Die Moderatorin beugte sich so weit vor, wie es im Sessel eben ging, strich sich eine Strähne aus dem Gesicht und ging zur Attacke über: „Herr Heinrich Weinrich, wenn ich es richtig beobachtet habe, zeigten Sie mir bei der Vorstellung der Gäste einen Vogel. Womit habe ich das verdient?“ Weinrich lehnte sich Entspannung demonstrierend zurück, streckte seine langen Beine von sich, antwortete langsam aber ohne erkennbares Zögern: „Verehrte Frau Karolin, für Ihre verdammte Quote biegen Sie wohl alles hin in Ihrem Sinn. Es ist mir eine Qual, wenn Sie behaupten, ich sei nicht normal. Ein Psychiater hat mir bescheinigt, in meinem Kopf sei alles bestens bereinigt. Ich bin nicht krank, Gott sei Dank.“
Die Moderatorin stellte die Frage, die sich wohl alle Zuschauer stellten: „Warum, in drei Teufels Namen, reden Sie denn nicht wie alle Menschen ganz normal ohne Reime, sondern riskieren sogar Ihren Job als Chefreporter einer renommierten deutschen Tageszeitung?“
Mir schien, auf diese Frage hatte sich Heinrich vorbereitet, da er schnell antwortete: „Ausschließlich in Reimen zu reden und zu schreiben, daran wird sich so mancher reiben. Doch bei mir ist dies kein innerer Zwang, sondern entspringt poetischem Drang. Per Reim zu kommunizieren, bedeutet Lust zu generieren.“ Bei diesem Satz lächelte er. Eva fand, diabolisch.
Nun erst stellte die Talkshow-Domina ihren letzten Gast ausführlich vor, schilderte seinen beeindruckenden Lebenslauf als Kriegs- und Krisenreporter, zeigte ihn auf Fotos aus dem Archiv im Interview mit prominenten Politikern, Managern, Schriftstellern, zitierte aus den Lobreden während diverser Preisübergaben und schloss mit der Frage: „Herr Weinrich, kennen Sie diesen Sponti-Spruch: ‚Erst kommt der Reim, dann kommt der Sinn. Sinnverlust ist Lustgewinn.‘ Kann man überhaupt sinnvoll ausschließlich gereimt reden, oder wird der Sinn eines Satzes strapaziert, vielleicht so lange, bis der Sinn dem Reim zum Opfer fällt?“
Heinrich zupfte sich am rechten Ohrläppchen, eine typische Verlegenheitsgeste. In mir wuchs die Anspannung wie vor einem Eckstoß. Doch ihm fiel auch darauf eine Antwort ein: „Ein Sponti-Spruch ist nie genuch. Denn die Lust am Reim sucht mich immer wieder heim. Wollen Sie mich aufs Glatteis führen, werden Sie schnell verlieren. Denn im Reimen bin ich große Klasse, da rag’ ich aus der Masse.“
Jetzt spendierte das Publikum Heinrich Weinrich erstmals Beifall. Er nutzte sofort die Vorlage und schleimte sich mit triumphierend erhobenen Armen ein: „Das Publikum ist gar nicht dumm.“
Karolin leicht säuerlich: „Sie haben meine Frage noch nicht beantwortet: Dehnen Sie den Sinn, bis es mit dem Reim hinhaut?“
Weinrich: „Jeder Reim macht Sinn. Ganz ehrlich, liebe Karolin.“
Sie giftete: „Duzen wir uns?“
Weinrich: „Wenn’s dient der Poesie, dann duze ich Sie.“
Jetzt lachten die Zuhörer.
Ernsthaft fragte sie nun nach, ob er eines Tages plötzlich von der ständigen Lust am Reim erfasst worden, oder ob dies ein allmählicher Prozess gewesen sei.
Genauso ernsthaft antwortete er, obgleich es lustig klang: „Gern habe ich gereimte Überschriften formuliert, das hat mich nie geniert. Beispiele gibt es viele: ‚Ist der Bundespräsident in seinem Schlosse eingepennt?‘, oder: ‚Die Bundeswehr ist ungeheuer, erstens Mist und zweitens teuer‘, oder: ‚Die Bundesbank macht uns alle krank.‘ Erst kürzlich fasste ich dann den Entschluss, dass ich künftig immer lustvoll reimen muss.“
Nun schlug sie ein Spiel vor: „Ich nenne Ihnen einen Begriff und Sie reimen oder du reimst einen halbwegs sinnvollen Satz dazu. Okay?“
Weinrich: „Okay, denn es tut nicht weh!“ – „Liebe!“ – „Ich liebe deine Triebe.“ – „Hass!“ – „Ich empfinde Hass, sehe ich ein leeres Whisky-Fass.“ – „Sofa!“ – „Ein Mofa gehört nicht aufs Sofa.“ – „Honorar!“ – „Eines ist klar, am Ende der Sendung krieg’ ich ein fettes Honorar.“
Lautes Lachen. Beifall. Die Moderatorin ließ sich nichts anmerken, guckte wertneutral.
