Es tat mir auch leid, dass er ihr dies mitteilen sollte, doch interessiert hatte es mich allemal. Ich verschwieg ihm jedoch, dass sie vom Äußerlichen her gar nicht mein Typ war. Das mag jetzt oberflächlich klingen, aber ich denke jeder von uns hat eine Idealvorstellung, welcher man möglichst nah kommen möchte. Vor allem wenn man wie ich die meiste Zeit Single gewesen ist und Beziehungen bisher nicht lang gehalten hatten, manifestiert sich dieses Bild von Perfektion, was zunächst moralisch verwerflich erscheint, aber meines Erachtens im Grunde einfach nur menschlich ist. Einerseits wollte ich nicht mehr alleine sein, aber andererseits sollte sie nicht als mein Notnagel herhalten. Ich dachte an jenem Abend, das Problem habe sich gelöst, als ich sie traf, doch nun würde ich mir zumindest die Zeit nehmen müssen das Ganze auf mich zukommen zu lassen.
Trotz meiner Bedenken ließ mich der Gedanke nicht los, dass sie in mich verliebt sein sollte. Wenn Kai nicht gelogen hatte, musste ich tiefer in ihre Seele schauen. Meine impulsiven Gefühle bei unserem Wiedersehen gaben allemal eine Grundlage, aber trotzdem wollte ich mir sicher sein über das, was ich empfinde und vor allem darüber, dass es auch wirklich auf Gegenseitigkeit beruhte. Mir war es wichtig, dass ich aufrichtige und fundamentierte Gefühle entwickeln würde, indem ich etwas in ihrem Herzen fände, was es sich zu lieben lohnt und so ging ich der Sache auf den Grund.
Im Laufe der nächsten Tage schrieb ich über Facebook und WhatsApp mit Kathrin. Ich fragte sie, ob sie Zeit hätte und so kam es, dass wir uns am späten Nachmittag trafen, nachdem sie vom Reitunterricht nach Hause gekommen war. Offenbar war sie über mein Kommen doch hoch erfreut, zumindest schien sie bei guter Laune zu sein und war lebhaft wie an jenem Abend. Sie sagte mir, sie wolle ungern alleine essen, weshalb sie mich bat so früh wie möglich zu kommen. Sie machte uns ein paar Bratkartoffeln und wir aßen zusammen, während sie mir viel zu erzählen hatte. Es war seltsam – normalerweise war ich derjenige, der immer viel zu erzählen hatte und kaum zu bremsen war, doch sie übertraf mich allemal. Im Grunde störte es mich auch nicht, so bekam ich wenigstens Übung in Sachen Empathie und Zuhören. Was mich jedoch irritierte, war dass ich von nichts auch nur einen blassen Schimmer hatte. Ich kannte mich weder mit Reitsport aus, noch gingen meine Kenntnisse über den Vampirismus über die allgemeinen Mythen aus dem alten Transsylvanien hinaus. Man hätte meinen können, ich sei desinteressiert gewesen, doch dem war nicht so. Ich war es lediglich nicht gewohnt, dass mir jemand viel zu erzählen hatte. Wir gingen nach oben, wo sie mir ihre Räumlichkeiten zeigte. Ich war erstaunt wie viele Zimmer sie dort für sich alleine hatte, ja sogar ein eigenes Bad. Das lag im Grunde daran, dass ihre Brüder ausgezogen waren und bis auf Weiteres nur noch das Schlafzimmer ihrer Eltern mitsamt Bad und Sauna, sowie die Waschküche nicht zu ihrem persönlichen Territorium gehörten.
Sie spielte mir einige Lieblingslieder von sich vor und irgendwie war mir dabei seltsam zumute. Ich musste mich nun auch mit den Differenzen auseinandersetzen. So langsam fühlte ich mich von ihrer lebhaften Art bedrängt. Wie konnte es sein, dass ich emotional einen solchen Rückschlag erfuhr? War es vielleicht wahrhaftig die Angst vor einer ernsten Beziehung oder war ich derartig von Euphorie geprägt worden, dass mir die Nüchternheit zuwider war?
