Titelseite H. G. Wells Der Krieg der Welten Motto „Wer aber soll hausen in jenen Welten, wenn sie bewohnt sein sollten?... Sind wir oder sie die Herren des Alls?... Und ist dies alles für den Menschen gemacht?“ Kepler, zitiert in Burtons ›Anatomie der Melancholie‹, 1621
1. Am Vorabend des Krieges
2. Die Sternschnuppe
3. Auf der Horsell-Weide
4. Der Zylinder öffnet sich
5. Der Hitzestrahl
6. Der Hitzestrahl in der Chobham Road
7. Wie ich nach Hause kam
8. Freitagnacht
9. Der Kampf beginnt
10. Im Sturm
11. Am Fenster
12. Was ich von der Zerstörung von Weybridge und Shepperton gesehen habe
13. Wie ich mit dem Kuraten zusammentraf
14. In London
15. Was in Surrey geschah
16. Der Exodus aus London
17. Die ›Thunder Child‹
1. Unterwegs
2. Was wir von dem zerstörten Haus aus erblickten
3. Die Tage der Gefangenschaft
4. Der Tod des Kuraten
5. Die Stille
6. Das Werk von fünfzehn Tagen
7. Der Mann auf dem Putney Hill
8. Das tote London
9. Die Verwüstung
Schlusswort
Impressum
H. G. Wells
Der Krieg der Welten
Motto
„Wer aber soll hausen in jenen
Welten, wenn sie bewohnt sein sollten?...
Sind wir oder sie die Herren
des Alls?... Und ist dies
alles für den Menschen
gemacht?“
Kepler, zitiert in Burtons
›Anatomie der Melancholie‹, 1621
Erstes Buch – Die Ankunft der Marsianer
1. Am Vorabend des Krieges
Niemand hätte in den letzten Jahren des 19. Jahrhunderts geglaubt, dass unser menschliches Tun und Lassen beobachtet werden könnte; dass andere Intelligenzen, größer als die menschlichen und doch ebenso sterblich, uns bei unserem Tagwerk fast ebenso eindringlich belauschen und erforschen könnten, wie ein Mann mit seinem Mikroskop jene vergänglichen Lebewesen erforscht, die in einem Wassertropfen ihr Wesen treiben und sich darin vermehren. Mit unendlichem Behagen schlenderte die Menschheit mit ihren kleinen Sorgen kreuz und quer auf dem Erdball umher, in gelassenem Vertrauen auf ihre Herrschaft über die Materie. Es ist möglich, dass die Infusorien unter der Lupe dasselbe tun. Niemand dachte daran, dass älteren Weltkörpern Gefahren für die Menschheit entspringen könnten. Jede Vorstellung, dass sie bewohnt sein könnten, wurde als unwahrscheinlich oder unmöglich aufgegeben. Es ist seltsam, sich heute der geistigen Verfassung jener vergangenen Tage zu entsinnen. Es kam höchstens vor, dass Erdenbewohner sich einbildeten, es könnten Wesen auf dem Mars leben, minderwertige vielleicht, jedenfalls aber solche, die eine irdische Forschungsreise freudig begrüßen würden. Aber jenseits des gähnenden Weltraums blickten Geister, uns überlegen wie wir den Tieren, ungeheure, kalte und unheimliche Geister, mit neidischen Augen auf unsere Erde. Bedächtig und sicher schmiedeten sie ihre Pläne gegen uns. Und zu Beginn des 20. Jahrhunderts kam die große Ernüchterung.
Der Planet Mars, ich brauche den Leser kaum daran zu erinnern, dreht sich in einer mittleren Entfernung von 140.000.000 Meilen (eine englische Meile = 1,61 km) um die Sonne. Und er empfängt von ihr kaum halb so viel Licht und Wärme wie wir. Wenn die Nebularhypothese nur im Geringsten richtig ist, muss er älter sein als unsere Erde, und lange, ehe unser Planet zu schmelzen aufgehört hatte, muss das Leben auf seiner Oberfläche bereits begonnen haben. Weil er kaum den siebten Teil des Volumens unserer Erde erreicht, muss seine Abkühlung bis zu der Temperatur, bei der Leben beginnen konnte, sich beschleunigt haben. Er besitzt Luft und Wasser und alles Nötige zur Erhaltung von Lebewesen.
Doch so eitel ist der Mensch und so verblendet durch seine Eitelkeit, dass bis zum Schluss des 19. Jahrhunderts nicht ein einziger Schriftsteller jemals dem Gedanken nähertrat, dass dort geistiges Leben überhaupt oder sogar weit über das irdische Maß hinaus entstehen könnte. Auch wurde aus den Tatsachen, dass der Mars älter ist als unsere Erde, dass er nur den vierten Teil ihrer Oberfläche besitzt und dass er weiter von der Sonne entfernt ist, nie der zwingende Schluss gezogen, dass er nicht nur von den Anfängen des Lebens entfernter, sondern auch dessen Ende näher ist.
