Wir gingen ins Haus und setzten uns in die Küche. Ohne es zu wissen setzte ich mich natürlich auf den Stammstuhl ihres Vaters.
Wir redeten lange miteinander, über unseren bisherigen Werdegang, unsere Sehnsüchte und Macken, all die Schwierigkeiten und Leiden, die wir bisher durchlebt hatten und vieles mehr. Mit jedem weiteren Gesprächsthema entdeckten wir mehr Kongruenzen bei denen ich irgendwann nur noch sagen konnte: „Du also auch!? Ich dachte es gäbe nur einen Freak wie mich.“
Sie hatte selbst ein ADHS und war ein sehr lebhafter und unsagbar liebevoller Mensch. Ich fragte mich ernsthaft wie man auch ihr nur so wehtun konnte; als sei es das Schicksal einer Kathrin derartiges Leid zu erfahren. Es sei nur so viel gesagt: Einer der besagten Jungen, nämlich Tim, und sein Bruder Olaf waren nicht grade sittlich mit ihr umgegangen, als sie noch kleiner war. Es brach mir das Herz und machte mich zugleich wütend. Ich hatte kurze Zeit zuvor in einer Pizzeria gearbeitet und ihm Essen geliefert. Ich wusste zwar, dass er ein Schwein war, aber hätte ich das gewusst, hätte ich ihm wahrscheinlich drauf gespuckt. Dafür würden die beiden nicht nur einmal büßen.
Als wir uns damals kennengelernt hatten waren diese Wunden noch frisch, doch ich hatte nichts geahnt. Noch heute bereue ich, dass ich den Kontakt damals einfach schleifen lassen habe, denn ich hätte verhindern können, dass sie daran innerlich so zu Grunde gehen würde. Wir beide hätten uns viel positiver entwickelt, doch verstanden wir beide nicht, was unsere Nachlässigkeit für die Zukunft bedeuten würde. Könnte ich die Zeit doch nur zurückdrehen. Ihren Eltern wollte sie es nie erzählen, da sie ohnehin keinen guten Draht zu ihnen hatte und deshalb keine Angriffsfläche zeigen wollte.
Wenn man vom Teufel spricht – Ihr Vater kam nach Hause, als wir in der Küche saßen. Ich wusste nicht wie er reagieren würde, wenn er einen vermeintlich Fremden mit seiner Tochter in der Küche sehen würde. Aber so voll wie er war, nahm er es ziemlich gelassen, nur dass er Kathrin am nächsten Tage mit Fragen gelöchert hat, wer ich denn sei.
Meine Freunde auf der Kirmes hatte ich schon ganz vergessen, sie machten sich Sorgen, als sie hörten, ich sei mit „irgendeiner Blonden“ mitgegangen. Bestimmt saßen wir dort gute zwei Stunden. Sie wurde allmählich müde und bat mich zu gehen. Sie brachte mich zur Tür. Ich drückte sie nochmal kräftig mitsamt Wangenkuss und ging zurück zur Kirmes.
Am nächsten Tag war ich ein wenig verwirrt. Zwar hatte es mich gefreut sie wiederzusehen, doch konnte ich trotz all der Zeichen (welche ich zu der Zeit nicht erkannte), nicht wirklich sagen wohin die Reise gehen würde. Ich war zunächst davon überzeugt wir würden verdammt gute Freunde werden, auch wenn es noch so seltsam und paradox klingen mag.
Ich war mir gar nicht darüber im Klaren, ob sie überhaupt zu mir passte, ob ich mich mit ihrer aufgekratzten Art, ihrer Begeisterung für den Vampirismus, für Reitsport, Edelsteine und das Lesen arrangieren könnte. Ich fühlte mich überfordert und war vorerst der Meinung nicht in ihre Welt zu passen. Doch sollten unterschiedliche Interessen derartig hinderlich sein?
Es war Samstagabend, zusammen mit Katie und ihrem Kollegen Ralf glühten wir für den zweiten Kirmesabend vor. Ich kippte den Jägermeister in die Gläser und griff nach der Cola-Flasche. Ralf lag mit Katie auf dem Sofa und als ich die Flasche öffnete, drückte er ihr passend mit dem Zischen der Flasche auf die Brust. Die gute Stimmung war eingeläutet, ich füllte die Gläser und wir begannen zu trinken. Laute Musik mit drückenden Bässen rundete das Ganze ab.
Zwischen 8 und 9 Uhr machten wir uns auf den Weg. Wir waren mittlerweile gut gefüllt und torkelten schon fast durch die Straßen. Natürlich hatten wir genug Bier im Gepäck und auf dem Weg wollte jemand seine noch geschlossene Flasche Roten loswerden, die wir ihm abkauften.
Am Platz angekommen schlachteten wir die letzten Getränke, da wir damit nicht in den Biergarten des Zeltes durften. Dort trafen wir einige ehemalige Freunde wieder. Ich war auf einige nicht gut zu sprechen, doch aufgrund meines Alkoholpegels machte ich eine gute Miene zum bösen Spiel.
