»Jetzt ziehen sie ihn wieder auf den Berg«, erklärte Pinneberg.
»Aber das ist doch schrecklich umständlich! Warum fährt er nicht selbst?«
»Weil er keinen Motor hat, Lämmchen, er ist doch ein Segelflieger!«
»Haben die kein Geld, sich einen Motor zu kaufen? Ist ein Motor so teuer? Ich finde es schrecklich umständlich.«
»Aber Lämmchen …«, und er wollte wieder erklären.
Aber Lämmchen lehnte sich plötzlich ganz fest in seinen Arm und sagte: »Ach, es ist schrecklich gut, daß wir uns haben, was, Jungchen?«
In diesem Augenblick geschah es:
Auf dem Sandwege, der am Waldrand entlang führte, war leise und sacht wie auf Filzlatschen ein Automobil herangeschlichen, und als die beiden es merkten und verlegen auseinanderfuhren, war das Auto beinahe auf ihrer Höhe. Trotzdem sie nun eigentlich die Gesichter der Autoinsassen im Profil hätten sehen müssen, waren ihnen diese Gesichter alle voll und ganz zugekehrt. Und es waren erstaunte Gesichter, strenge Gesichter, entrüstete Gesichter.
Lämmchen verstand nichts, sie fand, daß diese Leute doch schon gar zu blöde blickten, als hätten sie noch nie ein küssend Paar gesehen, und sie verstand vor allem ihren Jungen nicht, der, Unverständliches murmelnd, aufsprang und eine tiefe Verbeugung gegen das Auto machte.
Aber dort gingen, wie auf geheimes Kommando, alle Gesichter plötzlich ins Profil, niemand nahm von der herrlichen Verbeugung Pinnebergs Notiz, nur das Auto tat mit seiner Hupe einen grellen Schrei, fuhr rascher, tauchte zwischen Bäume und Gebüsch, noch einmal sahen sie ein Stück der roten Lackierung aufleuchten, und vorbei. Vorbei.
Der Junge aber stand da, leichenblaß, die Hände in den Taschen, und murmelte: »Wir sind erschossen, Lämmchen. Morgen schmeißt er mich raus.«
»Wer denn? Wer?«
»Na, Kleinholz doch! Ach Gott, du weißt es ja noch gar nicht. Das waren Kleinholzens.«
»Ach Gott!« sagte Lämmchen auch und tat einen ganz tiefen Atemzug. »Das nenne ich nun freilich Malesche.«
Und dann nahm sie ihren großen Jungen in den Arm und tröstete ihn, so gut es eben ging.
Wie Pinneberg mit dem Engel und Mariechen Kleinholz ringt, und wie es doch zu spät ist
Jedem Sonntag folgt sein Montag auf dem Fuße, man kann am Sonntagvormittag um elf noch so fest glauben, er sei noch zwei Ewigkeiten ab.
Aber er kommt, er kommt sicher, alles geht seinen alten Trott, und an der Ecke vom Marktplatz, wo Pinneberg immer den Stadtsekretär Kranz trifft, sieht er sich um. Siehe da, dort naht auch schon Kranz, und als die beiden Herren beinahe auf gleicher Höhe sind, greifen sie an die Hüte und grüßen sich.
Sie sind aneinander vorbei, Pinneberg hält seine rechte Hand vor sich hin: Der goldene Trauring funkelt in der Sonne.
Langsam dreht Pinneberg den Ring vom Finger, langsam greift er nach seiner Brieftasche, und dann steckt er ihn trotzig und rasch wieder an.
Aufrecht, den Trauring an der Hand, marschiert er seinem Schicksal entgegen.
Es läßt auf sich warten, dieses Schicksal. Nicht einmal der pünktliche Lauterbach ist an diesem Morgen da, und von Kleinholzens läßt sich auch niemand sehen.
Wird im Stall sein, denkt Pinneberg und macht sich auf dem Hof zu schaffen. Da steht das rote Auto und wird gewaschen. Wärst du doch gestern um zehn mit einer Panne zusammengebrochen! denkt Pinneberg. Und sagt laut: »Der Chef noch nicht auf?«
»Schläft noch allens, Herr Pinneberg.«
»Wer hat denn gestern eigentlich Futter ausgegeben?«
»Der olle Kube, Herr Pinneberg, Kube.«
»Na also«, sagt Pinneberg und geht wieder aufs Büro.
