Wieder an Bord meint Kapitän Buss: „Siehst du, Hanni (so nennt er mich immer, und ‚du‘ sagt er auch gewöhnlich zu mir), das war doch gut, daß du allein da warst. Du kannst das am Besten.“ Am nächsten Morgen besuche ich vor dem Frühstück die Mannschaftsmesse und berichte den Leuten über den Verlauf und das Ergebnis meiner Bemühungen bei der Zollfahndung, nicht ohne darauf hinzuweisen, daß für mich das Verhör beim Chef der Zollfahndung sehr unangenehm gewesen und ich nicht ohne ‚Manschetten‘ dort hingegangen bin. Ich erwähne auch, daß unsere Namen bei der Zollbehörde aktenkundig seien und keiner von uns sich bei zukünftigen Aufenthalten in Rangoon eines Zollvergehens schuldig machen dürfe, weil er dann mit Sicherheit mit einer schärferen Strafe zu rechnen habe. Der Bootsmann als Messeältester der Mannschaftsmesse, selbst auch Betroffener, bedankt sich im Namen aller Beteiligten dafür, daß ich sie in dem Verfahren vertreten hatte, sodaß sie nicht selbst dort erscheinen mußten und wo möglich nicht so milde davon gekommen wären. Manch einer von ihnen hat sich und uns alle vielleicht schon im burmesischen Knast gesehen. Auch ich habe, wenn auch nicht mit Gefängnis, so doch mit der Möglichkeit einer weiteren Geldstrafe – neben der Beschlagnahme der aufgefundenen Rupien – rechnen können, zumal mir unser Agent vor meinem Besuch bei der Zollfahndung erzählte, daß schon hohe Geldstrafen wegen Währungsvergehens von zuständigen Gerichten in Burma ausgesprochen worden seien.
*)Burma (auch Birma, birmanisch statt burmesisch), das vor dem Zweiten Weltkrieg zum Angloindischen Dominium gehörte, hatte sich in der zweiten Hälfte der 50er Jahre aus der indischen Währungsunion gelöst und an Stelle der indischen Rupie den Kyat als Einheit der neuen Währung per Gesetz beschlossen. Der Zoll achtete danach besonders scharf darauf, daß indische Rupien endgültig aus dem birmanischen Geldumlauf verschwanden. Burma heißt heute Myanmar.
An einem der nächsten Abende ruft mich Kapitän Buss auf die Brücke und erzählt mir, daß längsseits des Schiffes zwischen den Leichtern mit dem Teakholz, das hier geladen wird, eine schon in Verwesung geratene menschliche Leiche angeschwemmt worden ist. Ich soll mit dem Morsescheinwerfer eine Verbindung zum Portoffice aufnehmen und den Leichenfund melden. Die Signalstelle des Portoffice antwortet mir auf mein Rufen mit ihrem Morsescheinwerfer, und nachdem ich meine Meldung übermittelt habe, signalisiert sie uns nach einer kurzen Wartezeit, daß ein Polizeiboot längsseits kommen würde, um die angeschwemmte Leiche abzuholen. Etwa fünfzehn Minuten später kommt das Polizeiboot. Zwei Männer der Besatzung werfen die Schlinge eines starken Seils um den Kopf der Leiche. Sie halten sich wegen des Verwesungsgeruchs mit Tüchern die Nase zu, auch die Arbeiter auf den Leichtern, die immer wieder versucht hatten, die Leiche mit langen Stangen von ihren Kähnen wegzudrücken. Der Verwesungsgeruch ist bis zu uns auf der Brücke zu spüren. Nachdem die Polizisten die Leiche mit dem Seil um den Hals vertäut haben, befestigen sie dessen anderes Ende an ihrem Boot und fahren dann mit ziemlich hoher Geschwindigkeit zurück zur Anlegestelle des Portoffice. Die Signalstelle ruft uns etwas später an und morst: „to master of mv rabenfels thank you for information about corpse“. Ich habe die Burmesen bei meinen mehrmaligen Aufenthalten in ihrem Land allgemein als zuvorkommende und freundliche Menschen kennen gelernt. *)In der Nacht nach diesem Vorfall kann ich schlecht schlafen. Ich habe immer die aufgedunsene Wasserleiche vor meinem geistigen Auge.
