»Doch, doch«, sagt Heilbutt. »Gestatte, daß ich dir meinen Freund Pinneberg vorstelle. Herr Pinneberg – Fräulein Emma Coutureau.«
Fräulein Coutureau macht eine kleine Verbeugung, und sie reicht Pinneberg wie eine Fürstin ihre Hand. Und er sieht hin, sieht fort, und weiß nicht …
»Sehr angenehm«, sagt Fräulein Coutureau und hat noch immer nichts an. »Hoffentlich überzeugen Sie sich, daß wir auf dem richtigen Wege sind …«
Da aber hat Pinneberg eine Rettung, eine Telefonzelle, erspäht. »Nur mal schnell telefonieren. Entschuldigung«, murmelt er und stürzt fort.
Heilbutt ruft ihm nach: »Wir sind also in Zelle siebenunddreißig.«
Pinneberg läßt sich sehr viel Zeit mit seiner Telefonverbindung. Überhaupt, es ist ja viel zu früh, zu telefonieren, es ist gerade erst neun, aber besser so, besser erst mal weg.
»Da kann einem ja aller Appetit vergehen«, sagt er nachdenklich. »Vielleicht müßte man wirklich nackt sein?«
Und dann legt er seinen Groschen zurecht und verlangt Moabit 8650.
Ach Gott, wie das alles dauert, nun fängt sein Herz wieder an zu klopfen. Vielleicht werde ich sie nie wiedersehen.
Die Schwester sagt: »Einen Augenblick. Ich werde mich erkundigen. Wer ruft an? Pallenberg?«
»Nein, Pinneberg, Schwester, Pinneberg.«
»Pallenberg, das sage ich doch. Also einen Augenblick, bitte.«
»Schwester, Pinne…«
Aber sie ist schon fort. Und nun liegt vielleicht auch noch eine Frau Pallenberg gerade im Entbindungsheim, und er bekommt eine falsche Auskunft und denkt, es ist gut abgegangen, und in Wirklichkeit …
»Sind Sie noch da, Herr Pinneberg?«
Gottlob, es ist eine andere Schwester, womöglich die, die Lämmchen selbst behandelt.
»Nein, es ist noch nicht soweit. Es kann noch drei, vier Stunden dauern. Vielleicht rufen Sie um Mitternacht noch einmal an.«
»Aber es geht gut? Es ist alles in Ordnung?«
»Alles ganz normal … Also dann um Mitternacht noch mal, Herr Pinneberg.«
Er hängt ab, er muß hinaus, Heilbutt wartet auf Zelle siebenunddreißig, wie ist er nur auf die wahnsinnige Idee gekommen, hierher mitzugehen?
Pinneberg klopft an siebenunddreißig, und Heilbutt ruft »Herein«. Da sitzen die beiden nebeneinander auf dem Bänkchen, sie scheinen wirklich nur geplaudert zu haben, vielleicht liegt es doch an ihm, vielleicht ist er ganz wie Frau Witt für diese Dinge zu verdorben.
»Also gehen wir«, sagt der nackte Heilbutt und streckt sich. »Eng ist das hier. Du hast mir ordentlich eingeheizt, Emma.«
»Und du mir!« lacht Fräulein Coutureau.
Pinneberg geht hinter den beiden, und wieder stellt er fest, daß es einfach peinlich ist.
»Was hast du übrigens für Nachrichten von deiner Frau?« ruft Heilbutt über die Schulter zu Pinneberg. Und erklärend zu seiner Begleiterin: »Frau Pinneberg ist in der Klinik. Sie soll heute ein Kind kriegen.«
»Ach«, sagt Fräulein Coutureau.
»Ist noch nicht soweit«, sagt Pinneberg. »Kann noch drei, vier Stunden dauern.«
»Dann hast du«, meint Heilbutt befriedigt, »ja gründlich Gelegenheit, dir alles anzusehen.«
Aber Pinneberg hat vor allem Gelegenheit, sich über Heilbutt gründlich zu ärgern.
Jetzt kommen sie in die Schwimmhalle. Nicht sehr viele, denkt Pinneberg zuerst. Aber dann sind es doch eine ganze Menge. An den Sprungbrettern steht eine große Versammlung, alle so unglaublich nackt, und einer nach dem anderen tritt vor und absolviert einen Sprung vom Brett in das Bassin.
»Ich glaube«, sagt Heilbutt, »du bleibst am besten hier. Und wenn du etwas wissen willst, brauchst du mir nur zu winken.«
Und damit gehen die beiden, und Pinneberg in seinem Winkel ist ganz ungestört und sicher. Er schaut zu, was sich da begibt am Sprungbrett. Heilbutt scheint so etwas wie eine Hauptperson zu sein, alle begrüßen ihn, lachen und strahlen, bis zu Pinneberg dringt das Joachim-Rufen.
