Wenn auch Hist mit dieser Erklärung nicht ganz befriedigt war, hielt sie doch den Gegenstand nicht für erheblich genug, ihn weiter zu verfolgen. Sie neigte nur ihren Leib einfach vor, bescheiden und sanft die Wahrheit des Vernommenen gelten lassend, und saß da, geduldig die weitern Argumente der Bleichgesichtschwärmerin erwartend.
»Ihr könnt diesen Häuptlingen sagen, dass überall in diesem Buche den Menschen geboten ist, ihren Feinden zu verzeihen, sie wie Brüder zu behandeln, und nie ihren Mitmenschen ein Leid zuzufügen, namentlich auch nicht aus Rachsucht oder sonst einer bösen Leidenschaft. Meint Ihr ihnen dies so sagen zu können, dass sie es wohl verstehen werden, Hist?«
»Es ihnen sagen können wohl, aber sie es nicht leicht verstehen werden.«
Dann erklärte Hist die Ideen Hetty’s, so gut und deutlich sie nur immer konnte, den aufmerksamen Indianern, welche ihre Worte ungefähr mit dem Erstaunen vernahmen, wie es etwa ein Amerikaner unsrer Zeiten an den Tag legen würde bei der Behauptung, dass die große aber schwankende Beherrscherin der menschlichen Dinge der modernen Zeit, die öffentliche Meinung, Unrecht haben könnte. ein Paar von ihnen jedoch, die schon mit Missionären zusammengetroffen, sagten einige erläuternde Worte, und jetzt widmete die Gruppe alle Aufmerksamkeit den Mittheilungen, die nun folgen sollten. Ehe Hetty wieder begann, erkundigte sie sich ernstlich bei Hist, ob die Häuptlinge sie verstanden, und war mit einer ausweichenden Antwort leicht zu befriedigen. »Jetzt will ich den Kriegern einige von den Versen lesen, welche kennen zu lernen ihnen gut ist,« fuhr das Mädchen fort, dessen Benehmen im weitern Verlauf immer ernster und feierlicher wurde; »und sie werden bedenken, dass es die eignen Worte des großen Geistes sind. Für’s erste denn wird Euch geboten: › liebe deinen Nächsten wie dich selbst!‹ Erklärt ihnen das, liebe Hist.«
»Nächster für Indianer kein Bleichgesicht,« antwortete das Delawarische Mädchen mit größerer Bestimmtheit, als sie bisher zu zeigen für gut befunden. »Nächster heißt Irokese für Irokesen, Mohikan für Mohikan, Bleichgesicht für Bleichgesicht. Häuptlinge sonst Nichts nöthig zu sagen.«
»Ihr vergeßt, Hist, das sind die Worte des großen Geistes, und die Häuptlinge müssen ihnen gehorchen so gut als Andere. Hier ist ein andres Gebot: › So dich Jemand schlägt auf den rechten Backen, dem biete den andern auch dar.‹«
»Was das bedeuten?« fragte Hist mit Blitzesschnelle.
Hetty erklärte, dass es ein Gebot sei, Beleidigungen nicht zu rächen, sondern lieber der Erduldung neuer Unbilden von dem Beleidiger sich auszusetzen.
»Und höre auch dies, Hist,« fuhr sie fort: »Liebet Eure Feinde, segnet die Euch fluchen, tut Wohl denen die Euch hassen, und betet für die, so Euch verachten und verfolgen.«
Jetzt war Hetty ganz aufgeregt worden; ihre Augen leuchteten vermöge der Lebhaftigkeit ihrer Gefühle, ihre Wangen flammten, und ihre Stimme, gewöhnlich so leise und zitternd, wurde stärker und nachdrücklicher. Mit der Bibel war sie frühe schon durch ihre Mutter bekannt gemacht worden; und sie ging jetzt von Stelle zu Stelle über mit überraschender Schnelligkeit, und las sorgfältig solche Verse heraus, welche die erhabnen Lehren christlicher Liebe und Versöhnlichkeit predigen. Auch nur die Hälfte dessen, was sie in ihrem frommen Ernst vorbrachte, zu übersetzen, würde Wah-ta!-Wah unmöglich gefunden haben, hätte sie auch den Versuch gemacht; aber Staunen hielt ihre Zunge gebunden, wie die der Häuptlinge; und die junge, treuherzige Schwärmerin war durch ihre Anstrengung ganz erschöpft worden, ehe die Andre nur den Mund öffnete, um eine Silbe vorzubringen. Und dann gab wirklich das Delawarische Mädchen eine kurze Übersetzung von dem Wesentlichen des Gesprochenen und Gelesenen, beschränkte sich aber auf ein paar der ergreifendsten von den Versen, diejenigen, die ihrer Einbildungskraft als die paradoxesten aufgefallen waren, und die auf den Fall freilich am anwendbarsten gewesen wären, hätten die ungebildeten Gemüther der Zuhörer die großen moralischen Wahrheiten fassen können, die sie enthielten.
