Aber er bekam auch Hilfe. Nach Bekanntwerden des Todes der Königin waren nach und nach fast all ihre treuen Freunde eingetroffen und hatten ihre Stadthäuser bezogen, um ihnen beizustehen. Doch Tamas und Nel brachten beunruhigende Kunde aus dem Westen mit. Eine Schlacht soll es gegeben haben, Saran soll überfallen worden sein. Nichts Genaues wusste man, nur die von Mund zu Mund weiter getragene Botschaft der Hirten, bevor die Wege unpassierbar geworden waren. Es war ein weiterer Grund der Unsicherheit, denn er wusste nicht, was er tun sollte, sollten die Saraner ihn um Hilfe bitten. Da bot Tamas an, dies für ihn zu übernehmen, denn er ahnte, dass Farlan all seine Kraft in Gilda brauchen würde.
Und er behielt recht. Nur wenig später kündigten die Kundschafter Besucher aus dem Osten an. Farlan wusste einfach, dass es sich bei diesen um seine Geschwister handeln musste, und ritt ihnen mit Nathan entgegen. Es waren Amaya, Shaun und Iovan, letzterer allerdings ohne Begleitung.
»Wir sind sofort losgeritten, als eure Botschaft bei uns eintraf.« Amaya umarmte ihre Brüder nacheinander. Tränen standen in ihren schwarzen Augen. »Wie geht es Vater?«
»Du kannst ihn nachher sehen«, sagte Farlan. Mehr nicht. Die Geschwister verstanden, dass er in der Öffentlichkeit nicht mehr sagen wollte, und fragten nicht weiter.
Stumm schritten sie durch die Stadt und betrachteten einander verstohlen. Farlan sah müde aus, befand Amaya, regelrecht abgekämpft. Aber es hatte sich auch etwas verändert. Die Leute grüßten ihn sehr viel herzlicher als früher, und er grüßte zurück, hatte sogar das eine oder andere Wort für die Entgegenkommenden übrig. Er hatte sich dem Volk angenähert, dachte sie und war froh, das zu sehen.
Farlan befand dagegen, dass seine Schwester schöner war denn je. Den langen Ritt hierher sah man ihr nicht an, allenfalls an der trotz des Winters braun gebrannten Haut bemerkte man, dass sie ihre Tage nicht mehr in einem vornehmen Palast verbrachte. Ihre Kleidung, eine exotische Mischung aus gildaischer Robe und fremden Stoffen und Fellen, war jedenfalls aufwendig genug, sie als Fürstin von weit her auszuweisen. Sie hatte sich mit den wenigen Mitteln, die sie dort draußen besaßen, etwas einfallen lassen, und die Wirkung war einfach umwerfend. Shaun jedenfalls trug seine junge Frau sprichwörtlich auf den Händen, das merkte man bei jeder Bewegung und jedem Wort.
Iovan hatte sich noch mehr verändert. Auch sein Gesicht war braun gebrannt, die feinen Züge hatten Ecken und Kanten bekommen, aber das war es nicht nur. Es hatte sich etwas Entschlossenes, Kämpferisches in seine Züge gegraben, sodass sie älter und härter wirkten. Was wohl alles dort draußen vorgefallen war? Farlan musste seine Ungeduld zügeln, ihn nicht gleich auszufragen.
Ihrer aller Zurückhaltung hielt aber nur so lange, bis sie die Tür der königlichen Gemächer hinter sich geschlossen hatten. Sofort stürzten sich die jüngeren Geschwister auf sie, und sie feierten ein bewegtes Wiedersehen.
»So, und jetzt werdet ihr mir endlich erzählen, was wirklich geschehen ist!«, rief Amaya über den Lärm hinweg. Sie verlangte hoch erhobenen Hauptes eine Antwort und schob ihre Geschwister von sich.
»In meiner Kammer.« Farlan schickte die Kinder streng fort. »Nur wir.« Damit schloss er auch Shaun aus. Amaya musste schlucken, denn nun wusste sie, dass es wirklich ernst war. Sie bat ihren Mann mit einem entschuldigenden Blick um Verzeihung folgte ihrem Bruder in seine Kammer.
Leise, fast im Flüsterton, berichtete Farlan seinen Geschwistern, und noch ein wenig mehr, Dinge, die er den anderen verschwiegen hatte und die er nur von Lara wusste. Vor allem, was Goran ihrer Mutter angetan hatte. »Er hat sie genommen, bevor er sie tötete. Das haben die Heilerinnen entdeckt, aber ich habe sie zum Stillschweigen verpflichtet. Was auch außer mir und Nat niemand weiß, ist, dass es Vater war und nicht der Mörder, der das Kind aus ihr herausgeholt hat. Dabei... oder davor... muss er den Verstand verloren haben.« Er verschwieg ihnen bewusst, dass er ihren Vater für Siris Tod verantwortlich machte. Mit diesem Wissen wollte er sie nicht belasten, und die Reaktion seiner Geschwister gab ihm recht.
»Himmel, Fal!« Amaya entfuhr ein gequälter Laut. Sie krümmte sich zusammen.
