»Ich bin hartnäckig«, erinnerte er sie fröhlich.
Charlotta verdrehte die Augen. »Okay, dann sag mir einfach, ob du nur mit der weiteren Suche nach der für dich bestimmten Frau gewartet hast oder überhaupt. Also, überhaupt mit Frauen. Ich meine, wenn du doch wusstest, dass die anderen Frauen um dich herum auf gar keinen Fall für dich bestimmt sind und du auch nicht mit ihnen zusammenleben wirst …«, stammelte sie.
»Du möchtest also wissen, ob ich zwischendurch vielleicht mit anderen Frauen geschlafen habe, oder ob ich meine ersten sexuellen Erfahrungen jetzt mit dir mache?«, erkundigte er sich lauernd und weidete sich an Charlottas Verlegenheit.
»So direkt kann man es auch ausdrücken«, murmelte sie. »Na ja, es geht mich ja auch nichts an und …«
»Och, ich denke schon, dass es dich was angeht. Willst du nicht wissen, was dich erwartet?«
»Waas?«
»Möchtest du es austesten?«
»Nein!« Empörung auf der ganzen Linie.
»Ich denke, du meinst mit › nein‹ eher ›nicht hier und jetzt‹ «, mutmaßte Rob.
»Weißt du was, Robert?« Sie nannte ihn absichtlich mit seinem vollen Namen und erkannte zu ihrer Genugtuung, dass er zusammenzuckte und das Gesicht verzog. »Auch wenn euer Schamane dir gesagt hat, dass ich die Frau fürs Leben für dich bin und du ihm das glaubst – ich muss das noch lange nicht glauben. Im Moment merke ich, dass du mich permanent in Verlegenheit bringst und mich auflaufen lässt. Wenn ich auch noch feststellen soll, ob ich dich leiden kann oder nicht, und ob sich zwischen uns mehr entwickeln kann als reine Sympathie – oder eben nicht! –, würde ich mich gerne auch ganz sachlich mit dir unterhalten können.«
Rob ließ ihre Worte auf sich wirken. »Du scheinst auch gerade wieder ziemlich angespannt zu sein«, bemerkte er nach einer Pause nachdenklich.
»Boah, ich glaub es nicht!« Charlotta verdrehte die Augen und ließ sich betont theatralisch in ihrem Stuhl zurückfallen. »Wundert dich das? Für mich ist das hier totaler Stress. Ich komme in eine Welt, die mir fremd ist und die ich nicht verstehe. Ich kenne hier außer dir niemanden – und dich kenne ich im Grunde ja auch noch nicht. Mit deinen Fragen, die mir unangenehm sind, drängst du mich immer wieder in die Ecke … Jetzt guck nicht so unschuldig! Das weißt du doch ganz genau! Ja, das macht mir natürlich Druck.« Zu ihrem großen Entsetzen spürte Charlotta einen dicken Kloß in der Kehle. Na toll, jetzt wird’s ja noch unangenehmer.
Rob, der sie aufmerksam beobachtete, merkte in der Tat, wie emotional aufgewühlt Charlotta gerade war. Das hatte er nicht beabsichtigt. Aber schon bei ihrer ersten Begegnung auf dem Supermarktparkplatz durfte er seinerzeit feststellen, wie herrlich man sie in Verlegenheit bringen konnte. Vielleicht hatte er es tatsächlich damit etwas übertrieben, sie an ihre Grenzen zu bringen.
Aber zu sehen, wie sie sich wand und wehrte und sich ihm schließlich doch ergeben musste … Das war vermutlich – auch als Mensch – der Anteil Wolf und Jäger in ihm.
Er erhob sich. Noch bevor Charlotta das recht registrierte, stand er bereits hinter ihr. Rob legte seine Hände auf ihre Schultern, die Daumen strichen sanft über die verhärtete Schulter- und Nackenmuskulatur. Erschrocken darüber, dass sie seine Bewegung kaum hatte wahrnehmen können, zuckte Charlotta zusammen, begann sich aber recht bald unter der Massage zu entspannen. Gleichzeitig entspannte sich dabei auch ihre Atmung, und sie spürte, wie der Druck in ihr nachließ.
»Vielleicht sollten wir ein bisschen raus gehen«, schlug Rob vor. »Beim Laufen redet’s sich erfahrungsgemäß ein bisschen besser. Und wenn du willst, kannst du ja heute auch noch mal beim Pisap Inua vorbeischauen.«
Charlotta atmete tief ein. In der Nacht hatte es ein wenig geregnet. Noch lange nicht ausreichend für den ausgetrockneten Boden, aber die Erde war feucht. Unter den Bäumen schien nur wenig Regen angekommen zu sein, aber das reichte aus, um die Luft frischer wirken zu lassen. Sauberer. Sie liebte diesen erdigen Geruch. Die frühe Sonne bemühte sich redlich, die Erde wieder zu trocknen, weshalb stellenweise ein ganz feiner Dunst über dem Boden zu schweben schien.
