Stefan Zweig - Joseph Fouché
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Das ist die erste der berühmten Mitrailladen Joseph Fouchés, des späteren Ministers eines allerchristlichsten Königs, und stolz rühmt sich ihrer am nächsten Morgen eine flammende Proklamation: »Die Volksrepräsentanten werden fühllos bei der ihnen aufgetragenen Mission bleiben, das Volk hat in ihre Hände den Donner seiner Rache gelegt, und sie werden ihn nicht lassen, ehe nicht alle Feinde der Freiheit zerschmettert sind. Sie werden den Mut haben, über weite Gräberreihen von Verschwörern hinwegzuschreiten, um über Ruinen zum Glück der Nation und zur Erneuerung der Welt zu gelangen.« Noch am selben Tage wird dieser traurige »Mut« abermals durch die Kanonen von Brotteaux mörderisch bekräftigt und an einer noch stattlicheren Herde. Diesmal sind es zweihundertzehn Stück Schlachtvieh, die mit auf den Rücken gebundenen Händen hinausgeführt und in wenigen Minuten durch das gehackte Blei der Kartätschen und durch Salven der Infanterie umgelegt werden. Die Prozedur bleibt dieselbe, nur erleichtert man den Fleischerknechten diesmal das unbequeme Handwerk, indem man ihnen erläßt, nach so anstrengender Massakrierung auch noch Totengräber ihrer Opfer zu sein. Wozu noch Gräber für diese Schurken? Man zieht die blutigen Schuhe von den verkrallten Füßen, dann wirft man die nackten und oft noch zuckenden Kadaver einfach in das strömende Grab der Rhone.
Aber selbst diesem schauerlichen Horror, den das ganze Land und die Weltgeschichte angeekelt empfindet, legt Joseph Fouché noch den beschwichtigenden Mantel hymnischer Worte um. Daß die Rhone verpestet wird von diesen nackten Leichen, rühmt er als politische Tat, weil sie, hinabschwimmend bis nach Toulon, dort sinnliches Zeugnis der unerbittlichen fürchterlichen republikanischen Rache ablegen. »Es tut not,« schreibt er, »daß die blutigen Kadaver, die wir in die Rhone werfen, beide Ufer entlang bis an ihre Mündung, zum infamen Toulon schwimmen, damit sie vor den Augen der feigen und grausamen Engländer den Eindruck des Schreckens und das Bildnis der Volks-Allmacht verdeutlichen.« In Lyon freilich ist eine solche Verdeutlichung nicht mehr nötig, denn Hinrichtung folgt auf Hinrichtung, Hekatombe auf Hekatombe. Die Eroberung Toulons begrüßt er »mit Freudentränen« und außerdem damit, daß er zur Feier des Tages »zweihundert Rebellen vor die Mündung der Gewehre schickt«. Vergeblich bleibt jeder Ruf nach Gnade. Zwei Frauen, die zu leidenschaftlich um die Freigabe ihrer Männer vor dem Blutgericht gefleht hatten, werden gebunden neben der Guillotine aufgestellt, niemand auch nur in die Nähe des Hauses der Volksbeauftragten gelassen, um Milderungen zu erbitten. Aber je wilder die Gewehre knattern, um so lauter dröhnen die Worte der Prokonsuln: »Ja, wir wagen es zu behaupten, wir haben viel unreines Blut vergossen, aber einzig aus Menschlichkeit und Pflicht ... Wir werden den Blitz, den ihr in unsere Hände gelegt habt, nicht lassen, bevor ihr es nicht durch euren Willen bekundet habt. Bis dahin werden wir fortfahren, ohne Unterbrechung unsere Feinde niederzuschlagen, wir werden sie in der vollkommensten, fürchterlichsten und schnellsten Weise ausrotten.«
Und sechzehnhundert Hinrichtungen in wenigen Wochen bezeugen, daß diesmal ausnahmsweise Joseph Fouché die Wahrheit gesprochen hat.
Über die Organisation dieser Schlächtereien und ihre selbstbegeisterten Berichte vergessen Joseph Fouché und sein Kollege nicht den traurigen anderen Auftrag des Konvents, den sie in Lyon zu erfüllen haben. Gleich am ersten Tage führen sie Klage nach Paris, die anbefohlene Demolierung der Stadt habe sich unter ihrem Vorgänger »zu langsam« vollzogen – »nun werden die Minen das Werk der Zerstörung beschleunigen, schon haben die Sappeure begonnen zu arbeiten, und innerhalb zweier Tage werden die Bauwerke von Bellecourt in die Luft fliegen.«
Diese berühmten Fassaden, unter Ludwig dem Vierzehnten begonnen, von einem Schüler Mansards erbaut, sind, weil die schönsten, als erste zum Untergang bestimmt. Mit Brutalität werden die Bewohner dieser Häuserreihen ausgetrieben, und Hunderte von Arbeitslosen, Männer und Frauen, schmettern in wenigen Wochen sinnloser Zerstörung die prachtvollen Kunstwerke zusammen. Die unglückselige Stadt hallt wider von Seufzern und Stöhnen, von Kanonenschüssen und stürzenden Mauerwerken; während das Komitee »de justice« die Menschen umlegt, das Komitee »de demolition« die Häuser, führt das Komitee »des substances« gleichzeitig in rücksichtsloser Weise die Requisition der Lebensmittel, Stoffe und Wertgegenstände durch. Jedes Haus wird vom Keller bis zum Dach durchstöbert nach versteckten Menschen und verborgenen Kostbarkeiten, überall waltet der Terror der beiden Männer, die, selbst unsichtbar und unzugänglich, von Posten geschützt, in einem Hause sich verborgen halten, Fouché und Collot.