»Ich finde, du solltest das wissen, bevor du es von Lara oder der Ehrwürdigen Mutter hörst.« Farlan drückte sie an sich. Sie konnte er trösten, vielleicht, weil sie sich im Grunde ihres Wesens sehr ähnlich waren. »Ihr könnt ihn sehen, morgen früh, wenn er betäubt ist. Vorher halte ich das nicht für ratsam.« Bei diesen Worten wurden beide Geschwister blass. Er ließ seine Schwester los und sagte betont aufmunternd: »Ich habe Tibbi und Orban die Botschaft von eurer Ankunft geschickt. Sie werden bald hier sein. Sie hat eine Überraschung für dich.«
Amaya schniefte. »Und ich für sie. Oh, wie sehr wünschte ich, sie wären schon hier!«
Es wurde ein trauriges Wiedersehen, und wie eh und je trafen sie sich nachts in der kleinen Höhle. Shaun war mit Farlan und Nathan mit anderen Dingen beschäftigt, sodass sie wieder im alten Kreis dort saßen. Fast.
Lara umarmte ihre Freundinnen fest, und sie merkte auch gleich, wie es um Amaya stand. »Du bekommst ein Kind, nicht?« Im Gegensatz zu Tabitha, der man das schon deutlich ansah, war bei ihr noch fast nichts zu sehen. »Solltest du nicht derart lange Ritte vermeiden?«, rügte Lara denn auch gleich.
»Ich hatte gehofft, Thea oder Faye könnten sich meiner annehmen, aber das geht ja nun nicht mehr. Aber ich wäre auch so gekommen«, fügte Amaya mit Tränen in den Augen hinzu. »Ich musste einfach mal dort raus und mit jemand anderem reden.«
Sie sahen sie alle an und entdeckten mit einem Mal etwas in ihren schönen Zügen, das sie beunruhigte. »Sind sie nicht gut zu dir?«, fragte Tabitha erschrocken.
»Doch, sind sie, aber...« Amaya suchte nach Worten. Sie rang die Hände. »Den ganzen Winter in diesen engen Hütten, kaum etwas zu tun, kaum jemand, mit dem man reden kann und wo jede deiner Handlungen genau beobachtet wird. Es ist... irgendwie anders als hier. Ich dachte, es wäre wunderbar, dass die Frauen mehr Macht hätten, aber... sie müssen... ich kann’s kaum erklären. Hier kannst du dich in dein schützendes Heim zurückziehen, aber dort... so etwas kennen sie nicht. Türen zum Beispiel. Es gibt eigentlich nur eine Tür, die zu ihrem Allerheiligsten. Sonst keine. Versteht ihr, dort, wo die Shouh herkommen, gibt es keine Winter, sie brauchen so etwas einfach nicht, und es gilt als sehr unhöflich, eine Tür zu schließen. Wir...«, sie schluckte, »als wir nach der Heirat dort ankamen, gab es eine öffentliche Zeremonie. Wir mussten uns zueinander legen, vor aller Augen, stellt euch das vor, und ein Ritual vollziehen.«
»Ihr habt... und alle haben zugesehen?!«, rief Tabitha entsetzt. Die Männer hatten ihr offenen Mundes zugehört.
»Das weiß ich nicht, denn soweit ist es nicht gekommen. Wenn es nur die Fremden gewesen wären... aber all die gildaischen Soldaten... ich habe mich geweigert, habe die Hoheit gespielt, habe gesagt, das sei einer gildaischen Prinzessin unwürdig.« Amaya schloss die Augen und ließ den Kopf hängen. »Danach... hatten wir das erste Mal Streit, richtig Streit. Er hat durch meine Weigerung das Gesicht verloren, und hinterher tat mir das entsetzlich leid. Aber«, sie machte die Augen wieder auf, einen kämpferischen Ausdruck in ihnen, »hätte er mich denn nicht darauf vorbereiten können? Dann hätte ich gewiss anders reagiert. Und so ging es weiter, bei vielen Dingen. Vor allem bei ihrem Glauben. Als Fürstin hätte ich dort gewisse Pflichten. Aber ich bin nicht übergetreten.«
»Aber lieben, das tut ihr euch noch?«, fragte Tabitha erschrocken.
Amaya errötete. »Oh ja. Sehr sogar. Und die Shouh beginnen mich zu achten für meine Haltung, denn sie legen es als Stärke aus. Das ist es, was für sie zählt, vor allem für die Frauen. Ich kümmere mich vorrangig um die von den Cerinn misshandelten Mädchen, auch das anfangs gegen Shauns Willen. Ihr müsst wissen, dass sie als unrein gelten und ein elendes Dasein fristen, kaum besser als Sklavinnen. Ich habe sie in meine Dienste genommen, ihnen ein Heim und eine Aufgabe gegeben. Zwei von ihnen sind übrigens in den Schoß des Tempels eingetreten. Sie wurden von ihren Sünden gereinigt und sind vor dem Gesetz geheilt. Eine wird im Frühjahr einen unserer Soldaten heiraten.« Amaya lächelte traurig. »Aber es wird noch ein langer Weg, bis beide Völker ineinander aufgehen. Nicht wahr, Iovi?«
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