Es wird kaum nöthig sein, unsern Lesern die Wirkung zu schildern, die eine solche neue Pflichtenlehre aller Wahrscheinlichkeit nach unter einer Gruppe indianischer Krieger hervorbringen musste, bei denen es eine Art von religiösem Grundsatz war, nie eine Wohlthat zu vergessen und nie ein Unrecht zu verzeihen. Zum Glück hatten die vorangegangnen Erklärungen Hist’s die Gemüther der Huronen auf etwas Absonderliches vorbereitet; und das Meiste von dem, was ihnen unvernünftig und paradox erschien, ward durch den Umstand erklärt, dass die Sprecherin einen von den meisten andern Sterblichen ganz abweichend organisirten Geist besitze. Doch waren ein Paar alte Männer da, welche ähnliche Lehren schon von den Missionären gehört hatten, und sie fühlten ein Verlangen, einen müssigen Augenblick mit weiterer Verfolgung eines Gegenstandes, den sie so merkwürdig fanden, auszufüllen.
»Das ist das Gute Buch der Bleichgesichter,« bemerkte Einer von diesen Häuptlingen, das Buch aus der Hand der keinen Widerstand leistenden Hetty nehmend, welche ihm ängstlichgespannt ins Gesicht starrte, während er die Blätter umwandte, als erwartete sie von dieser Tatsache sichtbare Ergebnisse. »Das ist das Gesetz, wornach meine weißen Brüder zu leben behaupten?« Hist, an welche diese Frage gerichtet war, wenn man überhaupt sagen kann, dass sie an eine bestimmte Person gerichtet gewesen, antwortete einfach bejahend, und fügte bei, dass sowohl die Franzosen der Canada’s, als die Dengeese der britischen Provinzen sein Ansehen gleichermaßen anerkennten, und seine Grundsätze zu ehren behaupteten.
»Erklärt meiner jungen Schwester,« sagte der Hurone, Hist scharf anblickend, »dass ich meinen Mund öffnen, und einige wenige Worte sprechen will.«
»Der Irokesenhäuptling sprechen wollen – meine Bleichgesichtfreundin zuhören,« dollmetschte Hist.
»Ich freue mich, das zu hören!« rief Hetty. »Gott hat sein Herz gerührt, und er wird jetzt Vater und Hurry ziehen lassen!«
»Das ist des Bleichgesichts Gesetz,« begann der Häuptling. »Es gebietet ihm Gutes zu tun dem, der ihn verletzt; und wenn sein Bruder von ihm seine Büchse verlangt, ihm das Pulverhorn dazu zu geben. Das ist das Bleichgesichtsgesetz?«
»Nicht so – nicht so,« antwortete Hetty ernst, nachdem diese Worte waren gedollmetscht worden. »Es steht kein Wort von Büchsen in dem ganzen Buch; und Pulver und Kugeln sind dem heiligen Geist ein Aergerniß.«
»Nun dann, warum gebraucht sie denn das Bleichgesicht? Wenn ihm geboten ist, dem doppelt zu geben, der nur Eines verlangt, warum nimmt er doppelt den armen Indianern, die Nichts verlangen? Er kommt vom Lande der aufgehenden Sonne mit seinem Buch in der Hand, und lehrt den Rothmann es lesen; aber warum vergißt er selbst Alles, was es sagt? Wenn der Indianer gibt, ist er nie zufrieden; und jetzt bietet er Gold für die Skalpe unsrer Weiber und Kinder, obgleich er uns Bestien nennt, wenn wir den Skalp eines Kriegers nehmen, der im offenen Krieg getödtet worden. Mein Name ist Rivenoak.« Als Hetty diese furchtbare Frage ihrer Seele in der Übersetzung recht veranschaulicht hatte – und Hist that bei dieser Gelegenheit ihre Pflicht mit ungewöhnlicher Bereitwilligkeit – war sie, wie kaum zu sagen nöthig, in bittrer Verlegenheit. Gescheutere Köpfe als der dieses armen Mädchens sind häufig durch Fragen von ähnlicher Richtung in Verwirrung gebracht worden; und es kann nicht befremden, dass sie mit all ihrem Ernst und ihrer Aufrichtigkeit nicht wusste, welche Antwort geben.
»Was soll ich ihnen sagen, Hist?« fragte sie flehentlich; »ich weiß, dass Alles, was ich aus dem Buche gelesen, wahr ist; und doch könnte es als nicht wahr erscheinen nach der Handlungsweise derer, denen dies Buch gegeben ist, oder nicht?«
Читать дальше