Wir gingen in ihr Wohnzimmer, wo sie mir ihre reichhaltige DVD-Sammlung zeigte, welche unter anderem viele Erinnerungen aus meiner frühen Jugend enthielt, wie zum Beispiel die Filmreihe Die wilden Kerle und vielerlei Disney-Produktionen, welche ich früher immer gerne auf Super-RTL gesehen hatte. Sie schien kindlich begeistert zu sein und ich begann darüber nachzudenken, inwieweit es von Vor- oder Nachteil sein würde. Sowas wie die Staffeln von Vampire Diaries blieb neben anderen Filmen, Serien und Animes über Vampire sicherlich nicht aus. Für kurze Zeit spielte ich mit dem Gedanken die Flucht zu ergreifen und mich anderweitig zu orientieren, vor allem als sie mir von ihrer besten Freundin erzählte, die im Übrigen zu der Zeit rothaarig war, wofür ich noch heute ein Faible habe. Das klingt jetzt sicherlich gemein, doch eigentlich war es mehr ein phantomarer Gedanke. Obwohl ich mich nach außen hin so sehr distanzierte, schien ich mich da wirklich rein zu steigern. Es war mir in diesem Moment nicht klar, doch wenn ich heute auf mein Verhalten zurückschaue hatte sie mich in diesem Moment längst in ihrem Bann.
So langsam aber ging es mir selbst schon auf die Nerven, dass mir meine eigenen Gedanken und Interpretation dermaßen im Weg standen. Wir saßen auf der Couch. Wir wirkten beide nervös und ich schaute sie nur an, während ich verlegen lächelte. Ich entschloss mich das Schweigen zu brechen:
„Du sag mal, der Kai hat mir da was von dir erzählt. Stimmt das?“
Sie versteckte ihren Kopf hinter ihren Ärmeln. Ich rutschte zu ihr rüber und nahm ihre Arme von ihrem Gesicht.
„Das muss dir nicht peinlich sein. Bitte versteh mich nicht falsch. Ich will mehr als ein Freund sein, aber ich brauche etwas Zeit. Ich habe in Sachen Beziehungen ‘ne Menge Scheiße durchgemacht und das sitzt mir noch immer in den...“
„Schhhh“
Sanft legte sie ihren Finger auf meine Lippen.
„Zerbrich dir nicht gleich das Köpfchen. Ich kann das nur allzu gut verstehen. Ich bin selber oft verletzt worden, aber ich merke, dass du ein sehr ehrlicher und aufrichtiger Mensch bist. Ich habe so viel Gefühl und vor allem diese Sehnsucht nach Liebe in deinen Augen gesehen. Ich weiß wie schwer das ist, aber fürchte dich nicht. Ich bin für dich da.“
Es war sehr schön diese Worte von ihr zu hören, alles was sie sagte, klang auf einmal so warm und menschlich. Vielleicht gab es ja doch mehr, was uns verbindet. Ich nahm sie in den Arm und ließ sie auf meiner Brust liegen, während wir Fernsehen schauten. Die Sache zog sich bis in den späten Abend hin, so dass ich dann doch mal nach Hause fuhr, da wir am nächsten Tag Schule hatten. Ich hatte die Zeit so weit vergessen, dass ich nicht mal zum Abendessen nach Hause kam, doch das war mir egal. Was auch immer jetzt noch passieren würde, ich wusste ich hatte einen Schritt in die richtige Richtung getan.
[6] Ein Schlüssel ohne Schloss
Ich fuhr durch die dunklen Straßen meiner Heimat, sofern man dieses Kuhkaff eine Heimat nennen konnte. Es war ganz praktisch, dass sie im selben Ort wohnte wie ich, immerhin war ich schon weitere Wege gefahren, um Freunde zu besuchen und diese, welche auch gerne meine Freundin hätten werden können, doch so wie es aussah hatte ich nun ein Eisen im Feuer.
An unserer Einfahrt angekommen öffnete ich die Garage und stellte mein Fahrrad darin ab. Beim Schließen klemmte das blöde Tor immer ein wenig, wenn man versuchte es an den seitlichen Balken zu zuziehen. Folglich nahm ich den Schlüssel, welchen ich stets mit einem Karabinerhaken an meiner Hose befestigte, aus meiner Gesäßtasche und schloss die Tür auf. Das Schloss im Übrigen war auch ganz gerne mal widerspenstig. Ich schaltete das Licht im Hausflur ein und ging die Treppe hoch, während ich das laute Knacken des Stromstoßrelais im Sicherungskasten deutlich hören konnte. Es schien mir, als wäre ich wacher denn je.
Als ich die Wohnungstür aufschließen wollte, bemerkte ich, dass der Schlüssel von innen steckte, sodass ich klingeln musste. Meine Mutter öffnete die Tür und war etwas verwundert, wo ich die Zeit über gewesen war. Scheinbar war ich so versessen darauf dieser Liebe nachzueifern, dass ich an dem Tage kaum noch mit jemandem sprach. Meine Mutter schloss hinter mir die Tür wieder ab und legte sich zurück ins Bett, doch ich konnte einfach noch nicht schlafen, also setzte ich mich vor meinen Computer.
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