Leider sah der Alltag meistens ganz anders aus.
Manchmal glaubte ich, ich wäre im Kindergarten oder in einem Irrenhaus. Bevor ich hier beschäftigt war, hatte ich keine Vorstellung davon, dass sich erwachsene Menschen überhaupt so unkollegial und widerwärtig benehmen können. Aber weil ich immer an das Gute im Menschen glaube, versuchte ich die Hintergründe für die diversen Verhaltensweisen der Mitarbeiter zu verstehen. In den regelmäßigen Teamsitzungen sprach ich diese Themen offen an, damit wir gemeinsam nach Auswegen für die bei uns herrschenden zwischenmenschlichen Probleme suchen und diese in der Folge bewältigen konnten. Auch wenn alle meist einsichtig reagierten, ging der tägliche Kleinkrieg weiter.
Da wurde geklatscht und getratscht, leise hinter vorgehaltener Hand getuschelt, über das Privatleben einer Kollegin, die noch immer keinen festen Freund hatte. Mit ihrem Aussehen würde sie sowieso keinen Mann mehr abbekommen, spottete man in boshafter Weise.
Über eine schon etwas ältere Krankenschwester lästerte man, dass sie auch immer schusseliger werde. Eigentlich gehöre sie schon zum „alten Eisen“, man sollte sie endlich davon überzeugen, in Altersteilzeit zu gehen, denn sie wäre sowieso andauernd krank und könnte mit den technischen Geräten nicht mehr adäquat umgehen. Eigentlich wäre sie wirklich nicht mehr zu gebrauchen.
Dazwischen kam es während der Dienstzeit immer wieder zu lautstarken, sehr aggressiven Diskussionen zwischen zwei Mitarbeiterinnen. Die eine beschuldigte die andere, sie arbeite zu langsam, und sie selbst müsse daher zu viel leisten und würde sich in Zukunft weigern mit dieser Kollegin weiterhin zusammen zu arbeiten.
Wieder andere setzten sich an den Schreibtisch und vertrieben sich die Zeit am Computer mit Internet und facebook, weil sie der Ansicht waren, sie hätten ihren Teil der Arbeit schon erledigt und der andere Teil ginge sie nichts an.
Manche Pflegeperson fühlte sich nur für eine gewisse Anzahl von Patienten verantwortlich und wenn die für den offensichtlich anderen Teil der Patienten zuständige Kollegin gerade beschäftigt war, weigerte sich die Pflegeperson, sich um deren Patienten zu kümmern. Man hörte Sätze wie: „Was geht denn mich das an? Soll sie doch schauen, wie sie mit ihrer Arbeit fertig wird!“
Ich war über solche Aussagen äußerst entsetzt und versuchte die Mitarbeiter aufzufordern, doch wie gute Kollegen zusammenzuarbeiten und sich gegenseitig zu unterstützen. Von vielen meiner Mitarbeiter wusste ich, in welch schwierigen persönlichen Situationen sie oft privat steckten und konnte auch meist nachfühlen, warum sie im täglichen Leben und in ihrer Arbeit so überlastet waren. Diese Informationen behandelte ich selbstverständlich mit höchster Diskretion. Einige der Kollegen hatten mir im Vertrauen ihr Herz ausgeschüttet über ihre privaten Schwierigkeiten und es tat mir oft leid, dass sie durch ihre Mitmenschen so wenig Unterstützung erhielten. Natürlich für alle, aber vor allem für diese Mitarbeiter, war ein angenehmes Arbeitsklima so wichtig. Besonders in unserem sozialen Beruf hoffte ich da doch auf wesentlich mehr Einfühlungsvermögen und Mitgefühl.
Immer wieder waren geringfügige Anlässe die Ursache dafür, dass aus Kolleginnen erbitterte Feindinnen wurden. Eine Mitarbeiterin wollte während der Arbeitszeit mehr frische Luft und öffnete daher die Fenster im Behandlungsraum, die andere Kollegin klagte daraufhin, sie könnte keine Zugluft ertragen, und schon wieder ergab sich ein aggressiven Wortwechsel. Eine Mitarbeiterin bestand darauf, die Rollos zu schließen, die Sonne würde sie bei der Arbeit stören, worauf die Kollegin patzig erwiderte, sie fühle sich hier wie im Gefängnis, das wäre ja nicht auszuhalten bei so herrlichem Wetter. Keine der Beteiligten war zu einem Kompromiss oder zu einem freundlicheren Umgangston bereit.
