»Aber es ist gar nicht dein Herz, Lon,« unterbrach Vater Roubeau ihn, »es ist dein Stolz, der dich dazu bringt, einen Mitmenschen zu töten.«
»Ihr seid Franzose«, antwortete Lon. Und indem er sich zum Gehen wandte, sagte er: »Wenn das Glück gegen mich ist, lesen Sie wohl eine Messe für mich?«
Aber der Priester lächelte, schnallte sich die Mokassins fester und ging auf den weißen schweigenden Fluss hinaus. Ein festgetretener, sechzehn Zoll breiter Pfad führte zum Wasserloch. Zu beiden Seiten lag tiefer Schnee. Die Männer gingen im Gänsemarsch und in tiefstem Schweigen, und der schwarzröckige Priester verlieh allem ein feierliches Begräbnisgepräge. Für die Verhältnisse von Forty-Mile war es ein warmer Wintertag – einer der Tage, an denen sich der Himmel bleischwer tiefer auf die Erde senkt und das Quecksilber die ungewohnte Höhe von 20 Grad Fahrenheit unter null erreicht. Aber die Wärme war nicht angenehm. Die Luft war dick, und die Wolken hingen unbeweglich herab und prophezeiten finster baldigen Schnee. Die Erde lag wohlverwahrt im Winterschlaf und dachte nicht ans Erwachen.
Als sie das Wasserloch erreicht hatten, rief Bettles, der während der stummen Wanderung offenbar den ganzen Streit noch einmal überdacht hatte, ein letztes: »Was hatte das mit der Sache zu tun?«, während Lon McFane in seinem finstern Schweigen verharrte.
Die Wut drohte ihn zu ersticken, und er konnte kein Wort herausbringen. Und doch, wenn sie einen Augenblick nicht an die ihnen zugefügte Kränkung dachten, konnten sie nicht umhin, sich über ihre Kameraden zu wundern. Sie hatten Widerstand erwartet, und diese stumme Nachgiebigkeit verletzte sie. Sie meinten, Besseres von den Männern verdient zu haben, die ihnen so nahegestanden, ein dunkles Gefühl von Unrecht überkam sie, und sie empörten sich bei dem Gedanken, dass so viele ihrer Brüder auszogen, um zu sehen, wie sie sich niederschossen, ohne auch nur mit einem Wort zu protestieren, als handelte es sich um ein Fest. Es war, als sei ihr Wert in den Augen der Mitwelt gesunken. Die Vorbereitungen verwirrten sie.
»Rücken gegen Rücken, David. Fünfzig oder hundert Schritt?«
»Fünfzig«, lautete die blutdürstige Antwort, mürrisch, aber fest.
Aber der Irländer warf einen schnellen Blick auf das neue Hanfseil, das Malemute Kid sich nachlässig um den Arm geschlungen hatte, und er schöpfte Verdacht.
»Was wollt ihr mit dem Seil?«
»Los!« Malemute Kid sah auf die Uhr. »Ich habe ein Brot im Ofen und möchte nicht, dass es verbrennt. Außerdem kriege ich kalte Füße.«
Auch die übrigen legten auf verschiedene, ebenso ausdrucksvolle Art und Weise ihre Ungeduld an den Tag.
»Aber das Seil, Kid? Es ist funkelnagelneu, das Brot ist wohl nicht so schwer, dass du es damit herausziehen willst?«
Bei diesen Worten wandte Bettles sich um. Vater Roubeau, dem die Komik der Situation aufging, verbarg ein Lächeln hinter dem Handschuh.
»Nein, Lon, das Seil ist für einen Mann bestimmt.« Malemute Kid konnte gelegentlich sehr deutlich werden.
»Welchen Mann?« Bettles bekam eine Ahnung, dass die Sache ihn persönlich anging.
»Für den andern.«
»Ja, für wen denn?«
»Nun hör mal zu, Lon – und du auch, Bettles! Wir haben eure Angelegenheit besprochen und sind zu einem Entschluss gelangt. Wir wissen, dass wir kein Recht haben, uns hineinzumischen –«
»Nee, das fehlte auch noch!«
»Und wir denken auch gar nicht daran. Aber soviel können wir tun – wir werden dafür sorgen, dass dies das einzige Duell in der Geschichte von Forty-Mile sein wird, und wir werden für jeden Chechaqua, der den Yukon herunterkommt, ein Exempel statuieren. Der Mann, der lebendig davonkommt, wird am nächsten Baum aufgehängt. So, nun könnt ihr anfangen.«
»Geh los, David – fünfzig Fuß, kehrt, und dann losknallen, bis einer von uns die Nase in die Luft streckt. Das werden sie schon bleibenlassen, das wagen sie nicht, es ist richtiger Yankeebluff.«
Mit vergnügtem Grinsen begann er zu gehen, aber Malemute Kid hielt ihn an.