Mit der Zeit bemerkte ich, dass ich ziemlich gut am Limit war und hörte mit dem Trinken auf, doch als ich bemerkte, dass ich mein Portemonnaie verloren hatte, stand ich ziemlich unter Stress, so dass der Alkohol sein volles Potential entfalten konnte. Folglich wollte ich doch gerne nach Hause und Ralf stütze mich beim Laufen. Blöderweise ließ er mich dann aber fallen und ich prallte mit dem Hinterkopf auf dem harten Pflaster auf, was trotz der lauten Musik mit einem ordentlichen Bums zu hören war. Etwa eine Minute lang war ich bewusstlos, wonach ich schwere Mühen hatte mich wach zu halten. Nach dem Aufprall erst war mir wirklich schlecht und ich übergab mich ausgiebig auf dem Parkplatz, so dass dieser ein nettes neues Pflaster bekam. Eine Freundin von Katie und mir rief ihre Mutter an, sie solle mich doch bitte nach Hause fahren.
In meiner Wohnung angekommen kümmerten die beiden sich liebevoll um mich, vor allem Katie rechnete ich das hoch an. Wir hatten schon einiges miteinander durchgemacht, aber noch nie hatte sie einen Absturz von mir miterlebt. Auf eine seltsame Weise stärkte dies unsere Freundschaft, denn auch wenn ich es zuvor wusste, hatte sie mir damit bewiesen, dass ich ihr blind vertrauen konnte.
Auch am Sonntag noch suchte ich nach der verlorenen Brieftasche. Katie half mir teils dabei und Ralf hingegen lachte mich aus, wobei ich zugeben muss, dass ich selbst über so viel Blödheit lachen musste, vor allem wie ich jammernd an der Wand stand; ich hätte selber auch gelacht. Nach einigen Facebook-Posts, sowie nach der Befragung des Sicherheits-personals auf dem Kirmesplatz gab ich es eigentlich schon auf weiter zu suchen.
Am Montag hingegen bat meine Mutter mich nach der Schule ihr ihren Fächer ins Festzelt zu bringen, was mich dazu trieb mich noch einmal zu erkundigen, immerhin hätte der Finder oder auch Dieb mit den persönlichen Dokumenten nichts anfangen können. Mittlerweile musste ich sie für gutes Geld wiederbeschaffen. Während ich sowohl auf dem Platz als auch im Zelt noch herumlief, traf ich dort auf Kai, welcher mir etwas mittteilte, was mir zunächst absurd erschien, da ich es vorerst falsch verstanden hatte. Er kam nun also zu mir und sagte mir, Kathrin sei in mich verliebt. Es fiel mir schwer diese Aussage richtig aufzufassen, denn dort gab es gleich zwei Gegenargumente: Einerseits wusste ich, dass meine beste Freundin Kathrin bzw. Katie, mit welcher ich schon seit Jahren befreundet war, erstens zu dieser Zeit in Ralf verknallt war, zweitens waren wir mittlerweile so lange befreundet, dass eine Beziehung gar nicht mehr in Frage käme, andererseits erinnerte ich mich an das, was Vanessa mir sagte, nämlich dass die Kathrin, welche ich nach langer Zeit wieder traf, lesbisch sei. Letzteres Argument sah ich als gewichtiger an, nachdem ich es erst später überhaupt in Erwägung gezogen hatte.
Ich ging nun also zu Katie und sprach sie darauf an. Wie zu erwarten stritt sie dies ab und verstand es genauso wenig wie ich, somit käme doch eigentlich nur noch Kathrin E. in Frage, doch darauf kam ich schon gar nicht mehr. Wie gesagt, irgendwie schien eine innere Instanz von mir zu versuchen mich daran zu hindern, dass ich ernsthafte Gefühle für sie entwickelte, vielleicht hatte ich einfach Angst davor.
Katie und ich suchten in Folge dessen Kai auf, um ihn auf das, wohlbemerkt von mir selbst induzierte, Missverständnis anzusprechen. Erneute Ironie des Schicksals – er klärte uns auf, indem er mir erzählte, dass er Kathrin E. gemeint hatte. Man mag es kaum glauben, wenn man es nun als Außenstehender betrachtet oder auch ich selbst im Nachhinein, doch ich war allen Ernstes überrascht aber auch irgendwie verunsichert. Wir hatten uns gerade erst wiedergefunden und aus meiner Erfahrung heraus wollte ich nicht sofort mit der Tür ins Haus fallen, sondern erst einmal abwarten was passieren würde. Ich wollte nicht erneut den Fehler machen mich in eine Beziehung zu stürzen ohne zu wissen, ob es Sinn machen würde. Dies sollte aber kein automatische „Nein“ bedeuten, sondern vielmehr ein „vielleicht“.
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