragte Jackie.
Charlotte starrte sie eine Weile an. „Nichts“, sagte sie dann. „Was sollte ich schon machen wollen?“
Jackie zuckte die Schultern. „Ick wees nich. Ick mein, wir reden hier von Tom Donoghue! Musste da nich irgjendwat machen?“
Charlotte dachte nach. „Nein“, sagte sie. „Warum sollte ich?“
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