So aus der Höhe betrachtet, kam mir die Gewalt des Aufstandes recht eigentlich zum Bewußtsein. Eine dichtbevölkerte Landschaft hatte mit einem Schlage ihr Aussehen verändert; aus losen Zusammenrottungen nomadisierender Gelegenheitsdiebe war eine geschlossene Front gegen die Türkei geworden und kämpfte gegen sie, zwar nicht auf unsere Weise, aber doch mit aller Wildheit, und das trotz der religiösen Idee, die drauf und dran war, den ganzen Osten zum Heiligen Krieg gegen uns zu entflammen. Bei den Stämmen in der Kampfzone zeigte sich eine fast überreizte Begeisterung, wie sie sicherlich allen nationalen Erhebungen zu eigen ist, die aber etwas seltsam Beunruhigendes hatte für den Angehörigen eines schon so lange Zeit freien Landes, dem der Begriff nationaler Freiheit wie das Wasser geworden war, das man trinkt: man schmeckt es nicht.
Später sah ich Faisal nochmals und versprach ihm, mein Bestes für ihn zu tun. Meine Oberen in Kairo würden eine Operationsbasis in Janbo errichten und dort Vorräte und allen nötigen Nachschub für seinen ausschließlichen Gebrauch aufstapeln lassen. Wir würden versuchen, aus den in Mesopotamien oder am Kanal gefangenen türkischen Offizieren Freiwillige für ihn zu gewinnen. Ferner würden wir Unteroffiziere und Mannschaften der Interniertenlager als Geschützbedienung ausbilden und sie mit Gebirgsgeschützen und Maschinengewehren ausrüsten, soviel davon in Ägypten aufzutreiben wären. Schließlich würde ich vorschlagen, aktive britische Offiziere herunterzusenden, die ihm als Ratgeber und Verbindungsoffiziere beigegeben werden sollten.
Unsere Unterhaltung, die diesmal freundschaftlichen Charakter angenommen hatte, endete in wärmstem Dank seinerseits und der Einladung, sobald als möglich wiederzukommen. Ich erklärte ihm, daß meine Pflichten in Kairo den Dienst im Felde für mich ausschlössen, daß mir aber meine Vorgesetzten einen erneuten Besuch bei ihm vielleicht später gestatten würden, wenn seine augenblicklichen Wünsche erfüllt wären und die Bewegung glücklich vorwärtsginge. Inzwischen möchte ich ihn für meine Reise nach der Küste um seine gütige Unterstützung bitten.
Faisals Fürsorge verschaffte mir eine Eskorte einheimischer Scherifs, von denen geleitet ich durch weite Meilen rauhen Berglandes, dessen Öde von schmalen Wasserrinnen wie von haarfeinen Fäden durchzogen war, nach Janbo gelangte, einer Art von dörflichem Djidda, das sich sehr gastfrei erwies. Sein Gouverneur, ein Javaner aus Mekka, beherbergte mich eine Reihe von Tagen, bis dann die »Suva«, Kapitän Boyle, den Hafen anlief und mir Mitfahrt die Küste hinunter gewährte. In der Tat »gewährte«, denn nach den tagelangen Dauerritten sah ich einigermaßen abgerissen aus und trug zudem das Kopftuch der Eingeborenen; bei der königlichen Marine aber gilt alles Eingeborene als Lumpenpack.
In Djidda lag der »Euryalus«, mit Admiral Wemyss an Bord; er wollte nach Port Sudan, um von da Sir Reginald Wingate in Khartum aufzusuchen. Sir Reginald, als Sirdar der ägyptischen Armee, führte den Befehl über die militärische Mitwirkung Englands am arabischen Aufstand; und für mich war es daher von Wichtigkeit, ihm meine Eindrücke mitzuteilen. Ich bat also den Admiral um Überfahrt und um einen Platz in seinem Zuge nach Khartum, was er mir auch bereitwillig gewährte, nachdem er mich einem längeren Kreuzverhör unterzogen hatte.
Ich fand, daß der Admiral dank seinem regen Geist und seiner klaren Einsicht dem arabischen Aufstand von Anfang an sein Interesse zugewendet hatte. Er war wieder und wieder mit seinem Flaggschiff herabgekommen, um Hilfe zu leisten, wenn die Dinge kritisch standen, und war wohl zwanzigmal von seinem Kurs abgewichen, um beim Nachschub mitzuwirken, was eigentlich Sache der Armee gewesen wäre. Er hatte in zahllosen Transporten den Arabern Gewehre, Maschinengewehre, Landungskorps und technisches Material gebracht und war allen ihren Anforderungen stets bereitwillig und in weitestem Umfange nachgekommen.