Dort ist Schulz eingetrudelt, es ist auch schon acht Uhr fünfzehn, ein grüngelber Schulz, sehr mißgelaunt. »Wo ist denn Lauterbach?« fragt er böse. »Spielt das Schwein krank, heute, wo wir soviel Arbeit haben?«
»Sieht so aus«, sagt Pinneberg. »Lauterbach kommt doch nie zu spät. – Guten Sonntag gehabt, Schulz?«
»O verdammich!« bricht Schulz aus. »Verdammich! Verdammich!« Er versinkt in Brüten. Dann wild: »Weißte, Pinneberg, ich habe dir mal erzählt, du wirst’s nicht mehr wissen, vor acht oder neun Monaten bin ich mal in Helldorf zum Schwoof gewesen, so ’nem richtigen Kuhschwoof mit den Bauerntrampeln. Und die behauptet jetzt, ich bin der Vater von dem Kind und soll blechen. Also ich denke gar nicht daran! Ich mache sie meineidig, die!«
»Wie willste denn das machen?« sagt Pinneberg und denkt, der hat auch Sorgen.
»Ich bin gestern den ganzen Tag in Helldorf rum und hab mich erkundigt, mit wem sie noch … Diese Bauerntöffel, alles hält zusammen. Die soll aber nur ihren Meineid schwören, wenn sie den Mut hat!«
»Und wenn sie den Mut hat?«
»Ich werd dem Richter schon Bescheid stoßen! Glaubst du denn das, Pinneberg, nun sag mal ehrlich, zweimal hab ich mit ihr getanzt und dann hab ich gesagt: ›Gnädiges Fräulein, es ist hier so rauchig, wollen wir mal rausgehen?‹ Na, und da gleich, einen Tanz haben wir nur versäumt, verstehst du, und da soll ich der alleinige Vater sein? So doof!«
»Wenn du nichts beweisen kannst.«
»Ich mach sie meineidig! Der Richter wird es ja auch einsehen. Wie kann ich denn das auch, Pinneberg? Du weißt doch selber, bei unserem Gehalt!«
»Heut ist Kündigungstag«, sagt Pinneberg, still und beiläufig.
Aber Schulz hört gar nicht, er stöhnt: »Und mir wird immer so schlecht von Alkohol …!«
Acht Uhr zwanzig. Lauterbach tritt ein.
O Lauterbach! O Ernst! O du mein Ernst Lauterbach!
Ein blaues Auge, eins. Die linke Hand in einem Verband, zwei. Das Gesicht voll Schmarren, drei, vier, fünf. Am Hinterkopf so ein schwarzes Seidenfutteral und über dem Ganzen ein Chloroformgeruch, sechs, sieben. Und diese Nase, diese verschwollene blutrünstige Nase! Acht! Und diese Unterlippe, halb gespalten, dick, negerhaft! Neun! Knockout, Lauterbach! Kurz gesagt, am gestrigen Sonntag hat Ernst Lauterbach unter den Bewohnern des Landes eifrig und mit Hingabe für seine politischen Ideen geworben.
Die beiden Kollegen tanzen aufgeregt um ihn.
»O Mensch! O Manning! Dich haben sie aber in der Mache gehabt.«
»O Ernst, O Ernst, daß du es niemals lernst!«
Lauterbach setzt sich, sehr steif und vorsichtig. »Das, was ihr seht, ist noch gar nichts. Meinen Rücken sollt ihr erst mal sehen.«
»Mensch, wie ist es nur möglich …?«
»So bin ich! Ich hätte ja heute ganz gut zu Haus bleiben können, aber ich hab an euch gedacht, daß heute soviel zu tun ist.«
»Und heute ist immerhin Kündigungstag«, sagt Pinneberg.
»Und wer nicht da ist, den beißen die Hunde.«
»Hör mal, das verbitt ich mir! Wir haben doch unser Ehrenwort …«
Emil Kleinholz tritt ein.
Kleinholz ist an diesem Morgen leider nüchtern, er ist sogar so nüchtern, daß er bis zur Tür Schulzens Schnaps- und Biergeruch riecht. Er gibt einen Auftakt, er macht einen Anfang, er sagt: »Na, wieder mal ohne Arbeit, meine Herren? Gut, daß heute Kündigungstag ist, einen von Ihnen werde ich abbauen.« Er grinst. »Arbeit ist knapp, was?«
Er sieht auf die drei, triumphierend, sie schleichen betreten zu ihren Plätzen. Schon fährt Kleinholz dahinter her: »Nee, mein lieber Schulz, das könnte Ihnen so passen, Ihren Rausch für mein teures Geld auf dem Büro ausschlafen. Feuchtes Familienbegräbnis gehabt, was? Wissen Sie?« Er sinnt. Dann hat er es. »Wissen Sie, Sie können mal auf den Anhänger von dem Lastwagen krabbeln und nach der Weizenmühle fahren. Und daß Sie mir fein die Bremse bedienen, das geht ganz hübsch bergauf und bergab, ich werd dem Chauffeur Bescheid sagen, daß er ein bißchen auf Sie aufpaßt und Ihnen eine klebt, wenn Sie’s Bremsen vergessen haben.«
Kleinholz lacht, er hat einen Witz gemacht, darum lacht er. Denn das mit dem Kleben ist natürlich nicht ernst gemeint, auch wenn es ernst gemeint ist.
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