»Gebt ihnen Bleichgesichtsgründe,« versetzte Hist ironisch; »die immer gut für Eine Seite, obgleich schlecht für die andere.«
»Nein, nein, Hist, es gibt keine zwei Seiten für die Wahrheit – und doch erscheint es so seltsam! Gewiß habe ich die Verse recht gelesen, und Niemand würde so ruchlos sein, das Wort Gottes falsch zu drucken. Das kann nie sein, Hist.«
»Nun, armem indianischem Mädchen scheinen, es kann Alles sein bei Bleichgesichtern,« versetzte die Andere kühl, »ein Mal sagen sie weiß, und das andre Mal schwarz. Warum denn es nie sein kann?«
Hetty wurde immer verwirrter, bis sie endlich, überwältigt von der Angst, sie habe ihren Zweck verfehlt, und das Leben ihres Vaters und Hurry’s werde durch einen Mißgriff von ihrer Seite aufgeopfert werden, in Tränen ausbrach. Von diesem Augenblick an verschwand im Benehmen Hist’s alle Ironie und kühle Gleichgültigkeit, und sie wurde wieder die zärtliche, liebkosende Freundin. Ihre Arme um das betrübte Mädchen schlingend, suchte sie ihren Kummer zu beschwichtigen durch das kaum je seine Wirkung verfehlende Mittel weiblichen Mitgefühls.
»Aufhören weinen – nicht weinen!« sagte sie, die Tränen aus Hetty’s Angesicht wischend, wie sie denselben Dienst einem Kinde würde geleistet haben, und beugte sich herab, um sie gelegentlich mit der Zärtlichkeit einer Schwester an ihr warmes Herz zu drücken; »warum Euch so beunruhigen? Ihr nicht das Buch machen, wenn es falsch sein, und Ihr nicht Bleichgesicht machen, wenn er ruchlos. Es böse rothe Männer geben und böse weiße Männer – keine Farbe ganz gut – keine Farbe ganz böse, Häuptlinge das gut genug wissen.«
Hetty erholte sich bald von diesem plötzlichen Ausbruch des Jammers, und dann wendete sich ihr Gemüt wieder mit all seinem treuherzigen Ernst zu dem Zweck ihres Besuchs. Sie bemerkte, dass die grimmig aussehenden Häuptlinge noch in ernster Aufmerksamkeit um sie her standen, und hoffte, ein neuer Versuch, sie vom Rechten zu überzeugen, werde besser gelingen.
»Hört, Hist,« sagte sie, ringend ihr Schluchzen zu unterdrücken und vernehmlich zu sprechen; »sagt den Häuptlingen, es frage sich nicht, was die Ruchlosen tun – Recht ist Recht – die Worte des Großen Geistes sind die Worte des Großen Geistes – und Niemand kann ungestraft eine böse Tat tun, weil ein Andrer vor ihm sie getan hat! Vergeltet Böses mit Gutem! sagt dies Buch; und das ist das Gesetz für die roten Männer wie für die Weißen.«
»Nie hören von solchem Gesetz unter Delawaren oder Irokesen,« antwortete Hist begütigend. »Nicht gut, den Häuptlingen von solchem Gesetz sagen. Sagt ihnen Etwas, das sie glauben.«
Hist wollte demungeachtet in ihrem Dollmetschen fortfahren, als eine Berührung von dem Finger des ältesten Häuptlings auf ihrer Schulter sie aufschauen machte, da bemerkte sie, dass Einer von den Kriegern die Gruppe verlassen hatte, und schon mit Hutter und Hurry wieder zurückkam. Begreifend, dass die beiden Letztern auch in die Untersuchung hineingezogen werden sollten, verstummte sie, mit dem nie zögernden Gehorsam eines indianischen Weibes. Nach wenigen Sekunden standen die Gefangenen den Vornehmsten der sie gefangen haltenden Truppe Angesicht gegen Angesicht gegenüber.
