Die Kritiken sind für Verdi günstig, wenngleich nicht ganz dem Publikumserfolg entsprechend. Die Gazzetta musicale di Milano veröffentlicht eine detaillierte Werkkritik, die in zwei Fortsetzungen am 19. und 26. Februar 1843 erscheint und Verdi als einen „der wenigen Ruhmesbringer der italienischen Musik“ bezeichnet. Die Interpreten werden nur kurz gestreift:
Hier [im 2. Akt] wird von Oronte (Guasco) eine Arie [La mia letizia infondere] gesungen, die voll von lieblichen Weisen ist und dem Sänger nicht weniger als dem Komponisten eine Fülle an Applaus beschert. [...] Diese ganze Szene [das Finale II] ist so feurig inspiriert, und wird von der Frezzolini so energisch und leidenschaftlich vorgetragen, daß sie eine wunderbare Wirkung erzielt und die gesamte Zuhörerschaft eines Sinnes ist, sich von der schönen Musik berauschen und hinreißen zu lassen und der phänomenalen Leistung der ausgezeichneten Schauspielerin zu applaudieren. [...] Und auch hier [im 4. Akt] zeigt die Frezzolini soviel Sicherheit und Beherrschung der Gesangskunst, daß man es wirklich als überraschend bezeichnen muß.[155]
Siebenundzwanzig Mal wird die Oper in dieser Saison an der Scala aufgeführt. Ricordi kauft die Partitur und druckt sie sofort, ein untrügliches Zeichen für den Erfolg. Anfänglich werden die Lombardi mit wechselndem Erfolg in Italien (Venedig, Florenz) nachgespielt, zwei Jahre später ist die Oper bis Odessa, Barcelona, Berlin, Bukarest, St. Petersburg vorgedrungen. 1846 hört man sie in in London und Wien, im Jahr darauf in New York, danach in Kuba, Südamerika usw. Im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts nehmen ihre Aufführungen ab und bleiben vorwiegend auf Italien beschränkt, im 20. Jahrhundert erlebt das Werk eine weltweite Renaissance.
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ach den ersten Aufführungen der Lombardi , denen Verdi traditions- und vertragsgemäß beiwohnt, unternimmt der neunundzwanzigjährige Komponist seine erste Auslandsreise. Sie führt ihn nach Wien, wo er Anfang April 1843 im Kärntnerthortheater zur Eröffnung der Fastenspielzeit zwei Vorstellungen seines Nabucco mit Teresa De Giuli Borsi, Giorgio Ronconi, Francesco Severi und Prosper Dérivis mit seinem „kleinen Stab“ dirigiert.[156] In der kleinen Rolle der Fenena ist Francesca Salvini zu hören, die unter dem Namen Fanny Salvini-Donatelli als Protagonistin der Uraufführung von La traviata in die Gesangsgeschichte eingehen wird.
Hier erreicht ihn ein Brief des Grafen Alvise Francesco Mocenigo, des Präsidenten des Direktoriums des Teatro La Fenice in Venedig. An diesem Opernhaus war 1842 der Nabucco unter allgemeinem Jubel nachgespielt worden, es wird in Verdis Karriere bis 1857 eine bedeutende Rolle spielen. Von den in diesem Zeitraum komponierten siebzehn Opern (die Revisionen nicht eingerechnet) werden drei Meisterwerke – Ernani, Rigoletto und La traviata – für das Teatro La Fenice komponiert und dort uraufgeführt werden; der düstere Simon Boccanegra wird erst nach seiner Umarbeitung 1881 als anerkanntes Meisterwerk in die Musikgeschichte eingehen. Der Verdi-Forscher Marcello Conati stellt die These auf, daß Verdi Venedig – dessen Kultur jahrhundertelang den Mittelmeerraum und Europa beeinflußt hat und das Mittlerin zwischen Osten und Westen gewesen ist – als jene Stadt betrachtet, in der er seine an zeitgenössischen Theaterstücken (Hugo, Dumas) inspirierten Opern mit ihren für die damalige Zeit und Musikwelt gewagten Themen (die Geschichten eines Banditen, eines Hofnarren und einer Prostituierten) quasi experimentell aufführen kann.[157]
In seinem Brief schlägt Mocenigo Verdi die Komposition einer neuen Oper eigens für Venedig vor. Verdi weiß glücklicherweise nicht, daß ein solches Angebot gleichzeitig auch an Mercadante, Donizetti, Pacini und Nini (in dieser Reihenfolge, mit Verdi an letzter Stelle) ergangen ist. Während Mercadante als einziger auf das Angebot nicht reagiert, stellt Donizetti eine irrwitzige Forderung (30.000 Francs), das Sechsfache des von Nini begehrten Honorars. Die Wahl wird letztendlich auf Verdi fallen, weil der Bürgermeister von Venedig, Giovanni Correr, der gemäß den Statuten des Teatro La Fenice die Entscheidungen des Direktoriums des Opernhauses absegnen muß, sich für ihn ausspricht.
