Mary goss noch etwas Rotwein in die Gläser. Dann antwortete sie gefasst und bestimmt: „Ich habe es Ihnen ja gesagt. Da laufen eine Menge Verrückte umher, die glauben, dass Sie sie retten können. Sie erinnern sich?“ Sie schaute Sam ernst an. „Die meinen tatsächlich, was sie schreiben. Die sind verzweifelt oder einfach nur irre. Aber manche von denen würden wohl auch nicht davor zurückschrecken, Ihnen auf die Pelle zu rücken.“
Sam wollte das nicht weiter dramatisieren. „Dann wäre es ja eine prima Idee, wenn wir kleine Plastikpuppen von mir verkaufen und behaupten, dass ich jeder einzelnen die Hand aufgelegt habe.“
Mary hatte wieder Spaß. „Ja, so eine dieser Figuren, mit Saugnapf zum Festkleben auf dem Armaturenbrett.“
„Genau“, führte Sam den Gedanken fort, „Wer war schon der Heilige Bonifatius! Samuel Goldman, Schutzpatron der Bettnässer und Rächer aller unschuldig verurteilten Laternenpinkler. Mit Wackelkopf, versteht sich.“
Beide lachten herzlich und die Sonne verschwand gerade hinter dem See und hüllte das Panorama in blutrotes Licht. Mary und Sam betrachteten das Schauspiel und es umgab sie eine wunderbare Wärme, die sie beide so vorher noch nie empfunden hatten.
Mary brach die Stille. „Wollen wir noch weiterlesen?“
„Nein.“ antwortete Sam kurz. „Wir sollten diesen Abend und diese Aussicht auskosten.“
„Ja“, Mary war nachdenklich. „Auskosten, für wahr.“
Und ihre Blicke trafen sich. Und Sam genoss diese Situation. Wie er überhaupt das alles in diesen letzten Tagen genossen hatte. Wie war er doch nur in den Jahren zuvor bescheiden und ohne jeden Funken gesunder Eitelkeit. Ohne wirklichen Anspruch, zufrieden mit seinem Dasein, wie es wahr. Doch nun begann er durch eine offene Tür zu sehen, und er entdeckte neue Reize, ein wenig Ruhm, zudem noch Geld und die Aufmerksamkeit einer so attraktiven Frau wie Mary Thompson. Mary, die aus einer so vollkommen anderen Welt in sein Leben getreten war, willens, ihn in ihr glitzerndes Reich zu entführen.
Das Klingeln des Telefons von Mary ließ Sam aus seinen Gedanken zurück zur Wirklichkeit kommen. Paul Wayne meldete sich bei Mary. Wie immer war er am Telefon kurz angeboten und unterlies alle üblichen Höflichkeitsfloskeln.
„Mary!“ Pauls Tonfall war eindeutig. „Um 10 Uhr haben wir morgen einen Termin mit neuen Geschäftspartnern. Es gilt dabei den Sack für uns zuzumachen. Das geht auch Dich etwas an. Und Goldman. Sei um neun Uhr bei mir, erst allein. Goldman werden wir dann dazu holen. Schicke ihn vorher einfach zum Kaffeeholen, damit wir erst unter uns reden können. Alles klar? Also, gute Nacht.“ Damit war das Telefonat beendet.
Mary kannte solche Manöver von ihrem Boss. Das war also nichts Außergewöhnliches, und damit gab es auch keinen Grund zur Beunruhigung. Und neue Geschäftspartner? Das hörte sich doch gut an. Das war es doch, was Paul und sie wollten. Mehr Geschäft, bessere Quoten, die Konkurrenz abhängen, vorne sein. Sam gegenüber erwähnte sie deshalb nur, dass sie beide eine Besprechung bei Wayne haben werden, sie zuvor noch eine andere Sache erledigen muss. Sam hatte nichts dagegen.
Kurz darauf beschlossen beide, den Abend zu beenden, verabschiedeten sich voneinander und gingen auf ihre Zimmer, denn Mary empfand es nun als das Sinnvollste, auch in ihrem Ferienhaus zu verweilen, und möglichst nah bei ihrem Schützling zu bleiben. Schließlich musste sie ihn ja auch immer fahren.
*
„Setzt Dich, Mary.“ Paul Wayne schien gut gelaunt. „Ich erwarte heute die Gebrüder Skinner. Das sind die Inhaber von SevenDollies. Ich denke, mehr brauche ich zu den Herren nicht sagen.“ Mary nickt und Paul fuhr fort. „Die beiden haben uns ein fantastisches Angebot gemacht. Eines, worauf wir ein paar Champagnerkorken knallen lassen, wenn der Vertrag unterzeichnet ist. Und ich habe schon ein paar Flaschen kaltstellen lassen, wenn Du verstehst.“
Mary verstand. „Ein sizilianisches Angebot also.“ konstatierte sie.
