»Wainwright hat mich herausgefordert«, erklärte er.
»Das heißt, dass Lute und Ernestine noch schlafen.«
Bert Wainwright richtete sich auf, um zu antworten, ehe er aber dazu kam, ging sein Wirt schon weiter, indem er Naismith über die Schulter hinweg zuwarf:
»Kommen Sie mit um halb zwölf? Thayer und ich fahren mit dem Auto hinaus, um nach den Shropshire-Schafen zu sehen. Er will ein Dutzend Wagenladungen Widder haben. Das würde einen guten Stoff für einen Artikel in den ›Idahoer Nachrichten‹ abgeben. Nehmen Sie Ihre Kamera mit. Haben Sie Thayer heute Morgen schon gesehen?«
»Er kam zum Frühstück, als wir gerade fertig waren«, warf Bert Wainwright ein.
»Wenn Sie ihn sehen, so sagen Sie ihm, dass er sich um halb zwölf bereithalten soll. Dich fordere ich nicht auf, mitzukommen, Bert ... aus Liebenswürdigkeit. Bis dahin sind die Mädels sicher aufgestanden.«
»Willst du nicht wenigstens Rita mitnehmen?« bat Bert.
»Nicht zu machen«, lautete die Antwort Forrests, der schon in der Tür stand. »Es ist Geschäft. Übrigens könntest du Rita gar nicht von Ernestine losreißen, und wenn du einen Kran nähmst.«
»Ich wollte ja eben sehen, ob du es fertigbrächtest,« lachte Bert.
»Komisch, dass junge Leute nie ihre eigenen Schwestern zu schätzen wissen.« Forrest hielt den Bruchteil einer Sekunde inne. »Ich finde, dass Rita eine prachtvolle Schwester ist. Was hast du gegen sie?«
Ehe der andere antworten konnte, hatte Forrest schon die Tür hinter sich geschlossen und schritt sporenklirrend zu einer breiten Betontreppe. Als er den Fuß auf die erste Stufe setzte, hörte er Tanzmusik und Gelächter, was ihn verlockte, in ein weißes Stübchen, das von Sonne durchflutet war, zu gucken. Ein junges Mädchen in rotem Kimono und Morgenhäubchen saß am Flügel, während zwei andere, ähnlich gekleidet, eng umschlossen einen Tanz parodierten, den sie nie in einem Tanzkursus gelernt hatten, und der auch nicht für Männeraugen berechnet war.
Das junge Mädchen am Flügel erblickte ihn zuerst, blinzelte schelmisch mit den Augen und spielte weiter. Erst nach einer Minute bemerkten die Tanzenden ihn, schrien erschrocken auf und fielen sich, als die Musik aufhörte, lachend in die Arme. Sie waren alle drei strahlend gesunde, junge Geschöpfe, und Forrests Augen leuchteten, als er sie sah, wie sie beim Anblick der Fotherington-Prinzessin geleuchtet hatten.
Neckereien, wie sie unter jungen Menschen beiderlei Geschlechts üblich sind, flogen hin und her.
»Ich stehe schon fünf Minuten hier«, behauptete Dick Forrest.
Um ihre Verwirrung zu verbergen, bezweifelten die beiden Tänzerinnen seine Glaubwürdigkeit und führten Beispiele seiner bekannten und berüchtigten Verlogenheit an. Das junge Mädchen am Klavier, seine Schwägerin Ernestine, behauptete, dass er stets die Wahrheit spräche, dass sie ihn vom ersten Augenblick an gesehen, und dass er ihrer Berechnung nach viel länger als fünf Minuten dagestanden und zugesehen hätte.
»Und dabei glaubt Bert, das Unschuldslamm, dass ihr noch nicht aufgestanden seid«, übertönte Forrests Stimme ihr heiteres Plaudern.
»Das sind wir auch noch nicht – für ihn wenigstens«, antwortete die eine der Tänzerinnen, eine lebhafte junge Schönheit. »Und für dich übrigens auch nicht. Mach nur, dass du wegkommst, mein Junge. Mach, dass du wegkommst!«
»Nun höre aber mal, Lute,« begann Forrest streng, »wenn ich auch ein hinfälliger, alter Mann bin und wenn du auch nur achtzehn, ganze achtzehn Jahre alt und zufällig die Schwester meiner Frau bist, so brauchst du doch nicht zu versuchen, dich vor mir aufzuspielen. Vergiss nicht, – ich muss es sagen, so unangenehm es dir auch vor Rita sein mag, – vergiss nicht, dass ich dich in den letzten zehn Jahren öfters verhauen habe, als dir aufzuzählen lieb wäre. Es ist richtig, dass ich nicht mehr so jung bin, wie ich war, aber« – er befühlte die Muskeln seines rechten Armes und machte Miene, sich die Ärmel aufzukrempeln – »aber ich bin doch noch kein Tattergreis, und ich hätte große Lust ...«
»Wozu?« fragte das junge Mädchen kriegerisch.