»Lon! Wie lange kennst du mich?«
»Manchen lieben Tag.«
»Und du, Bettles?«
»Nächstes Jahr, im Juni, wenn das Hochwasser kommt, fünf Jahre.«
»Habt ihr in all der Zeit je gehört, dass ich mein Wort gebrochen hätte?«
Beide Männer schüttelten den Kopf und bemühten sich, den Sinn seiner Worte zu erfassen.
»Schön, und wie schätzt ihr ein Versprechen ein, das ich euch jetzt gebe?«
»Wie meine Seligkeit«, meinte Bettles.
»Ja, darauf kann man ruhig seinen Anteil am Himmel setzen«, räumte Lon McFane bereitwillig ein.
»Also hört! Ich, Malemute Kid, gebe euch mein Wort – und ihr wisst, was das heißt –, dass der Mann, der nicht totgeschossen wird, zehn Minuten nach dem Duell am Baume hängt.« Er trat zurück, wie Pilatus getan haben mochte, als er sich die Hände gewaschen hatte.
Eine tiefe Stille trat ein unter den Männern von Forty-Mile. Der Himmel senkte sich noch tiefer herab und entsandte einen Schwarm von Frostkristallen, kleine geometrische Wunder, luftig wie ein Hauch, und doch bestimmt, zu bleiben, bis die zurückkehrende Sonne die Hälfte ihrer nordischen Reise zurückgelegt hatte. Beide Männer waren stets bereit gewesen, jeder aufflackernden Hoffnung mit einem Fluch oder einem Scherz auf den Lippen und mit einem unerschütterlichen Glauben an den Gott des Zufalls im Grund ihrer Seele zu folgen. Aber jetzt war diese barmherzige Gottheit ganz aus dem Spiel gesetzt. Sie forschten in den Zügen Malemute Kids, aber er war wie eine Sphinx, und es gab keine Deutung. Wie die Minuten schweigend verrannen, fühlten sie, dass es jetzt an ihnen war, etwas zu sagen. Schließlich wurde das Schweigen von dem Geheul eines Wolfshundes in der Richtung von Forty-Mile gebrochen. Der unheimliche Ton schwoll mit dem ganzen Pathos eines brechenden Herzens und erstarb dann in einem langgezogenen Seufzer.
»Verflucht noch mal!« Bettles schlug den Kragen seiner Mackinawjacke hoch und starrte hilflos um sich.
»Das ist ein hübsches Spiel, was ihr euch da ausgedacht habt!« rief Lon McFane. »Den ganzen Verdienst kriegt die Firma, und der Verkäufer nicht einen Deut. Der Teufel selbst würde auf den Kontrakt nicht eingehen – und ich will verdammt sein, wenn ich's tue.«
Man hörte halbersticktes Lachen und sah versteckte lustige Blicke unter reifbedeckten Brauen, als die Männer das eisglatte Ufer hinaufkletterten und den Weg zum Posthaus zurückwanderten. Aber das langgezogene Geheul war nähergekommen und erklang drohender. Eine Frau schrie hinter der Ecke. Man hörte Rufe: »Er kommt!« Dann stürzte ein Indianerknabe zwischen sie. Er wurde von einem halben Dutzend vor Angst wahnsinniger Hunde verfolgt, es galt das Leben. Und hinterher kam Gelbmaul, eine graue Erscheinung mit gesträubtem Haar. Alle flohen. Der Indianerjunge war gestolpert und hingefallen. Bettles blieb gerade so lange stehen, um ihn an seiner Pelzjacke zu packen, und stürzte dann zu einem Stapel Brennholz, auf dem bereits mehrere seiner Kameraden Zuflucht gesucht hatten. Gelbmaul, der hinter den Hunden her gewesen war, kam jetzt in vollem Lauf zurück. Der verfolgte Hund, dem nichts fehlte, der aber vor Angst wahnsinnig war, warf Bettles um und schoss die Straße hinauf. Malemute Kid sandte aufs Geratewohl eine Kugel hinter Gelbmaul her. Der tolle Hund schlug einen Salto mortale, fiel auf den Rücken und legte mit einem einzigen Sprung die Hälfte der Entfernung zurück, die ihn noch von Bettles trennte.
Aber der Hund erreichte sein Ziel nicht. Lon McFane sprang vom Brennholzstapel herunter und packte das Tier im Sprunge. Sie rollten zu Boden, und Lon hielt den Hund mit einem Griff an der Kehle auf Armeslänge von sich ab, halb geblendet von dem stinkenden Schaum, der ihm ins Gesicht spritzte. Da entschied Bettles, kaltblütig den rechten Augenblick abwartend, den Kampf mit dem Revolver.
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