Athina blickte ihn scharf an. »Hast du was ausgefressen? Musst du dich verstecken? Bei mir etwa?«
»Nein, nein«, warf er ein. »Noch kann ich mich aus der Sache herauswinden. Aber ich brauche Hilfe.« Er schaute sie flehend an. »Von dir.«
»Wenn du auf Geld hoffst, muss ich dich leider enttäuschen«, fuhr sie ihn ungehalten an. »Du siehst ja, wie und wo ich hause.«
»Geld brauche ich nicht«, beruhigte er sie. »Ich hatte mir von den Papalukas eine Woche Urlaub geben lassen, um hier ein Geschäft abzuwickeln. Hätte mir eine schöne Stange Geld eingebracht. Leider ist die Sache total aus dem Ruder gelaufen.« Konnte, durfte er seiner Tante erzählen, was gestern passiert war? ›Ja‹, entschied er, ›sie muss wissen, in was für ein Schlamassel ich stecke, sonst hilft sie mir nicht.‹
»Ich sollte per Schiff eine Gruppe von Leuten von der Türkei nach Griechenland schleusen. Na ja, Asylanten aus dem Irak. Jede Menge Koks aus Afghanistan hatten wir auch an Bord. Im Verlauf der gesamten Überfahrt war das Wetter furchtbar schlecht, unsere Nerven lagen blank. Gestern ankerten wir in einer Bucht, um die Leute und das Rauschgift an eine andere Crew zu übergeben. Deren Schiff kam und kam nicht, war wohl zu stürmisch. Das ewige Warten ging meinem Kumpel Meletis furchtbar auf die Nerven. Er schnappt sich eine Pistole, öffnet die Ladeluke zum Frachtraum, wo die Iraker eingesperrt waren, zerrt ein Mädchen heraus und verschwindet mit ihr in einem Loch. Als er wieder herauskommt, sagt er, etwas sei schiefgegangen, das Mädchen sei abgekratzt. Das Schwein kann sich mit seinen perversen Sexpraktiken nicht beherrschen. Immer das Gleiche mit ihm.«
Entgeistert starrte Athina ihn an. »Das könnt ihr unmöglich verheimlichen, die Asylanten werden das der Polizei melden«, sagte sie. »Du verschwindest besser sofort aus Griechenland.« Sie erhob sich, aufgeregt lief sie im Zimmer herum.
»Werden sie nicht«, erwiderte Damis. »Setz dich und hör zu, was anschließend passiert ist. Meletis verschwindet und kommt nach einigen Minuten zurück. ’Schnell in das Schlauchboot!’, schreit er. ’Gleich fliegt das Schiff in die Luft!’ ’Bist du übergeschnappt?’, brülle ich zurück. ’Du kannst doch die Menschen da unten nicht ersaufen lassen!’ ’Wir haben keine andere Wahl! Das Mädchen ist hin, die verpfeifen uns! Ratzfatz zum Boot!’ Er rennt los, ich ihm nach. Wir lassen das Boot ins Wasser hinunter und springen hinterher. Im Fallen fällt mir das Rauschgift ein. ›Das Koks! Wir müssen das Koks holen!‹ Zu spät, eine gewaltige Explosion reißt den Bug auf, gurgelnd säuft das Schiff ab!«
»Und was jetzt?«, fragte Athina fassungslos. »Was willst du von mir?«
»Ich muss zum Schiff zurück! Hinuntertauchen und das Zeug bergen. Wenn ich das nicht tue, bringt mich mein Auftraggeber um. Der ist bekannt für seine Brutalität. Die Ertrunkenen sind ihm egal, die mussten schon in der Türkei für ihre Überfahrt bezahlen. Aber das Rauschgift, das geht auf meine Kappe!« Angstvoll waren seine Augen geweitet. »Ich brauche ein Schiff mit Tauchausrüstung. Dabei kannst du mir helfen.«
»Hab ich denn ein Schiff?«, blaffte sie ihn an. »Was redest du da für einen Unsinn!«
»Du nicht, die Papalukas! Ich brauche die Nemesis , ihre Jacht! Mit der kenne ich mich aus, Christos hat mich im letzten Jahr zur Insel Thassos mitgenommen.« Endlich wagte er, die entscheidende Frage zu stellen. »Weißt du, wo deine Freundin die Schlüssel aufbewahrt?«
Lauernd sah Athina ihn an. Für Notfälle wie diesen hatte sie sich einen Zugang zu Atridis Wohnung in der Nea Ionia, Symi 4 offengehalten. Sie wusste, dass die Zweitschlüssel zu Auto und Jacht in der mittleren linken Schublade ihres unverschlossenen Sekretärs lagen. Zurzeit war Atridi in Athen, die Luft also rein! Ohne Gegenleistung würde sie Damis das freilich nicht preisgeben.