„Sizilianisch?“ Ihr Chef verstand nicht.
„Na, Du weißt schon“, Mary freute sich. „eines, das man nicht ablehnen kann.“
„So kannst Du es auch ausdrücken.“ Wayne lächelte kurz, dann sprach er weiter. „Die Burschen wollen Goldman. Als Glücksschweinchen, sozusagen. Sie haben die Idee, dass er zur Lottofee von SevenDollies wird, und sie damit ganz nach vorne kommen.“
„Und was fällt für uns ab?“ Mary war noch nicht begeistert.
„Im Gegenzuge für unser Maskottchen werden wir der Exklusivpartner für alle Übertragungen der Ziehungen, können die Gewinnerstories machen, und erhalten obendrauf ein fettes Honorar mit Beteiligung. Dazu kommen noch unsere vielen neuen Werbepartner, die darum betteln werden, NCCB die Werbeminuten abkaufen zu können, die natürlich im Preis ein wenig angepasst werden müssen.“ Paul Wayne roch förmlich schon ein riesiges Geschäft und er fügte, er schien wirklich begeistert, hinzu: „Eine Gelegenheit für uns, die sich nicht alle Tage wiederholt, Mary. Das ist DIE Chance in der obersten Liga anzukommen.“ Und in seinen Worten klang der Unterton der Beschwörung mit.
„Und ich soll jetzt Goldmann überzeugen, da mitzumachen?“ fragte Mary, ohne auf Waynes Euphorie weiter einzugehen. „Was ist, wenn er ablehnt? Was, wenn er sich nicht dafür hergeben will, so etwas wie ein zu Fleisch gewordener Talisman zu sein? Soll ich ihn dann unter Drogen setzen?“
Ihr Boss zuckte nicht mit den Wimpern. Für ihn existierte kein `Nein´ in dieser Sache. „Von mir aus, auch das!“ sagte er gefühllos. „Aber wie ich Dich kenne, meine hübsche Mary, wirst Du andere Mittel haben, die neue Cashcow von NCCB bei guter Laune zu halten, ihm begreiflich zu machen, dass er mitzuspielen hat.“ Wayne sah Mary Thompson geradewegs in ihre Augen. „Es ist zu wichtig für uns, Mary. Ich denke, Du solltest alles daran setzen, dass Goldman macht, was wir wollen.“
Mary erwiderte den Blick ihres Chefs. „Du fändest es also in Ordnung, wenn ich mit ihm dafür schlafe?“
„Mit Irgendwem musst Du es ja mal tun.“ antwortete Wayne, und was er meinte, traf Mary mit Wucht. Denn er wusste, dass sie sich dem Sender mit Haut und Haaren verschrieben hatte, gegen alle privaten Interessen, und bisher jede ihrer Beziehungen eben genau hieran gescheitert war. Aber Fairness war nicht sein Ding, es sprach der Paul Wayne aus ihm, der er war. Wenn es sein musste, teilte er auch unter die Gürtellinie aus. Dem Geschäft ist es egal.
Mary setzte ein süßsaures Gesicht auf. „Ich wusste schon immer, Paul, dass Du ein Schwein bist!“ Mit einem kleinen, versöhnenden Lächeln fügte sie hinzu: „Und wir lieben Dich dafür.“ Sie stand auf. „Dann werde ich mich jetzt mal kurz mit unserem Objekt der Begierde unterhalten und ihm seinen Preis für die Show entlocken. Was bist Du bereit zu geben, Paul – ich meine, außer meiner Vagina?“
Paul brauchte nicht zu überlegen, und die Spitze von Mary überhörte er, denn diese interessierte ihn auch nicht wirklich. „Zwölf Prozent aus allen Einnahmen, die wir mit ihm und SevenDollies machen. Aber fange mit einem Prozent an. Schon damit wird er bis an sein Lebensende ausgesorgt haben, dieser Glückspilz.“
Mary hatte kapiert, was Goldman betraf. „Und was ist mit mir?“ Sie stand immer noch vor Wayne und sie wollte nicht gehen, bevor diese Frage für sie nicht auch beantwortet war. „Paul, was sind Dir meine Dienste wert?“
„Verdopplung Deiner Bezüge.“ Paul schaute auf seine schwere, goldene Armbanduhr. Ein Zeichen für seine Ungeduld.
„Das reicht nicht. Das ist Dir doch klar!“ Mary wusste, dass die Zeit zu drängen begann. „Goldman habe ich gefunden. Es ist mir zu verdanken, dass wir ihn unter Vertrag haben. Da muss schon ein größeres Stück vom Kuchen für mich abfallen, Paul!“
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