Ach ja, es sind gutgewachsene junge Männer darunter und junge Mädchen, blutjunge Dinger mit festen, straffen Körpern, aber sie sind stark in der Minderzahl, das Hauptkontingent stellen würdige ältere Herren und behäbige Frauen, Pinneberg kann sie sich gut in einem Militärkonzert vorstellen, Kaffee trinkend, hier, wo sie jetzt sind, wirken sie ganz unwahrscheinlich.
»Bitte, mein Herr«, sagt hinter ihm eine flüsternde, sehr höfliche Stimme. »Sind Sie auch Gast?«
Pinneberg fährt zusammen und sieht sich um. Eine stark untersetzte Frau steht hinter ihm, gottlob völlig bekleidet, auf der gebogenen Nase sitzt eine Hornbrille.
»Ja, ich bin Gast«, sagt er.
»Ich auch«, sagt die Dame und stellt sich vor. »Nothnagel ist mein Name.«
»Pinneberg«, sagt er.
»Sehr interessant hier, nicht wahr?« fragt sie. »So ungewöhnlich.«
»Ja, sehr interessant«, bestätigt Pinneberg.
»Sie sind eingeführt durch eine …«, sie pausiert und fragt es schrecklich diskret, »… durch eine Freundin?«
»Nein, durch einen Freund.«
»Ah, durch einen Freund! Ich bin nämlich auch durch einen Freund eingeführt. Und darf ich fragen«, erkundigt sich die Dame, »ob Sie sich schon entschlossen haben?«
»Weswegen?«
»Wegen der Aufnahme. Ob Sie beitreten wollen?«
»Nein, ich bin noch nicht entschlossen.«
»Denken Sie, ich auch nicht! Ich bin heute das dritte Mal hier aber ich habe mich noch nicht entschließen können. In meinem Alter ist das nicht so einfach.«
Sie sieht ihn behutsam fragend an. Pinneberg sagt: »Es ist überhaupt nicht so einfach.«
Sie ist erfreut: »Sehen Sie, genau das, was ich immer wieder zu Max sage. Max ist mein Freund. Da – nein, jetzt können Sie ihn nicht sehen …«
Doch dann kann er ihn sehen, und es stellt sich heraus, daß Max ein Vierziger ist, recht gutaussehend, braun, stämmig, dunkel, der Typ eines entschlossenen Kaufmanns.
»Ja, ich sage immer zu Max, so einfach, wie du denkst, ist es nicht, es ist überhaupt nicht einfach, vor allen Dingen nicht für eine Frau.« Sie sieht Pinneberg wieder gewinnend an, und ihm bleibt nichts übrig, als zu bestätigen: »Ja, es ist schrecklich schwierig.«
»Sehen Sie! Max sagt immer: ›Bedenke das Geschäftliche, es ist geschäftlich vorteilhaft, wenn du beitrittst.‹ Er hat ja recht, und er hat schon eine ganze Menge Vorteil gehabt von seinem Beitritt.«
»Ja?« sagt Pinneberg höflich und ist neugierig.
»Es ist ja nichts Verbotenes, ich kann ruhig mit Ihnen darüber sprechen. Max hat eine Vertretung in Teppichen und Gardinen. Nun, das Geschäft wird immer schlechter, und da ist Max hier beigetreten. Wo er hört, irgendwo ist ein größerer Verein, da tritt er bei und verkauft an seine Vereinsbrüder. Er gibt ihnen natürlich einen anständigen Rabatt, es bleibt ihm noch genug, sagt er. Ja, für Max, der so gut aussieht und soviel Witze weiß und solch glänzender Gesellschafter ist, für den ist es leicht. Für mich ist es viel schwerer.«
Sie seufzt sehr.
»Sie sind auch geschäftlich tätig?« fragt Pinneberg und betrachtet das arme graue törichte Wesen.
»Ja«, sagt sie und sieht ihn zutraulich von unten an. »Ich bin auch geschäftlich tätig. Aber ich habe nicht viel Glück. Ich habe ein Schokoladengeschäft gehabt, es war ein ganz gutes Geschäft in einer guten Lage, aber ich habe wohl nicht die rechte Gabe dafür. Immer habe ich Unglück gehabt. Einmal habe ich es besonders gut machen wollen, ich habe mir einen Dekorateur genommen, fünfzehn Mark habe ich ihm bezahlt, und dafür hat er mir mein Schaufenster dekoriert, für zweihundert Mark Ware lag darin. Und ich bin so eifrig und hoffnungsfroh, ich denke, das muß doch wirken, und in meinem Eifer vergesse ich, die Markise runterzulassen, und die Sonne – es war Sommer – scheint mir ins Schaufenster, und was soll ich Ihnen sagen, mein Herr, wie ich es merke, da ist alle Ware schon geschmolzen und zusammengelaufen. Alles unbrauchbar. Ich habe das Pfund nachher für zehn Pfennige an Kinder verkauft, die teuersten Pralinen, denken Sie, für zehn Pfennig das Pfund. Was für ein Schaden das war!«
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