„Ich musste nicht lange nachdenken“, begann er, und Simlon spürte, wie die Spannung im Raum stieg. „Die ernüchternde Wahrheit ist, dass die Möglichkeit, den Fürsten zu besiegen, beinahe ausgeschlossen scheint.“ Enttäuschtes Gemurmel wurde laut.
„Und weshalb sind wir dann überhaupt hier?“, fragte Tringard spöttisch. „Wenn wir sowieso nichts zu gewinnen haben, weshalb habt Ihr uns dann unser Leben riskieren lassen, um Euch zu treffen?“ Dieses Mal ließ der Weise die Kritik nicht auf sich sitzen, denn er versetzte Tringard einen eisern tadelnden Blick, der so gestochen scharf war, dass Tringard erschrocken zusammenzuckte.
„Wirklich, Tringard? Du willst mich schon wieder auf die Probe stellen? Es täte dir gut, deine Gedanken im Zaum zu halten, bis ich fertig gesprochen hat, wenn es nicht unter deiner Würde ist“, sagte er sachlich und ohne die Stimme zu erheben, und doch war klar, dass es besser nicht unter Tringards Würde sein sollte, den Weisen aussprechen zu lassen. Tringard vermied eingeschüchtert den Augenkontakt. Simlon schmunzelte.
„Aber im Grunde, Jomera, hat Tringard nicht Recht?“, schaltete sich nun auch Kigror ein wenig beschützerisch ein.
„Was macht einen wahren Krieger aus?“, sagte Jomera, erstmals offenkundig ungeduldig. „Dass er Weisheit und Kraft zu vereinen weiß. Das habe ich beim letzten Mal bereits gesagt und unter Weisheit fällt nun mal auch zuzuhören, und nicht nur das zu hören, was man hören will.“
„Wie könnt ihr…“, begann Kigror, leicht aufbrausend.
„Er sagte `beinahe´“, sagte Simlon. Ein Unwohlsein breitete sich in ihm aus, als sich alle Köpfe zu ihm drehten, und er wieder errötete, doch seine Stimme blieb stark. „Er sagte, es gibt `beinahe´ keine Möglichkeit, nicht wahr? Das schließt nicht aus, dass es wohl doch eine gibt.“ Einen Moment dachte er, er läge falsch und habe sich zur Lachnummer gemacht, doch dann seufzte Jomera.
„Genau das habe ich. Die Wahrheit steckt so oft in nur einem einzigen Wort. Unterschätzt nie die Macht der Wörter.“ Er schien sich kurz zu sammeln. „Wie dem auch sei. Die Macht des Fürsten ist durch und durch außergewöhnlich. Auf dem Gebiet der Magie ist er ein übermenschlicher Meister, der von keinem anderen Lebewesen Niradas gestoppt werden kann. Woher diese Macht stammt, ist mir vollkommen unbekannt. Wir wissen nichts. Nur ihre allumfassende Kraft ist real, und sie lässt es unmöglich erscheinen, dass der Fürst jemals von einem Menschen besiegt werden könnte.“ Simlon schluckte und merkte, wie sich seine Brust zusammen zog bei diesen Worten. Der Weise fuhr fort. „In der Tat hat sich seine Magie im Verlauf der letzten Jahre so bedrohlich entwickelt, dass dieses Unterfangen tatsächlich unmöglich sein dürfte. Zwei jedoch…“ und er wartete einen Moment, um seinen Worten Nachdruck zu verleihen. „Zweien könnte gelingen, was für einen unmöglich ist.“
„Was meint Ihr damit, Weiser?“ fragte Kigror schnell.
„Die Legende. Oder Prophezeiung wäre wohl das besser passende Wort. Die Prophezeiung des Einen und der Anderen.“
„Prophezeiung? Was besagt sie?“, fragte Kigror begierig und erhob sich halb aus seinem Stuhl.
„Dass Zweien das gelingen kann, was Einem nicht möglich ist. Sie besagt, dass bevor des Fürsten Macht seine Spitze erreicht, eine neue aufkommen wird, die die des Fürsten herausfordern wird. Zwei Auserwählte werden sich dem Herrscher Dragons in den Weg stellen, und ihr Schicksal entscheidet über das von Nirada.“ Ein kurzes Schweigen trat ein und die Kerzen flackerten auf.
„Zwei Auserwählte? Wer? Und wann werden sie sich Nirada offenbaren?“ Kigrors Stimme überschlug sich.
„Ich denke nicht, dass die beiden wissen, wozu sie berufen sind. Und selbst wenn sie es täten, könnten sie uns nicht beide gleichzeitig ihre Identität offenbaren.“
„Wie meint ihr das?“, knurrte Leoror.
