So ungefähr lautet die Übersetzung aus dem Altdeutschen, der wenig schmeichelhaften ersten urkundlichen, also eigentlich amtskundlichen, Erwähnung eines der Unseren. Des ersten Hockenstett und damit des Urvaters einer Dynastie von Faulpelzen. Denn weiter unten im überlieferten und auf wunderbare Weise erhalten gebliebenen Urteil, wobei das Original leider in den Wirren des Zweiten Weltkrieges verlustig ging aber dessen beglaubigte Abschrift sich irgendwo im Familienbesitz befindet, erfährt das damals anwesende, sensatioslüsterne, mit weit offenen Mäulern und großen Augen gaffende Gerichtspublikum - und somit auch wir interessierte und nicht weniger sensationsgierige Nachgeborene - sowohl von der drakonischen, wenn auch gerechtfertigten, Strafe, die das anno dazumal zuständige Dorfgericht für zumindest angebracht hielt, als auch den Namen des Delinquenten:
„Darum verurteilen wir den hier wenigstens physisch anwesenden Lorencz Hoggenstad, sobald er aus seinem Schlummer erwachet ist, denn das ganze Prozedere und überhaupt die ganze Gerichtsverhandlung scheinen ihn gar übermäßig ermüdet zu haben, zu nicht weniger als 2 (in Worten: zwei) ganzen Monaten schwersten Frondienstes auf den Ländereien der armen Witwe Babelotzky, und darüber hinaus, unter Androhung der peinlichen Befragung, zur Herausgabe seines Rezeptes für das als gar überaus köstlich geltende Hühnchen in feiner Weinsauce.“
Das hat gesessen! Das Publikum begrüßte das Urteil, gegen das wie damals üblich keinerlei Einspruch oder Revision möglich war, ob seiner Weisheit und wohl auch seiner angebrachten Härte mit größtem Wohlwollen und zustimmendem Geraune. Und auch die Tatsache, dass es - das Publikum, das zum größten Teil aus der Einwohnerschaft des Dorfes und einiger umstehender, verstreut liegender Weiler und Gehöfte bestand - ebenfalls in absehbarer Zeit in den Genuss des so überaus wohlschmeckenden Hähnchengerichts kommen würde, von dem schon lange gemunkelt wurde und so manch phantastische als auch köstliche Gerüchte kursierten, sorgte für begeisterten Applaus.
Es begab sich nämlich, dass der vorsitzende Richter, und auch dies war zu dieser Zeit nicht nur üblich sondern sogar ganz selbstverständlich, ident war mit dem Herrn der lokalen Burg. Es handelte sich dabei übrigens um Graf Lynhartt, den Wohlgenährten, von Abenberg. Und seine Burg war eigentlich ein Witz! Denn Abenberg, so hieß die Burg, das Dorf und das ganze nähere Umland, lässt sich heute ungefähr mit „der am Fuß eines Berges wohnt“ übersetzen. Und genau da lag seine Burg. Am Fuße des stolzen, beinahe 499 Meter hohen, wie man ihn damals nannte, „Hohenberg“. Und dort war sie - gelinde gesagt - sinnlos. Bot sie doch ob ihrer Lage keinerlei Überblick über das Gelände, über das ein potentieller Feind in das Land einmarschieren konnte, so dass sie im Frühwarnsystem der übergeordneten Landesfürsten eine Rolle spielen konnte, noch einen so atemberaubenden Ausblick, den andere Burgherren von den Zinnen ihrer hochgelegenen Festungen genießen durften. Auch konnte sie mangels ausgeklügelter Fortifizierungen und sonstiger Verteidigungsanlagen, auf deren mühevolle Anlegung offensichtlich verzichtet wurde, und nicht zuletzt aufgrund des Fehlens eines, womöglich mit Wasser gefüllten, Burggrabens nebst zugehöriger Zugbrücke nur sehr unzureichend gegen erwähnte Eindringlinge verteidigt werden. Alles bedauerliche Umstände bzw. Versäumnisse, die der Burg und ihren Bewohnern im Laufe ihrer, trotz allem langen, Geschichte das eine oder andere Mal zum Verhängnis werden sollten.