Bald merkte sie, dass sie nicht zu der Lichtung liefen, die sie am Vortag bereits gesehen hatte. Es schien ihr so, als kämen sie diesmal von der anderen Seite an die Felsen heran.
Sicheren Schrittes lief Rob einen schmalen Weg hoch. Er musste nicht schauen, wohin er seine Füße setzte. Zu oft war er hier schon entlanggelaufen. In seiner Gestalt als Mensch und in der als Wolf. Das wurde ihm deutlich bewusst, als er sich nach wenigen Metern nach Charlotta umschaute und bemerkte, wie unsicher sie sich immer wieder an dem links neben ihr aufragenden Felsen festhielt. Diese Erkenntnis ließ ihn seinen Plan, ihr die Gegend von oben zu zeigen, ändern. Sie würden nur bis zur Höhle laufen.
»Ich müsste mehr Sport machen«, schnaufte Charlotta, als sie auf einer ebenen Fläche neben Rob stand. Sie keuchte vor Anstrengung – sehr unangenehm.
»Komm mit, ich zeig dir was.« Wieder lief er vor. Als Charlotta nach Luft ringend protestieren wollte, sah sie, dass er in einem Loch verschwand. Neugierig folgte sie ihm.
Der Höhleneingang war mindestens fünf Meter hoch, die Decke senkte sich jedoch sehr schnell. Aber selbst zehn Meter weiter konnte sogar Rob noch aufrecht stehen. Dann wurde es für ihn und seinen Kopf allerdings etwas gefährlich.
Rob nahm aus einer Nische eine Fackel, eine Packung mit Zündhölzern und zündete die Fackel an.
»Wieso legt ihr hier nicht einfach eine Taschenlampe hin?«, wollte Charlotta wissen. Das mit der Fackel und dem Anzünden fand sie umständlich und wegen des offenen Feuers auch nicht ungefährlich.
»Grund Nummer eins ist«, sagte Rob in einem Ton, als habe er den tieferen Sinn ihrer Frage erahnt, »dass es im Schein der flackernden Schatten einfach viel schöner und eindrucksvoller ist. Grund Nummer zwei ist, dass es seltsamerweise nicht permanent, aber doch gelegentlich passiert, dass hier irgendwo aus einer Felsspalte Kohlenmonoxid austritt. Wir würden es mit der Taschenlampe nicht merken. Das Feuer der Fackel reagiert darauf, und wir können noch schnell raus laufen, bevor wir ersticken.«
»Ist das dein Ernst? Dann würde ich doch lieber direkt wieder gehen!«
»Glaubst du, ich würde dich absichtlich in Gefahr bringen?«, fragte er. »Ich selbst hänge übrigens auch zu sehr an meinem jungen Leben. Dieses Verfahren ist seit Generationen erprobt, und ich bin mir sicher, dass ich das beurteilen kann.« Er sah sie im Schein der Fackel prüfend an. »Vertraust du mir?«
Charlotta räusperte sich verlegen. »Na jaa«, sagte sie gedehnt, »da du gerade gesagt hast, dass du auch an deinem Leben hängst … solange du mich da nicht alleine rein schickst, kann ich es wohl wagen, denke ich. Aber nimm’s mir nicht übel – so’n bisschen komisch ist’s mir doch dabei.«
»Komm, ich nehme dich an die Hand«, schmunzelte Rob. »Dann kannst du dir auch sicher sein, dass ich nicht plötzlich weglaufe.«
Ohne ihre Antwort abzuwarten, nahm er ihre kühle Hand in seine warme, große. Charlotta war verblüfft, wie viel sicherer sie sich in der gleichen Sekunde fühlte und lächelte ihn dankbar an. Für einen Augenblick schien es, als wollte Rob etwas sagen. Doch dann lief er los. Die Fackel in der linken Hand und Charlotta an der rechten.
Das Licht des Höhleneingangs konnte man nur noch erahnen, als Rob plötzlich stehen blieb. »An dieser Stelle musst du ein bisschen aufpassen. Wir müssen hier links um die Kurve, und der Boden ist feucht. Du kannst, wenn du fällst, nicht irgendwo in die Tiefe stürzen, aber du könntest dir empfindlich wehtun.«
»Okay!« In ihr machte sich eine leichte Unruhe breit, etwa vergleichbar mit der freudigen Aufregung, wenn sie als Kinder im Sommer heimlich im Dunkeln durch die Gärten in der gesamten Nachbarschaft gelaufen waren, um Kirschen zu klauen.
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