Es gab Mitarbeiter, die sich anfangs so sympathisch waren, dass sie sogar ihre private Freizeit miteinander verbrachten. Sie unternahmen Ausflüge oder besuchten sich regelmäßig zu Hause, wurden dicke Freundinnen und erzählten sich die intimsten Gefühle und Ereignisse aus ihrem Privatleben. Irgendwann kam es dann zu Tratschereien oder einem Vertrauensbruch zwischen ihnen und ab diesem Zeitpunkt gab es keine schlimmeren Feindinnen. Wenn sie sich während der Arbeitszeit begegneten, musste man aufpassen, dass sie sich nicht gegenseitig fast an die Gurgel gingen. Jede der Betroffenen versuchte nun, die andere bei allen Kollegen im Team schlecht zu machen. Jegliche im Vertrauen erfahrene Intimität wurde nun an die große Glocke gehängt und vor allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern breit getreten. Das verhasste Gegenüber sollte sich in der Klinik nicht mehr sehen lassen können. Jeder sollte alle privaten Peinlichkeiten erfahren und die einst geliebte Freundin wurde in so haarsträubender Weise dargestellt, dass man hätte vermuten können, es handle sich um ein schreckliches Monster. Manche Mitarbeiter lachten dann in der Runde herzlich über die privaten Geheimnisse ihrer Kollegin, man bauschte die Geschichten noch auf, die negativen Gerüchte wuchsen ins Unendliche und die Betroffene fand kaum eine Chance, die oftmals erdichteten Lügenmärchen zu entkräften. Bei Dienstwechsel wurden die Neuigkeiten und üblen Nachreden munter weiter verbreitet, aber das verletzende Getuschel verstummte sofort, wenn die betroffene, inzwischen von den Kolleginnen argwöhnisch beäugte Mitarbeiterin sich näherte. Mit so einer Person wollten die meisten natürlich nichts mehr zu tun haben und man begann, sie nirgends mehr teilhaben zu lassen. Sie wurde ständig ausgegrenzt, man hielt sie von jeglichen Informationen fern und stellte ihr während der Arbeitszeit boshafte Fallen, denen sie hilflos zum Opfer fiel, was wieder zur Belustigung beitrug.
Mit vermittelnden Gesprächen konnte ich die Kontrahentinnen auch nicht mehr zur Vernunft bringen. Die einzige Möglichkeit bestand für mich, bei der Personaleinteilung peinlichst genau darauf zu achten, dass sich übel gesinnte Personen nicht zu oft über den Weg liefen oder miteinander in den Dienst eingeteilt waren. Die Dienstplangestaltung entpuppte sich mit der Zeit für mich als „Drahtseilakt“. Besonders während der Urlaubszeiten oder bei vermehrten Krankenständen war ich froh, wenn noch genügend Personal zur Verfügung stand, um den Betrieb der Klinik aufrecht zu erhalten. Da erschien es wirklich überflüssig, noch auf die Feindschaften zwischen den einzelnen Mitarbeitern achten zu müssen. Sie kamen mir manchmal vor wie in einem Hunderudel, in dem sich rivalisierende Mitglieder drohen, gegenseitig vor Angriffslust zu zerfleischen. Mit vernünftigem Menschenverstand konnte ich überhaupt nichts ausrichten.
An manchen Tagen war die Atmosphäre in unserem Behandlungsraum wie vergiftet. Man spürte die bedrohliche Aggression zwischen Mitarbeitern, die sich nicht leiden konnten und nichts unversucht ließen, ihre Arbeitskollegen anzuschwärzen, zu erniedrigen und in jeglicher Weise fertig zu machen. Nichts ließen die Kontrahenten unversucht, um sich die Arbeitszeit gegenseitig so unangenehm wie möglich zu gestalten. Entweder wurde lautstark gestritten oder stundenlang demonstrativ geschwiegen. Oftmals wurde das Schweigen nicht einmal gebrochen, um die wichtigsten dienstlichen Mitteilungen weiterzugeben. Es war ein gnadenloses und unerbittliches Vorgehen.
Natürlich war immer jeder von beiden das Opfer, der andere hatte angefangen, sich daneben zu benehmen und schien auf jeden Fall der alleinige Sündenbock zu sein.
Oft hoffte ich, dass unsere Patienten die angespannte Atmosphäre zwischen den Mitarbeitern nicht zu spüren bekamen.
Immer wieder führte ich Vermittlungsgespräche zwischen den Widersachern, versuchte auszusöhnen und zu schlichten, sowie Kompromisse unter den Betroffenen auszuhandeln. Man versprach, diese in Zukunft einzuhalten, aber schon beim nächsten Zusammentreffen kochten die Emotionen über und lautstarke Auseinandersetzungen folgten.
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