Sie: „Bett!“ – „Sex ist eine Himmelsmacht, selbst wenn das Bett zusammenkracht.“ – „Politik!“
Er dachte etwas länger nach: „Politik ist in Deutschland alles andere als chic. Wer in diesem Land will was gelten, übt sich im Politiker-Schelten.“
Sie: „Migräne!“ – „Ich wähne, du hast wieder mal Migräne.“
Kurzes Zögern, Blick ins Publikum, Fortsetzung: „Dein Unpässliches hat so etwas Verlässliches. Was mach’ ich jetzt mit meinem Ständer? I love me tender.“
Die Gäste im Studio grölten. Eva neben mit klatschte in die Hände, rief: „Toll! Toll! Ein Genie!“
Ihre Euphorie ging mir auf den Keks. Ich fand ja auch, dass Heini sich ganz gut schlug, denn das Spiel ging noch ein wenig weiter, heiter weiter, bis Karolin es abmoderierte: „Meine Damen und Herren, Sie haben heute Abend eine weltexklusive Premiere erlebt. Noch niemals zuvor wurde in der Geschichte der Fall eines Menschen, sei er nun psychisch krank oder nicht, dokumentiert, der von einem auf den anderen Tag nur noch reimend redet und schreibt.“
Deutlich hörbar, wenn auch nicht im Bild, quatschte Heinrich Weinrich in die Abmoderation hinein: „Talkshow am Abend – erquickend und labend.“
Eva hatte sich während der letzten Sendeminuten eng an mich geschmiegt. Ich solle, so riet sie mir, Heini Weini unbedingt noch ein paar Zeilen schreiben. Sie hatte auch schon einen Textvorschlag, den sie mir prustend vortrug: „Wer niemals sinnlos reimen tut, vor dem sei auf der Hut.“
Ich fragte mich, ob man auch von Johannisbeersaft besoffen werden kann.
Am Morgen nach der Reim-Show brachte ich Eva zum Flughafen. Da ich am Wochenende gearbeitet hatte, wenn auch am Sonntag nur wenige Stunden, gerade lange genug, um die steuerfreie 75-Euro-Pauschale dafür abzugreifen, hatte ich frei.
Im Briefkasten fand ich verabredungsgemäß Wagenschlüssel und Dokumente des Testwagens, den ich heute für unseren Autoredakteur fahren und beurteilen durfte. Ich mache mir eigentlich nicht viel aus Kraftfahrzeugen. Denn die, die ich mir leisten kann, interessieren mich nicht, und die, die mich interessieren, kann ich mir nicht leisten. Doch unser Autoredakteur war – wieder mal – ohne Führerschein. Er hatte mir anvertraut, er sei seinen Lappen losgeworden, weil er erneut zu schnell gefahren sei. Ich glaubte ihm das nicht, sondern war mir sicher, er hatte zu viele Promille im Blut und wurde dabei erwischt. Selbstverständlich verpetzte ich den verzweifelten Kollegen nicht. Wir trafen eine Verabredung, die für uns beide von Vorteil war. Solange er lappenlos zu Fuß gehen musste, fuhr ich die Testwagen, sagte ihm, was ich gut und was schlecht fand und er schrieb alles brav auf und veröffentlichte es unter seinem Namen. Win win.
Heute erwartete mich eine mattsilberne Mercedes-S-Klasse. Eva, schon in ihrer schmucken Lufthansauniform, entfuhr ein: „Wow! Hast du heimlich Lotto gespielt und gewonnen?“ Während ich ihren Rollkoffer verstaute, klärte ich sie kurz auf; gestern hatte ich vergessen, ihr von dem Deal mit dem PS-Kollegen zu erzählen. Sie stieg ein, die Tür machte ein sattes „Plopp“, Eva schnupperte den Geruch des feinen Leders und fühlte sich „wie die Queen“. Da fiel mir natürlich sofort der Schmeichelsatz ein: „Du bist ja auch meine Queen.“
Anfangs hatten wir noch das Lokalradio an. Dort wurde die Vorsitzende der Grünen im Stadtrat interviewt. Sie regte sich gerade über die gereimte Kolumne von Heinrich Weinrich vom Samstag auf. Das tat sie so ungeschickt und tief betroffen, dass Eva wenig damenhaft meinte: „Wenn ich Heinrich Weinrich wäre und würde jetzt hören, was für einen Scheiß die grüne Tussi da von sich gibt, da würd‘ ich mir glatt einen runterholen.“
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