»Ich hätte große Lust,« murmelte er düster, »große Lust dich ... Übrigens, – es tut mir leid, es dir sagen zu müssen, – dein Häubchen sitzt nicht grade. Und besonders geschmackvoll ist es auch nicht.«
Lute warf ihr blondes Köpfchen herausfordernd zurück, blickte ihre Freundinnen hilfesuchend an und sagte dann:
»Ach, ich weiß nicht. Ich halte es doch für höchst wahrscheinlich, dass wir drei Mädchen noch mit einem Mann von deinem ehrwürdigen und soliden Habitus fertig werden können. Was meint ihr, Kinder? Los! Er ist schon vierzig und hat Krampfadern. Ich verrate zwar nicht gern Familiengeheimnisse, aber alles hat seine Grenzen.«
Ernestine, eine etwas robuste, kleine, achtzehnjährige Blondine, sprang vom Flügel auf, und alle drei unternahmen einen Plünderungszug nach den Sofakissen in den tiefen Fensternischen. Nebeneinander, ein Kissen wurfbereit in jeder Hand, rückten sie gegen den Feind vor.
Forrest machte einen kräftigen Ausfall, die jungen Mädchen stoben auseinander und drangen von allen Seiten mit den Kissen auf ihn ein. Mit ausgebreiteten Armen und gespreizten, krummen Fingern ging er auf alle drei los. Der Kampf wurde zu einem wahren Wirbelsturm. Flatternde Tücher, Seidenpantöffelchen, Morgenhäubchen und Haarnadeln flogen nach allen Seiten.
Dick Forrest lag auf allen Vieren, atemlos von dem Kissenbombardement, und die Ohren summten ihm tüchtig von den vielen Schlägen. In der Hand hielt er als Trophäe einen zerrissenen Gürtel aus blauer Seide mit rosa Rosen.
In der einen Tür stand Rita mit flammenden Wangen, wachsam und fluchtbereit wie ein Reh, in der anderen Ernestine, ebenfalls mit flammenden Wangen, in ehrfurchteinflößender Stellung wie die Mutter der Gracchen, die traurigen Reste des Kimonos in strengen Falten um sich drapiert und von der einen Hand gehalten, die sie in die Hüfte stemmte. Lute war hinter dem Flügel eingeklemmt und versuchte, wegzukommen, wurde aber von Forrest zurückgetrieben, der drohend auf Händen und Knien lag und wie ein wilder Stier brüllte.
»Und dabei gibt es Leute, die immer noch an die prähistorischen Mythen glauben,« verkündete Ernestine aus ihrem sicheren Zufluchtsort, »dass dieses elende menschliche Wesen, das hier auf allen Vieren im Staube liegt, Berkeley einst zum Siege über Stanford geführt habe.«
Ihre Brust wogte vor Anstrengung, und er bemerkte mit Freude, wie die schimmernde Seide sich hob und senkte, während sie sich nach ihren Freundinnen umsah, die ebenso schwer atmeten.
Der Flügel war ein winziges Instrument – ein zierliches Möbel in Weiß und Gold, wie alles übrige im Zimmer. Er stand nicht direkt an der Wand, so dass Lute nach beiden Seiten hinausschlüpfen konnte. Forrest erhob sich und machte Miene, über das Instrument hinwegzuspringen. Da rief Lute erschrocken:
»Aber deine Sporen, Dick! Deine Sporen!«
»Dann lasse mir Zeit, sie abzuschnallen«, schlug er vor.
Als er niederkniete, um sie abzuschnallen, machte Lute einen schnellen Fluchtversuch, wurde aber hinter den Flügel zurückgetrieben.
»Wie du willst, mein Kind.« Forrest legte die Hände auf den Flügel und trat ein paar Schritte zurück. »Jetzt springe ich.«
Die Tat folgte den Worten unmittelbar; er schwang sich seitwärts über den Flügel, die gefährlichen Sporen einen ganzen Fuß über der weißen, schimmernden Fläche. Im selben Augenblick duckte sich Lute und kroch auf Händen und Füßen unter den Flügel. Unglücklicherweise stieß sie sich den Kopf, und ehe sie sich besinnen konnte, war Forrest schon um das Instrument herumgelaufen und hielt sie fest.
»Komm heraus!« befahl er. »Komm heraus, damit du deine Strafe kriegst!«
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