Sechs Tage waren seit dem Besuch ihres Neffen vergangen. Seitdem hatte Athina keinen Fuß vor die Tür gesetzt. Verbittert saß sie in der miesen, ungeheizten Wohnung und starrte aus dem vergitterten Fenster. Nach dem kurzen Gastspiel des Frühlings vom letzten Wochenende war es kalt geworden, es regnete Bindfäden. Dabei hätten an einem pastellzarten Himmel federartige Cirruswolken ziehen und von den Bergen her Frühlingsdüfte heranziehen müssen. Man hätte den Salzduft der schaumbekränzten Ägäis riechen müssen, nicht die Geruchsschwaden des stinkenden Mülls, den die Müllabfuhr seit Wochen vergessen hatte abzuholen.
»Um diese Zeit sind wir immer mit dem Auto zum Shoppen nach Athen gefahren», seufzte sie wehmütig. »Ach, die Dido Boutique in der Apollonos ! Atridi und ich haben uns dort mit den neuesten Kreationen eingedeckt.« Ein verträumtes Lächeln umspielte ihren Mund, als sie an die ausufernden Nächte dachte, die den kostspieligen Einkäufen gefolgt waren.
Ihre bisherige Lebensplanung war zusammengebrochen. Siebenundvierzig Jahre war sie alt, hatte nie einen Beruf erlernt, ihre Mutter war vor acht Wochen gestorben, das Elternhaus hatte der Schulden wegen verkauft werden müssen. Mit der Freundschaft zu ihrer wohlhabenden Freundin Atridi, die sie seit Jahren großzügig an ihrem glamourösen Lebensstil hatte teilnehmen lassen, war es endgültig aus. Abgeschnitten war sie von den weltweit gefundenen Spendern von Sternenstaub, jetzt saß sie in diesem Loch hier, das sich Wohnung nannte. Ein grandioser Abstieg!
Und warum das alles? Atridis Geist war im Laufe der dreißig Jahre immun gegenüber ihrer magischen Unterwerfungsmagie geworden. Als ihr die Kontrolle über Atridi entglitt, hatte die augenblicklich nach einem Mann Ausschau gehalten und ihn in dem stadtbekannten Rechtsverdreher Alexis auch ruckzuck gefunden. Dabei war dieser Affe zehn Jahre jünger als Atridi! Doch der Glanz des Reichtums, in dem er sich in der Folge würde sonnen können, verdeckte schätzungsweise die Schattenseiten ihres alternden Körpers.
»Atridi«, hatte sie nach dem Tod ihrer Mutter gefleht, »kann ich vorerst bei dir einziehen? In deinem Haus ist Platz genug.« Diese Person hatte die Frechheit besessen, sie kühl zurückzuweisen! »Leider, es geht nicht«, hatte sie gesäuselt und selig vor sich hingelächelt. »Du weist, Alexis will bei mir einziehen, diese Woche noch. Frische Liebe verlangt nach intimer Zweisamkeit.«
»Atridi, hast du von Männern mittlerweile nicht genug? Wir gehen jetzt auf die Fünfzig zu! Mit wie vielen Kerlen haben wir denn in den letzten dreißig Jahren geschlafen?! Und, was war daran so berauschend? Die wollen doch immer nur auf die Schnelle in uns abspritzen und anschließend sind wir uninteressant. Siehst du das etwa anders?«
»Mit einigen Männern fand ich es schön. Ach, die jugendlichen Liebhaber, für die habe ich eine Schwäche! Muskulös, schlanke Hüften, ein knackiger Po, dafür schwärme ich.«
»So? Und warum hast du an immer an meinem Körper herumgespielt?«
»Ach Athina! Mit unseren lesbischen Spielchen haben wir nur die anwesenden Männer scharfmachen wollen. Auf uns! Das war nicht ernsthaft gemeint. Und nebenbei, ohne die anregenden Liebescocktails, die du gemixt hast, hätte ich dich niemals angerührt. Igitt, ich bin doch keine Lesbe! Mein Gott, Athina, werde endlich erwachsen und selbstständig! Hänge nicht ständig an meinem Rockzipfel! Such dir einen Mann und verkaufe deine Pülverchen und Liebestränke an deine auserwählte zahlreiche Kundschaft. Verstehe doch, ich habe Torschlusspanik! Alexis wirkt noch jungenhaft, ist scharf auf mich. Diese Chance werde ich mir nicht entgehen lassen, da kannst du reden, was du willst.«
Das war es gewesen mit der langjährigen Freundschaft. ’ Jemand müsste den Papalukas einen Denkzettel verpassen .’
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