Aber das wäre Stoff für ein anderes, und das können Sie, verehrte Leser, getrost glauben, spannendes und abenteuerliches Buch. Nicht unerwähnt sollte jedoch bleiben, wie es - angeblich - zu diesen fatalen Missständen, die sich alsbald als wirkliche Unannehmlichkeiten erweisen sollten, kam. Es wird nämlich - natürlich nur unter vorgehaltener Hand und ganz im Vertrauen - gemunkelt, dass einer der Vorfahren derer von Abenberg, damals hießen sie allerdings noch schlicht Machleyth, ein rechter Filou gewesen sein soll. Jedenfalls soll ein gewisser Sewastian Machleyth ein Techtelmechtel mit einer - man ahnt es schon - Eltzabet Hoggenstad gehabt haben! Frucht dieses Abenteuers sei angeblich, nichts Genaues weiß man nicht, ein Sohn gewesen sein, dem man den schönen Namen Jecklein gab. Eltzabet, die ohnehin von der - sie wissen schon - „unstillbaren Leidenschaft“ Sewastians, der neunmonatigen Schwangerschaft und nicht zuletzt von der mühevollen Niederkunft ziemlich erledigt war, beschloss, dass sie das ihrige getan hatte und sich ab nun Sewastian und seine Familie um das Balg kümmern sollten. So geschah es auch und Jecklein wurde - langsam - erwachsen. Irgendwann dann, mangels anderer Geschwister oder Halbgeschwister, denn Sewastian dürfte sich mit Eltzabet ziemlich verausgabt haben, wurde Jecklein daher als legitimer Erbe mit allen Rechten und Pflichten anerkannt. Und eine der Pflichten, die von leider nicht mehr nachvollziehbarer Seite im Alter von 27 Jahren auf ihn zukam, war der Auftrag eine Burg zu errichten. Er konnte zu diesem Behufe auf ein, naja, fürstliches wäre untertrieben, Budget zugreifen und widmete sich fortan als Jecklein Machleyth mit - für seine Verhältnisse - Feuereifer dieser Aufgabe. Unglücklicherweise konnte er für die Bauarbeiten nur auf die Arbeitskraft der ansässigen Bevölkerung zurückgreifen, unter denen sich eine erhebliche Zahl von Hoggenstads und deren Abkömmlingen befand. Deren Natur gemäß ging der Baufortschritt eher schleppend vor sich. Aber schon drei Generationen später - Jecklein hatte längst das Zeitliche gesegnet, das Budget war nahezu aufgebraucht bzw. schon weit überschritten, was auch der Tatsache geschuldet war, dass Jecklein einen Großteil des Geldes in den Aufbau eines Hühnerhofes investierte, was ihm sinnvoller erschien als die doofe Zitadelle - stand die Burg. Zwar nicht, wie ursprünglich geplant, auf dem Gipfel des Hohenberges, was zwar sinnvoll aber wirklich viel zu mühsam gewesen wäre, all die Tonnen von Steinen da hinauf zu schleppen, aber immerhin am Fuße des Berges. Und ohne alle Extras. Und so kam Dieterich Machleyth, der Ur-Großenkel von Sewastian, zu seinem neuen Namen: Dieterich „der Baumeister“ von Abenberg und war, wenn wir uns nicht verrechnet haben, der Ur-Ur-Ur-Großvater von Lynhartt von Abenberg, der gerade Lorencz Hoggenstad an diesem strahlend schönen Dienstag zu zwei Monaten Frondienst verdonnert hat. Pech für ihn und alle seine Nachfahren. Hätten seine Vorgänger es geschafft, ihre Knechte und Bediensteten dazu zu bewegen die Burg in uneinnehmbarer Position, exponiert auf dem Gipfel des Berges zu platzieren, wäre sie nie eingenommen worden, eine Vielzahl wilder Horden und fremder Heere hätte niemals in das Land einfallen und es wiederholte Male verwüsten und brandschatzen können, sie wären reich und über alle Grenzen hinaus berühmt geworden, hätten in höchste Adelskreise einheiraten können und vor allem würden sie heute wahrscheinlich „Hohenberg“ heißen. Ein Name, der doch wesentlich mehr hermacht als Abenberg.
Aber all das ist nur Tratsch aus längst vergangenen Zeiten und ein verwandtschaftliches Verhältnis derer von Abenberg und derer von Hockenstett durch keinerlei schriftliche Aufzeichnungen zu belegen. Und da wir - also ich, der Erzähler, und Erich von Gaens, Familienmitglied, Chronist und Autor - uns bei der Erzählung der Geschichte derer von Hockenstett ausschließlich auf historisch belegbare Tatsachen beschränken wollen, kehren wir nunmehr in das Jahr 1313, das Jahr der ersten schriftlichen Erwähnung eines Hockenstett und das erste uns bekannte Jahr einer urkundlich belegten Verurteilung wegen Hühnerdiebstahls zurück.
Das Publikum dieser Gerichtsposse, und als solche, und nur als solche, sollte die Verhandlung unserer Meinung nach, wie bald vielleicht nicht begründet aber zumindest vermutet wird, angesehen werden, applaudierte gerade frenetisch dem Urteil des Dorfrichters. Besagter Graf Lynhartt von Abenberg, auch bekannt unter dem Namen „Richter Scharf“ - nicht zu verwechseln mit dem verrückten Kylian Paditz, der als Scharfrichter ganz andere Aufgaben zu verantworten hatte - und ebenfalls bekannt unter dem Namen „Hühnerbaron“ war, so wie ihm natürlich auch das gesamte nähere Umland - in diesem Fall nur das nähere, weil es handelte sich naturgemäß - Sie wissen schon, popelige, kleine Burg, am Fuße eines Berges usw. - nur um ein ganz kleines, eher unbedeutendes Lehen über das er verfügte und somit gab es in seinem Besitz kein weiteres Umland - auch Eigentümer des Dorfwirtshauses „Zum fröhlichen Gockel“. Aus besagtem Mangel an weiterem Umland konnte er auf keine größeren Erträge aus dem Zehent auf landwirtschaftliche Erträge seiner geknechteten Untertanen hoffen, und somit stellte das Wirtshaus die größte Einnahmequelle des Burgherren dar. Neben dem, bereits von Jecklein Machleyth gegründeten und seit Generationen im Familienbesitz befindlichen, Hühnerhofes, dessen Erzeugnisse aber zu einem Gutteil dem Eigenbedarf, also zum persönlichen Verzehr, den Bewohnern der Burg Abenberg zukamen.
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