Nach dem Aufenthalt in Arabien war Khartum kühl und gab mir die nötige Frische, um Sir Reginald Wingate meinen langen Bericht vorzutragen, wobei ich mit allem Nachdruck hervorhob, daß mir die Lage sehr aussichtsreich erschiene. Die Hauptsache wäre fachkundige Beihilfe, und der Feldzug würde sich gedeihlich entwickeln, wenn einige aktive englische Offiziere, besonders befähigt und des Arabischen mächtig, den arabischen Führern als technische Ratgeber und zur Aufrechterhaltung engster Verbindung mit uns beigegeben würden.
Wingate war froh, von hoffnungsvollen Aussichten zu hören. Der arabische Aufstand war sein Traum seit Jahren. So fuhr ich nach zwei- bis dreitägigem Aufenthalt in Khartum nach Kairo, in der Gewißheit, daß die verantwortliche Persönlichkeit alle meine Vorschläge angenommen hatte. Die Fahrt den Nil hinunter war für mich eine wahre Ferienzeit.
Nach einem Aufenthalt in Kairo von nur wenigen Tagen gab mir mein Chef, General Clayton, den Auftrag, zu Faisal nach Arabien zurückzukehren. Das paßte mir wenig, und ich machte geltend, daß ich mich für diese Aufgabe durchaus ungeeignet fühlte. Ich erklärte, daß mir jede Art von Verantwortung zuwider wäre – zweifellos bedingte das Amt eines gewissenhaften Ratgebers ein hohes Maß von Verantwortung – und daß mich von jeher Dinge mehr interessiert hätten als Menschen und Ideen mehr noch als Dinge. Daher würde mir die Verpflichtung, mich bei Menschen durchzusetzen und sie auf bestimmte Zwecke hin zu beeinflussen, doppelt schwer fallen. Ich wäre nichts weniger als Soldat, verabscheute alles Soldatische, und außerdem hätte ja der Sirdar bereits telegraphisch in London aktive Offiziere angefordert, die die nötigen Fachkenntnisse zur Leitung des arabischen Feldzuges besäßen.
Clayton wendete ein, daß bis zu deren Ankunft Monate vergehen würden, inzwischen aber müßte Faisal fest an uns gebunden und sein Bedarf schnellstens nach Ägypten gemeldet werden. So blieb mir nichts übrig, als zu gehen.
Ich reiste also nach Janbo, jetzt der speziellen Operationsbasis von Faisals Armee. Als ich mich eben landeinwärts zu Faisal aufmachen wollte, kam die Nachricht von einer Schlappe der Türken. Eine ihrer Erkundungsabteilungen, aus Kavallerie und Kamelreitern bestehend, hatte sich zu weit in die Berge vorgewagt und war von den Arabern abgefangen und auseinandergesprengt worden. So brach ich also unter einem guten Vorzeichen auf, zusammen mit meinem Reisegespons, Scherif Abd el Kerim. Er war begleitet von zwei bis vier seiner Leute, alle gut beritten; und unsere Reise ging rasch vonstatten, denn Abd el Kerim, ein berühmter Reiter, setzte seinen Ehrgeiz darein, die Etappen in einem Drittel der üblichen Zeit zurückzulegen. Da ich nicht mein eigenes Kamel ritt und das Wetter kühl, bewölkt und regenverheißend war, hatte ich nichts dagegen.
Wir ritten drei Stunden ununterbrochen in scharfem Trab. Der hatte unsere vollen Wänste so gründlich durchgerüttelt, daß wir wieder etwas hineinstopfen konnten. Also hielten wir an und labten uns an Brot und Kaffee, während Abd el Kerim sich auf seinem Teppich in einer Art Hundekampf mit einem seiner Leute umherwälzte. Als er außer Atem war, setzte er sich auf, und nun erzählten sie sich Geschichten und trieben Possen, bis sie genügend verschnauft hatten, um aufzustehen und zu tanzen. Das geschah alles auf eine ungezwungene, gutgelaunte Art und keineswegs würdevoll.
Dann, nach erneutem Aufbruch, brachte uns eine einstündige tolle Hetzjagd an den Fuß einer mächtigen Bergkette. Um sie zu überqueren, ritten wir ein enges, gewundenes Tal hinan. Da es vor einigen Tagen Wasser geführt hatte, war der sandige Boden fest; doch der steile Anstieg zwang die schnaufenden Kamele, im Schritt zu gehen. Mir war das willkommen, aber Abd el Kerim war wütend; und als wir nach einer knappen Stunde die Höhe erreichten, riß er sein Tier wieder vorwärts, und nun ging's eine halbe Stunde in halsbrecherischer Jagd durch die Finsternis den Berg hinab (zum Glück war der mit Sand und Kieseln bedeckte Boden gut gangbar). Dann ebnete sich das Land, und wir gelangten zu den Außenplantagen von Nakhl Mubarak, den Hauptdattelkulturen der südlichen Djuheina.
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