„Ich habe nicht mit ihm geschlafen!“
„Er war nackt“, sagte John mehr zu sich selbst als zu ihr. Und wieder kehrte das Bild der beiden in vollster Intensität zurück vor sein inneres Auge.
„Ja, aber doch nicht, weil ich es so gewollt hätte! Das musst du doch mitbekommen haben!“
„Das heißt, er hat sich selbst gegen deinen Willen entblößt und dich gegen deinen Willen geküsst? Er hat dir die Hurerei nur unterstellt?“
„Ja, verdammt!“
„Was bitte war dann falsch daran, dass ich ihn tötete? Und warum trauerst du ihm nach?“, fragte er sie voller Ernsthaftigkeit. Er hoffte inständig, dass sie ihm darauf eine Antwort geben würde, die Klarheit in seine innere Unruhe bringen würde. Denn noch immer konnte er weder in Worte fassen, noch für sich selbst erfassen, was er wirklich glaubte. Er wollte ihr glauben, dass sie ihn nicht betrogen hatte und er tat es auch. Und doch wollte ihr Verhalten nicht zu dem passen, was sie berichtete.
Wieder ging ein Zittern durch ihren Körper. „John! All das ist es doch nicht wert, jemanden dafür umzubringen! Wir haben lediglich etwas herumgealbert.“
„Herumgealbert!“, hallte es in seinen Gedanken wider. „Mir war es das wert“, gab er zurück und hoffte, sie würde ihn endlich verstehen.
„Ist Daniel dir wirklich wert, dafür unser ganzes Leben wegzuwerfen?“, schrie sie ihn an, voller Wut, Empörung und Vorwurf. Und zum ersten Mal verspürte er die Hoffnung, dass sie doch wegen ihm hierhergekommen war, nicht wegen Daniel. Möglicherweise war der Grund, der sie so aufbrachte, tatsächlich, dass sie um ihr gemeinsames Leben fürchtete. Möglicherweise trauerte sie doch nicht um den Mann, der seinen nackten Körper an ihren gepresst hatte.
„Niemand muss ihn je finden“, redete er beruhigend auf sie ein und griff nach ihren Händen, doch sie zog sie von ihm fort. Mit Ekel sah sie ihn an.
„John! Ich habe ihn gefunden! Du hast ihn umgebracht, verdammt! Verstehst du das nicht? Mach es rückgängig, du weißt genau, dass ich nicht mit einem Mörder an meiner Seite leben kann!“ Ihre Stimme zitterte, so sehr weinte sie.
Er trat von ihr zurück. „Das war kein Mord. Es war mein Recht“, erinnerte er sie. Schließlich hatte er die beiden eng umschlungen vorgefunden und Daniel hatte gewusst, dass Diana ihm gehörte. John hätte ihn leiden lassen können, für das, was er getan hatte, doch das hatte er nicht. Er hatte ihn nur getötet.
„Gott“, stieß sie angewidert aus. Sie musterte John kurz, dann senkte sich ihr Blick zu Boden. „John, liebst du mich?“, fragte sie leise.
Fassungslos darüber, dass sie ihm jetzt diese Frage stellte, schüttelte er den Kopf. Sie war es, die ihm ein Eingeständnis ihrer Liebe schuldete, nicht umgekehrt. Erwartete sie, dass er sie nun auch noch dafür belohnte, dass sie sich mit einem anderen Mann vergnügt hatte? Natürlich liebte er sie, doch sie konnte nicht ernsthaft verlangen, dass er ihr dies nun auch bekundete. Sie hatte ihn verletzt. Nun aber stand sie hier selbstgerecht vor ihm ohne den Hauch einer Entschuldigung im Blick. Im Gegenteil, noch immer strahlte ihre gesamte Haltung Abscheu aus, als verurteile sie ihn für das, was er getan hatte. Es war absurd. Anmaßend. Mit einem genervten Schrei streckte John beide Arme zur Seite. Seiner Bewegung folgte ein solch starker Luftzug, dass sich links und rechts neben der Straße die angrenzenden Bäume entwurzelten und umkippten. Er tat es, um seiner Wut freien Lauf zu lassen, jedoch auch, um sie Diana zu zeigen. Schwer atmend sah er sie an. Er öffnete den Mund, um ihr eine Erwiderung auf ihre Frage zu geben, doch ihm fehlten die Worte. Er schloss den Mund wieder.
„John, beantworte mir bitte meine Frage.“
Wieder schüttelte er den Kopf. Er sah auf das dunkle Braun der entwurzelten Bäume neben sich. „Warum fragst du mich das?“
„Wenn du mich liebst, dann musst du mir Daniel zurückholen. Ansonsten kannst du vergessen, dass ich je wieder mit dir rede.“
Er schloss die Augen. Es verwunderte ihn kaum mehr, dass sie auch diese Frage nur für Daniel gestellt hatte. „Diana“, begann er um Beherrschung bemüht, „selbst wenn ich es wollte, ich kann ihn …dir… nicht zurückholen. Er ist tot.“
„Versuch es!“
„Glaubst du wirklich, ich hätte derartiges noch nie versucht? Ich kann es nicht.“ Er sah sie fest an. Das war die Wahrheit und das wusste sie.
