Aber plötzlich – was ist geschehen? – ändert Fouché seinen Ton. Mit seiner feinen Witterung spürt er von ferne, der Wind im Konvent muß plötzlich umgeschlagen haben, denn auf seine grellen Exekutionsfanfaren tönt seit einiger Zeit kein rechtes Echo zurück. Seine jakobinischen Freunde, seine atheistischen Gesinnungsgenossen Hébert, Chaumette, Ronsin, sind auf einmal schweigsam geworden – sehr schweigsam und für immer, denn unerwartet zugreifend hat sie die unbarmherzige Hand Robespierres an der Gurgel gepackt. Zwischen den Allzuwilden und Allzumilden immer geschickt hin- und herpendelnd, bald nach rechts, bald nach links sich die Ellbogen freimachend, hat sich dieser moralische Tiger plötzlich aus dem Dunkel auf die Ultraradikalen geworfen. Er hat veranlaßt, daß Carrier, der in Nantes genau so radikal ersäufte, wie Fouché in Lyon füsilierte, zur Berichterstattung vor die Versammlung gefordert wird; er hat durch seinen Seelenknecht Saint-Just in Straßburg den wilden Eulogius Schneider auf die Guillotine holen lassen; er hat atheistische Volksschauspiele, wie Fouché sie in der Provinz und in Lyon gefeiert, öffentlich als Dummheiten gebrandmarkt und in Paris abgestellt. Und scheu und gehorsam wie immer folgen die beunruhigten Abgeordneten seinem Wink.
Die alte Angst überkommt Fouché: nicht mehr bei der Majorität zu sein. Die Terroristen sind umgelegt – wozu also länger Terrorist sein? Lieber rasch hinüber zu den Gemäßigten, zu Danton und Desmoulins, die jetzt ein »Tribunal der Milde« fordern, nur rasch den Mantel umgehängt nach der neuen Richtung des Windes. Plötzlich, am 6. Februar, befiehlt er, die Mitrailladen einzustellen, und nur zögernd setzt die Guillotine (von der er in seinen Pamphleten behauptet hat, sie arbeite zu langsam) ihren Dienst fort, schäbige zwei, drei Köpfe höchstens am Tag, wahrhaftig eine Kleinigkeit, verglichen mit den früheren Nationalfesten auf der Ebene von Brotteaux. Dafür schaltet er mit einemmal seine ganze Energie gegen die Radikalen ein, gegen die Veranstalter seiner Feste und Exekutoren seiner Befehle, aus einem revolutionären Saulus wird plötzlich ein humaner Paulus.
Glatt wirft er sich auf die Gegenseite, bezeichnet die Freunde Chaliers als eine »Arena der Anarchisten und des Aufruhrs«, löst brüsk ein oder zwei Dutzend revolutionäre Komitees auf. Und nun geschieht etwas sehr Merkwürdiges: die verängstigte, zu Tode erschreckte Bevölkerung von Lyon sieht auf einmal in dem Helden der Mitrailladen, Fouché, ihren Retter. Und die Revolutionäre von Lyon wiederum schreiben einen wütenden Brief nach dem andern, ihn der Lauheit, des Verrates und der »Unterdrückung der Patrioten« zu beschuldigen. Diese kühnen Wendungen, diese frechen Hinüber am hellichten Tag ins andere Lager, diese Fluchten zum Sieger sind Fouchés Geheimnis im Kampf. Und sie allein haben ihm das Leben gerettet. Er hat nach beiden Seiten gespielt. Wird er nun in Paris der übergroßen Milde angeschuldigt, so kann er auf die tausend Gräber hindeuten und auf die zerschmetterten Fassaden von Lyon. Klagt man ihn wiederum als Schlächter an, so vermag er sich auf die Anklagen der Jakobiner zu berufen, die ihn wegen seines »Moderantismus«, seiner allzu großen Mäßigung beschuldigen. Er kann, je wie der Wind weht, aus der rechten Tasche einen Beweis für Unerbittlichkeit und aus der linken für Menschlichkeit hervorholen, er kann jetzt sowohl als der Henker wie als der Retter von Lyon auftreten. Und tatsächlich, mit diesem geschickten Taschenspielertrick ist es ihm ja auch später gelungen, die ganze Verantwortung für die Massaker seinem offenherzigeren und geradlinigeren Kollegen Collot d'Herbois um den Hals zu hängen. Aber nur die Nachwelt gelingt es ihm zu täuschen: unerbittlich wacht in Paris Robespierre, der Feind, der ihm nicht verzeihen kann, daß er seinen eigenen Mann, Couthon, aus Lyon verdrängt hat. Er kennt vom Konvent her diesen Doppelzüngigen, unbestechlich verfolgt er alle diese Wendungen und Schiebungen Fouchés, der sich jetzt eilig vor dem Gewitter ducken will. Und das Mißtrauen Robespierres hat eiserne Krallen: ihnen entkommt man nicht. Am zwölften Germinal erzwingt er im Wohlfahrtsausschuß das drohende Dekret an Fouché, sofort nach Paris zu kommen und sich wegen der Vorgänge in Lyon zu verantworten. Der selbst grausam drei Monate zu Gericht gesessen, muß nun selbst vor das Tribunal. Vor das Tribunal, weshalb? Weil er zweitausend Franzosen in drei Monaten massakrieren ließ? Als Kollege Carriers und der andern Massenhenker, möchte man vermuten. Aber jetzt erst erkennt man die politische Genialität dieser verblüffend frechen letzten Wendung Fouchés: nein, er hat sich zu verantworten, die radikale »Société populaire« unterdrückt, die jakobinischen Patrioten verfolgt zu haben. Der »Mitrailleur de Lyon«, der Exekutor von zweitausend Opfern ist angeklagt – unvergeßliche Farce der Geschichte! – des edelsten Vergehens, das die Menschheit kennt: der übergroßen Menschlichkeit.
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