»Tochter,« sagte der älteste Häuptling zu der jungen Delawarin, »fragt diesen Graubart, warum er in unser Lager gekommen?«
Die Frage ward von Hist in ihrem unvollkommnen Englisch gestellt, aber in einer Art, die nicht schwer zu verstehen war. Hutter war von Natur zu trotzig und verstockt, um vor den Folgen irgend einer seiner Handlungen zurückzubeben, und er war auch zu genau vertraut mit Ansichten der Wilden, um nicht einzusehen, dass Nichts zu gewinnen stehe durch Zweideutigkeiten oder eine unmännliche Scheue vor ihrem Zorn. Ohne Bedenken gestand er daher die Absicht, in welcher er gelandet, und rechtfertigte sie nur mit dem Umstand, dass die Regierung der Provinz hohe Preise für Skalpe geboten. Dies offene Geständniß ward von den Irokesen mit sichtlicher Zufriedenheit aufgenommen, nicht sowohl jedoch in Betracht des Vortheils, den es ihnen, vom moralischen Gesichtspunkt angesehen, gewährte, als so fern es ein Beweis war, dass sie einen Mann gefangen, wert, ihre Gedanken zu beschäftigen und Gegenstand ihrer Rache zu werden. Hurry, befragt, gestand ebenfalls die Wahrheit, obwohl er zur Verheimlichung geneigter, als sein trotziger Genosse gewesen wäre, hätten die Umstände diese Handlungsweise besser begünstigt. Aber er besaß Takt genug, um einzusehen, dass Zweizüngelei in diesem Augenblick nutzlos sein würde, und er machte aus der Noth eine Tugend, indem er eine Freimüthigkeit nachahmte, die bei Hutter das Ergebniß einer ihm zur andern Natur gewordnen Gleichgültigkeit war, indem er nur einer jederzeit rauhen, schroffen und um Folgen für seine Person unbekümmerten Gemütsart folgte.
Sobald die Häuptlinge die Antworten auf ihre Fragen erhalten, schritten sie schweigend weg, wie Männer, die die Sache als abgethan betrachteten, und alle Dogmen Hetty’s waren weggeworfen bei Wesen, die von der Kindheit bis zum Mannesalter in der Schule der Gewalttat herangewachsen waren. Hetty und Hist blieben jetzt allein mit Hutter und Hurry, und den Schritten und Bewegungen von Keinem schien irgend ein Zwang auferlegt, obwohl in der Tat alle Vier unablässig und aufmerksam bewacht wurden. Was die Männer betrifft, so ward sorgfältig darauf geachtet, sie zu verhindern, von einer der Büchsen Besitz zu ergreifen, welche ringsum zerstreut lagen, ihre eigenen mit eingeschlossen; aber hierauf war alle offenkundige Bewachung beschränkt. Aber sie, die so erfahren waren in indianischen Bräuchen und Listen, wußten zu gut, wie groß der Abstand war zwischen Schein und Wirklichkeit, um sich durch diese anscheinende Sorglosigkeit täuschen zu lassen. Obgleich beide unaufhörlich auf Mittel zur Flucht dachten, und zwar ohne Verabredung, erkannte doch jeder die Fruchtlosigkeit, einen Plan der Art zu versuchen, der nicht tief angelegt und rasch ausgeführt würde. Sie waren lang genug in dem Lager, und hinlänglich scharfe Beobachter, um sich vergewissert zu haben, dass auch Hist eine Art Gefangene war; und auf diesen Umstand bauend sprach Hutter in ihrer Gegenwart offener, als er vielleicht sonst räthlich gefunden hätte, und veranlaßte durch sein Beispiel Hurry zu gleicher Sorglosigkeit.
»Ich will dich nicht tadeln, Hetty, dass du mit diesem Vorhaben hieher kamst, das gut gemeint, wenn auch nicht sehr klug angelegt war,« begann der Vater, indem er sich neben seine Tochter setzte und ihre Hand ergriff; ein Zeichen der Zärtlichkeit, das dieser rauhe Mann gerade diesem Kind zu geben pflegte – »aber Predigen und die Bibel sind nicht die Mittel, einen Indianer von seinem Wege abzubringen. Hat Wildtödter eine Botschaft geschickt; oder hat er einen Anschlag, durch den er uns in Freiheit zu setzen denkt?«
»Ja, das ist die Hauptsache vom Ganzen,« fiel Hurry ein; «wenn Ihr uns zu einer halben Meile Freiheit verhelfen könnt, Mädchen, oder auch nur zu einem guten Vorsprung von einer Viertelmeile, so will ich für das Übrige stehen. Vielleicht der alte Mann bedarf etwas Mehr, aber für Einen von meiner Größe und meinen Jahren würde das alle Anstände beseitigen.«
Hetty sah bekümmert aus und wandte ihre Augen von Einem zum Andern; aber sie hatte keine Antwort zu geben auf die Frage des brutalen Hurry.
»Vater,« sagte sie, »weder Wildtödter noch Judith wußten von meinem Plan zu gehen, bis ich die Arche verlassen hatte. Sie fürchten, die Irokesen möchten einen Floß machen und versuchen, sich der Hütte zu bemächtigen, und denken mehr daran, die zu vertheidigen, als Euch zu Hülfe zu kommen.«
»Nein – nein – nein,« sagte Hist hastig, obwohl mit leiser Stimme und das Angesicht zu Boden gesenkt, um diejenigen, von denen sie sich wohl bewacht wusste, gar nicht sehen zu lassen, dass sie überhaupt sprach. »Nein, nein, nein, Wildtödter ganz andrer Mann. Er nicht daran denken, sich selbst zu vertheidigen, wenn ein Freund in Gefahr. Einer dem Andern helfen, und Alle zur Hütte gelangen.«
Читать дальше