„Du musst es können. Du hast ihn schließlich auch umgebracht. Also, verdammt nochmal, mach es rückgängig!“ Mehr denn je war ihr ihre Verzweiflung anzuhören. So sehr, dass sie ihm leidtat, obwohl es Daniel war, der diese Verzweiflung in ihr auslöste.
„Ich kann es nicht“, war dennoch das Einzige, was er ihr sagen konnte.
„Du kannst alles!“
„Ich bin nicht Gott!“ Er betonte jedes einzelne Wort. In ihrer Verzweiflung war sie irrational, wie er es nicht von ihr kannte, was ihm abermals nur noch mehr verdeutlichte, wie unnatürlich wichtig ihr Daniels Leben war. Doch sie musste die Wahrheit einsehen. Daniel war tot. Gestorben durch Johns Hand. Und es war nicht rückgängig zu machen. Von niemandem.
Seine Worte drangen nur langsam zu Diana durch. Sie ballte die Hand zur Faust. „Du sollst es versuchen!“, befahl sie ihm noch einmal. „Wenn dir auch nur irgendetwas an mir liegt, versuchst du es!“
Er biss die Zähne aufeinander. Ihre Worte waren verlangend. Sie forderte seine Liebe ein, war aber weit davon entfernt, ihm ihre zu zeigen. Noch dazu forderte sie seine Liebe, um ihr einen anderen Mann zurückzuholen. Mehr und mehr gab sie ihm das Gefühl, dass Daniels Leben ihr wirklich wichtiger war als er. Er aber liebte sie und selbst wenn er wusste, dass er nicht tun konnte, was sie von ihm verlangte und auch obwohl er es nicht wollte, so wollte er sie doch nicht verlieren. Wortlos ging er an ihr vorbei und setzte sich auf den Beifahrersitz ihres Autos. Mit deutlicher Erleichterung setzte sie sich neben ihn.
Daniel lag unverändert auf dem Küchenboden, als sie eintraten. Die gesamte Fahrt über hatten Diana und John nicht miteinander gesprochen. Auch jetzt ging er stumm auf den leblosen Körper zu. Nach einem kurzen Blick zu Diana, kniete er sich vor ihn. Er legte die Hand auf Daniels Hals und schloss die Augen. Diana nahm sich währenddessen einen der Küchenstühle und setzte sich. Sie wusste, dass es mehrere Stunden dauern würde, würde John tatsächlich versuchen Daniel zu helfen. Sie hatte John bereits dabei zugesehen, wie er schwerkranke Menschen geheilt hatte. Wie damals wirkte John auch jetzt konzentriert und doch zugleich abwesend. Seine Haltung war angespannt und schwerelos. Früher hätte sie ihn ewig so beobachten können. Sie hatte seine Ausstrahlung geliebt, egal, was er getan hatte. Nun aber herrschte die Ungeduld in ihr und vertrieb jeden weiteren Gedanken. Eine Stunde lang sah sie pausenlos von John auf die große Wanduhr, die in der Küche hing. Nach dieser Stunde stand sie auf und ging auf und ab. Sie wollte sich beschäftigen, doch sie wollte sich nicht ablenken. Sie hatte das Gefühl, dass es Daniel helfen könnte, wenn sie mit ihren Gedanken bei ihm war. Als zwei Stunden vergangen waren, hätte sie John am liebsten angeschrien, dass er sich beeilen solle, dass er sich nicht extra Zeit nehmen solle, nur um ihr am Ende zu sagen, dass er sich Mühe gegeben habe, wenn es denn doch nicht klappen sollte. Sie sagte nichts davon. Sie wusste, es wäre kontraproduktiv gewesen.
Nach fünf Stunden erklang plötzlich ein zischendes Geräusch aus Daniels Richtung. Sofort eilte Diana näher an ihn heran. Sie sah zweimal hin, um absolut sicher zu gehen, dass sie es sich nicht eingebildet hatte. Doch auch beim zweiten Hinsehen erkannte sie ganz deutlich, wie sich Daniels Brust langsam hob und senkte. Er atmete wieder. Voller Hoffnung sah sie zu John, der noch mit geschlossenen Augen da kniete, wie bereits fünf Stunden zuvor. Er bewegte sich keinen Zentimeter. Wie gebannt sah Diana auf Daniels Atembewegungen und bemerkte so kaum, wie die restliche Zeit verging, bis John schließlich die Augen öffnete. Er entfernte seine Hände von Daniels Hals und erhob sich.
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