Schon sind die schönsten Paläste niedergerissen, die Gefängnisse, obwohl immer aufs neue vollgepfropft, halb geleert, die Kaufläden ausgeräumt und die Felder von Brotteaux mit dem Blute von tausend Menschen getränkt, da endlich entschließen sich ein paar kühne Bürger (es kann ihnen den Kopf kosten!), nach Paris zu eilen und dem Konvent eine Bittschrift zu überreichen, er möge doch nicht die ganze Stadt dem Erdboden gleichmachen lassen. Selbstverständlich ist der Text dieser Bitte sehr vorsichtig, sogar kriecherisch gehalten, auch sie beginnen feige mit einer Verbeugung und rühmen das herostratische Dekret als eins, »das vom Genie des römischen Senats diktiert zu sein scheint«. Dann aber bitten sie um »Gnade für die aufrichtige Reue, für die verirrte Schwäche, Gnade – wir wagen es zu sagen – für die verkannten Unschuldigen«.
Aber rechtzeitig sind die Konsuln von der verdeckten Anklage verständigt worden, und mit der Eilpost saust Collot d'Herbois als der Beredtere nach Paris, um rechtzeitig den Schlag zu parieren. Am nächsten Tage hat er die Kühnheit, im Konvent und bei den Jakobinern die Massenhinrichtungen, statt sie zu entschuldigen, noch als eine Form der »Humanität« zu rühmen. »Wir wollten«, sagt er, »die Menschheit von dem furchtbaren Schauspiel zu vieler aufeinanderfolgender Hinrichtungen befreien, darum beschlossen die Kommissäre, an einem Tage alle Verurteilten und Verräter auf einmal zu vernichten; dieser Wunsch entsprang einer wirklichen Gefühlsregung (véritable sensibilité),« und bei den Jakobinern begeistert er sich noch inbrünstiger für das neue »humanitäre« System. »Ja, wir haben zweihundert Verurteilte mit einer Salve niedergeschmettert, und man macht uns einen Vorwurf daraus. Weiß man denn nicht, daß auch dies noch ein Akt der Gefühlsmäßigung war! Wenn man zwanzig guillotiniert, so sterben die letzten zwanzigmal voraus, hier aber gingen zwanzig Verräter gemeinsam zugrunde.« Und tatsächlich, diese abgenutzten Phrasen, hastig aus dem blutigen Tintenfaß des revolutionären Jargons herausgeholt, machen Eindruck, der Konvent und die Jakobiner nehmen Collots Erklärungen zustimmend auf und geben damit den Prokonsuln einen Freibrief zu weiteren Exekutionen. Am gleichen Tage feiert Paris die Beisetzung Chaliers im Pantheon – eine Ehre, die bisher nur Jean Jacques Rousseau und Marat erwiesen worden war, – und seine Konkubine erhält wie die Marats eine Pension. Öffentlich ist damit der Märtyrer zum Nationalheiligen gemacht und jede Gewalttätigkeit Fouchés und Collots als berechtigte Rache gebilligt.
Immerhin: eine gewisse Unsicherheit hat sich doch der beiden bemächtigt, denn die gefährliche Situation im Konvent, das Schwanken zwischen Danton und Robespierre, zwischen Mäßigung und Terror, erfordert erhöhte Vorsicht. So beschließen die beiden, die Rollen zu teilen: Collot d'Herbois bleibt in Paris, um die Stimmung in den Komitees und dem Konvent zu überwachen, jeden möglichen Angriff im voraus mit seiner brutalen Rednervehemenz niederzudröhnen, die Fortsetzung der Massaker bleibt der »Energie« Fouchés zugeteilt. Dies ist wichtig, festzustellen, daß während jener Zeit Joseph Fouché unumschränkter Alleingebieter war, denn in geschickter Weise hat er später versucht, alle Gewalttätigkeiten auf seinen offenherzigeren Kollegen abzuschieben: aber die Tatsachen zeigen, daß auch in der Zeit, da er allein gebietet, die Sense nicht minder mörderisch sauste. Vierundfünfzig, sechzig, hundert Menschen am Tage werden hingeknattert, auch in der Abwesenheit Collots stürzen die Mauern nieder, werden Häuser gebrandschatzt und die Gefängnisse durch Exekutionen geleert, und immer noch überbrüllt Joseph Fouché seine eigenen Taten mit begeisterten Blutworten: »Die Urteile dieses Tribunals mögen dem Verbrecher Schreck einflößen, aber sie beruhigen und trösten das Volk, das ihnen Gehör schenkt und sie billigt. Zu Unrecht denkt man von uns, wir hätten den Schuldigen auch nur ein einziges Mal die Ehre einer Begnadigung erwiesen: wir haben nicht eine einzige gewährt!«
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