Verdi beantwortet das Schreiben auf der Rückreise nach Italien und leitet damit einen umfangreichen Briefwechsel ein, der als faszinierendes Dokument des italienischen Musiklebens jener Zeit überliefert ist. Verdi – in künstlerischen und finanziellen Angelegenheiten ein gleichermaßen harter Verhandler – hat schon zu Beginn der Verhandlungen präzise Vorstellungen über den Arbeitsablauf:
Ich könnte die komplett fertiggestellte Partitur nicht bis zum 15. Dezember abliefern: ich könnte allerdings die fertige Komposition abliefern, und zwar so, daß ich alle Gesangspartien und Chöre herausschreiben könnte, doch was die Instrumentation anlangt, so mache ich sie gewöhnlich erst, wenn die Klavierproben begonnen haben.[158]
Das ist deshalb von Interesse, weil sich zeigt, daß Verdi die in Italien seit langem geübte Praxis beibehält, die Komposition erst im letzten Moment an Ort und Stelle zu instrumentieren. Das vor allem deshalb, weil der dramatische Ausdruck bei den Klavierproben erarbeitet und die Instrumentation oft den stimmlichen und ausdrucksmäßigen Fähigkeiten der Solisten angepaßt wird, wobei auch Qualität und Stärke von Orchester und Chor sowie akustische Gegebenheiten berücksichtigt werden.
Ende April 1843 – Verdi hält sich in Parma auf, wo Nabucco mit Giuseppina Strepponi in der Rolle der Abigaille aufgeführt wird – scheinen die Fronten beinahe geklärt. Verdi soll bei seinem Venedig-Aufenthalt auch seine Lombardi inszenieren: „Für mich, um die neue Oper zu schreiben und I lombardi zu inszenieren: zwölftausend österreichische Lire“[159] – ein hohes Honorar, das der überaus sparsame Mocenigo nach anfänglichem Zögern aber akzeptiert. Und Bedingungen stellt Verdi: Die Instrumentation wird erst bei der Hauptprobe abgeliefert (wie hat das Orchester bei der Premiere wohl geklungen?), zwischen der Aufführung der Lombardi und der Uraufführung der neuen Oper muß mindestens ein Monat liegen, die Honorarauszahlung hat bei der Generalprobe zu erfolgen (und nicht, wie sonst üblich, erst bei der dritten Vorstellung: Zu gut erinnert sich Verdi, daß Un giorno di regno nicht einmal die zweite Aufführung erlebte), der Komponist wird die Sänger selbst unter jenen auswählen, die am Fenice unter Vertrag stehen.[160] Am 28. Mai – zwei Wochen, nachdem Verdi zum zweiten Mal mit Rossini zusammengetroffen ist, den er sehr bewundert – wird der leicht modifizierte Vertrag verfaßt und Verdis Bedingungen im großen und ganzen akzeptiert. Nun kann die Suche nach einem geeigneten Sujet beginnen:
Ich bitte Ew. Hochwohlgeboren, mich, sobald Sie können, die Namen der Mitglieder der Truppe wissen zu lassen.
So bald als möglich werde ich dem Direktorium das Sujet der Oper mitteilen, das auch von den Sängern, die mir zur Verfügung stehen, abhängig ist. Hätte ich zum Beispiel einen Künstler mit der Kraft eines Ronconi, dann würde ich Re Lear [161] oder Il corsaro [162] wählen, doch da es wahrscheinlich vorteilhaft sein wird, sich auf die Primadonna zu stützen, könnte ich mich vielleicht entweder für die Fidanzata d’Abido [163] oder für etwas anderes entscheiden, bei dem die Primadonna die Hauptperson ist.[164]
Fünf Tage nach diesem Brief nimmt Verdi Kontakt mit seinem Freund Ignazio Marini auf, der den Oberto bei der Uraufführung gesungen hat und sich im Moment in Barcelona aufhält:
Ich höre mit größtem Vergnügen, daß Du zu uns zurückkehrst; die Mailänder werden ihren Lieblingsbaß mit Begeisterung aufnehmen. Ich habe zuletzt zwei Opern geschrieben: den Nabucco und die Lombardi , in welchen Du eine Rolle hast, in der Du sicher brillieren wirst. Im Nabucco die Partie des Propheten und in den Lombardi die Rolle des Pagano ; beide scheinen wie für Dich geschrieben, ja, ich sage Dir, daß ich sie am liebsten von Dir hören würde. Ich werde im Karneval in Venedig schreiben, weil ich nicht das Risiko eingehen wollte, jetzt eine weitere Oper in Mailand zu schreiben, und ich war gezwungen, all die freundlichen Angebote, die mir Merelli gemacht hat, abzulehnen. Wir werden ein anderes Mal zusammenkommen und ich werde mich sehr glücklich schätzen, eine Oper für einen Künstler wie Dich schreiben zu können, und glaub’ mir, ich werde Dir eine Rolle geben, die Deiner würdig ist.[165]
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