Die allmähliche Abkühlung, die auch unserem Planeten bevorsteht, hat bei unserem Nachbarstern schon große Fortschritte gemacht. Seine physische Beschaffenheit ist im Ganzen noch ein Geheimnis. Doch wissen wir jetzt, dass selbst in seinen äquatorialen Regionen die Mittagstemperatur kaum jene unseres kältesten Winters erreicht. Seine Luft ist viel dünner als die unsere, seine Meere sind so weit zurückgetreten, dass sie kaum mehr ein Drittel seiner Oberfläche bedecken, und während des langsamen Wechsels seiner Jahreszeiten bilden sich ungeheure Schneekoppen, die an jedem Pol schmelzen und seine gemäßigten Zonen periodisch überfluten. Jenes letzte Stadium der Erschöpfung, für uns noch so unglaublich entfernt, ist für die Marsianer eine Tagesfrage geworden. Der unmittelbare Druck der Not hat ihren Verstand geschärft, ihre Kräfte erhöht, ihre Herzen verhärtet. Und indem sie den Weltraum überblickten, sahen sie, ausgerüstet mit Werkzeugen und Geistesgaben, die wir uns kaum träumen lassen, in nächster Entfernung, nur 35.000.000 Meilen sonnenwärts, einen Morgenstern der Hoffnung: unseren eigenen, wärmeren Planeten, grün vor Vegetation, grau vor Wasser, mit einer wolkigen Atmosphäre, die Fruchtbarkeit andeutet und bei klarer Sicht den Blick auf breite Streifen bevölkerten Landes und schmale, dicht befahrene Seen freigibt.
Und wir Menschen, die diesen Stern bewohnen, müssen den anderen mindestens so fremdartig und niedrig erscheinen wie die Affen und Lemuren uns. Der intellektuelle Teil der Menschheit gibt bereits zu, dass das Leben ein unaufhörlicher Kampf ums Dasein ist; und es scheint, dass dieser Glaube auch von den Marsbewohnern geteilt wird. Auf ihrem Stern ist die Abkühlung schon weit fortgeschritten. Diese Welt ist noch voller Leben, aber in ihren Augen ist es nur minderwertiges, tierisches. Den Krieg sonnenwärts zu tragen ist wirklich ihre einzige Rettung vor der Vernichtung, die von Geschlecht zu Geschlecht immer näher an sie heranschleicht.
Und bevor wir sie zu hart beurteilen, müssen wir uns erinnern, mit welcher schonungslosen und grausamen Vernichtung unsere eigene Gattung nicht nur gegen Tiere wie den verschwundenen Bison und den Dodo (Anm.: flugunfähiger Nachtvogel, Mauritius und Indischer Ozean), sondern gegen unsere eigenen inferioren Rassen gewütet hat. Die Tasmanier wurden trotz ihrer Menschenähnlichkeit in einem von europäischen Einwanderern geführten Vernichtungskrieg binnen fünfzig Jahren völlig ausgerottet. Sind wir solche Apostel der Gnade, dass wir uns beklagen dürfen, wenn die Marsleute uns in demselben Geist bekriegen?
Die Marsleute scheinen ihren Angriff mit erstaunlicher Genauigkeit berechnet zu haben – ihre mathematischen Kenntnisse sind den unsrigen offenbar weit überlegen – und ihre Vorbereitungen trafen sie mit fast vollkommener Einmütigkeit. Hätten unsere Instrumente es erlaubt, so hätten wir die drohende Gefahr schon früh im XIX. Jahrhundert sehen können. Männer wie Schiaparelli (Anm.: Giovanni Schiaparelli,1835–1910) beobachteten den roten Planeten – beiläufig bemerkt: Ist es nicht seltsam, dass seit ungezählten Jahrhunderten Mars der Stern des Krieges gewesen ist? – , aber sie waren außerstande, die schwankenden Erscheinungen zu erklären, die sie auf ihren Karten so genau verzeichneten. Während dieser ganzen Zeit müssen die Marsleute sich gerüstet haben.
Im Verlauf der Opposition von 1894 wurde auf dem erhellten Teil der Scheibe ein großes Licht wahrgenommen, zuerst im Lick-Observatorium, dann von Perrotin in Nizza, später auch von anderen Beobachtern. Englische Leser hörten zuerst davon in einer Nummer der „Nature“ vom 2. August. Ich bin der Ansicht, dass die Erscheinung der Reflex des in einer ungeheuren Vertiefung ihres Planeten angebrachten Geschützes war, aus dem ihre Geschosse auf uns gefeuert wurden. Sonderbare, noch unaufgeklärte Zeichen wurden in der Nähe jenes Ausbruchs während der nächsten zwei Oppositionen beobachtet.
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