„Dazu nämlich“, erklärte der Weise ruhig, „müssten sie beide in Nirada sein. Aber so ist es nicht. Einer der beiden befindet sich in der anderen Dimension.“ Die Männer riefen durcheinander, und auch Simlon war äußerst beunruhigt vom dem, was der Weise gerade gesagt hatte. Es war kein Geheimnis, dass eine solche andere Dimension existierte, und doch war es etwas, vor dem sich jeder zu fürchten schien.
„Aber wie soll er uns denn von dort aus von Nutzen sein?“, fragte Kigror, offensichtlich zornig, als wäre es Jomeras Schuld, dass der Auserwählte nicht bereits neben ihm stand.
„Indem der andere Auserwählte ihn in seiner Dimension aufsucht und gemeinsam mit ihm nach Nirada zurückkehrt. Ich denke, es soll eine Art Prüfung sein, um die Tapferkeit und das Geschick der Auserwählten auf die Probe zu stellen, ehe sie sich ihrem Gegner als würdig erweisen können.“
„Aber es ist völlig unmöglich, die Dimensionen zu durchqueren“, warf Tringard erhitzt ein, „es gibt keinen Weg…“
„ Oh, doch, den gibt es ganz sicher“, sagte Jomera seelenruhig, als widerlege er eine äußerst dumme Theorie. „Sie werden durch die Dimensionstore gehen.“
„Das ist unmöglich“, sagte Kigror finster, „Diese Tore sind Legenden! Es gibt sie nicht wirklich.“
„Sie existieren“, antwortete Jomera, und Simlon meinte eine Spur Überheblichkeit in seinem Ton festmachen zu können. „Und, wie es der Zufall will, habe ich eines gefunden." Nun hielt die Männer nichts mehr am Tisch, sie standen auf und begannen durcheinander zu schreien.
„Ruhe“, forderte der Weise laut, „es gibt keinen Grund sich gleich wie Barbaren aufzuführen.“
„Aber, Weiser, was Ihr uns damit sagt, ist eindeutig: Der Fürst wird bezwungen werden, und wir können endlich wieder den Frieden genießen“, sagte Kigror, nun schallend vor Freude.
„Genau das“, sagte der Weise „sage ich nicht. Die Prophezeiung besagt lediglich, dass eine neue Macht aufkommen wird. Ob sie größer sein wird, als die des Fürsten steht in den Sternen. Die Auserwählten haben einen langen und harten Weg vor sich.“
„Aber wer?“, fragte Kigror erneut und begierig lechzend, „wer ist dieser Mann, der unsere einzige Hoffnung ist?“
„Mann?“, der Weise lachte, „Welcher ausgewachsene Mann könnte solche Kräfte haben, ohne sie zu bemerken? Nein, die Rede ist von Kindern, Kigror, von Heranwachsenden, die gemeinsam mit ihrer Kraft wachsen können. Du fragst, wer es ist? Nun, das ist der Grund, warum ich euch erneut hier zusammen gerufen habe. Denn er ist unter euch.“
„Dann kann es nur Tringard sein“, rief Kigror und klopfte hart auf den Tisch, „nur er ist stark genug, um dieser Aufgabe gewachsen zu sein!“ Jubelrufe brachen aus, und die Männer warfen Tringard bewundernde Blicke zu, doch Simlon sah im Gesicht des Weisen, dass das letzte Wort noch nicht gefallen war.
„Du liegst wieder falsch, Kigror“, sagte der Weise, als fände er langsam Gefallen daran, den Statthalter zu belehren. Und im nächsten Moment dämmerte Simlon was er damit sagen wollte.
„Tringard ist nicht schwach, aber in ihm schlummert nichts von der Begabung, nach der ich so lange Zeit gesucht habe.“
„Aber das bedeutet…“, begann Leoror und Simlon sah, wie bei ihm der Groschen fiel, der bei ihm selbst eben schon gefallen war.
„Richtig. Nicht Tringard ist der Auserwählte. Es ist Simlon.“
Kapitel 2 - Schatten über London
Der junge, dunkelhaarige Mann mit dem rabiaten Blick lungerte an einer Straßenecke. Er folgte den drei Touristen, die durch die Innenstadt Roms spazierten, nun schon eine ganze Weile. Geduldig wartete er darauf, dass die drei - eine Frau, ein Mann und ein etwa fünfzehnjähriger Junge - von der Straße in eine der vielen verwinkelten Nebenstraßen abbogen, von denen es so viele in diesem Teil der Stadt gab.
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