*)Dies kann ich durch das folgende Erlebnis illustrieren: Während einer Reise mit MS „Hohenfels“ haben wir Passagiere an Bord, u.a. ein Ehepaar mit einer etwa acht Jahre alten Tochter. In Rangoon will das Ehepaar die Shvedagon Pagode (Dagon, burmesisch, heißt Pagode) besichtigen und die Frau bittet mich, sie zu begleiten. Zwischen den Eheleuten ist das Verhältnis sehr gespannt; sie sprechen überhaupt nicht mehr miteinander. Die Ehefrau nimmt ihre Fotoausrüstung in einer Tasche mit. Während des Rundgangs um die große Pagode macht sie einen müden und erschöpften Eindruck. Die Sonne brennt und es ist sehr warm, kein Lüftchen bringt etwas Abkühlung. Vor einer Buddhastatue in einem überdachtem Schrein machen wir ein paar Minute Pause und wandern dann weiter zum Ausgang des Pagodengebietes, wo eine lange breite Treppe mit Abstufungen nach draußen zu einem Vorplatz und zur Straße führt. Unterwegs, mitten auf der Treppe, vermißt die Frau ihre Fotoausrüstung. Sie regt sich auf und macht ihr Kind dafür mitverantwortlich. Ich versuche, sie zu beruhigen und erbiete mich, zurück zu laufen und die Fototasche zu suchen. Das Kind kommt mit mir und wir sind schnell wieder auf dem Gelände der Pagode. Da das Mädchen barfuß läuft – die Schuhe muß man am Eingang zur großen Treppe zurück lassen – jammert es, weil die Fliesenplatten am Boden in der Mittagshitze sehr heiß geworden sind. Ich nehme die Kleine deshalb Huckepack und gehe mit ihr in die Richtung, aus der wir vorher gekommen sind. Unterwegs zeigen burmesische Besucher der Pagode immer freundlich und hilfsbereit in eine Richtung, und wir sehen schon bald die Fototasche auf einem Sockel vor der Buddhastatue, an der wir vorher eine Pause gemacht hatten. Seitlich der Statue hatte ein Mann ein Koffergrammofon aufgestellt und eine Platte mit einem Wiener Walzer aufgelegt. Er winkt uns freundlich zu, als wir die Fototasche an uns nehmen.

Auf dem Weg zur großen Pagode. Links drei Passagiere von MS „Hohenfels“
Buddhaschrein. Hier lag die Fototasche der Passagierin auf einem niedrigen Betonsockel
Nachdem der Lotse von Bord gegangen ist und MS „Rabenfels“ den Fluss verlassen und den Golf von Bengalen erreicht hat, höre ich auf der Seenot- und Anruffrequenz 500 Kilohertz ein englisches Schiff, das im Funkverkehr mit Rangoon Radio ist. Als der englische Kollege den Funkverkehr beendet hat, rufe ich ihn und vereinbare mit ihm eine andere Frequenz, wo ich ihn über unsere Erlebnisse mit der Zollfahndung in Rangoon berichte. Der britische Kollege bedankt sich bei mir und und meint, er werde sofort seinem Kapitän darüber berichten. – Wir verlassen burmesisches Hoheitgebiet, gehen auf Westkurs, fahren quer über den Golf von Bengalen und erreichen Madras in weniger als zwei Tagen –
Seit dem Juli 1954 fahre ich als Funkoffizier auf verschiedenen Schiffen der Bremer Reederei DDG HANSA. Die einzelnen Fahrtgebiete umfassen das Rote Meer und den Persischen Golf, Indiens Westküste und Westpakistan sowie Ceylon, Indiens Ostküste und Burma. 1956 kommen die USA hinzu, von wo es jedesmal zum Persischen Golf geht, vor allem nach Ras Tannura, den Ölverladehafen der ARAMCO (Arabian American Oil Company). Im Laufe meiner fast zehnjährigen Zugehörigkeit zur DDG „Hansa“ habe ich alle Fahrtgebiete der Reederei kennen gelernt.
Ab 1923: Kindheit in Oldenburg
„Handelsmarine“ – so nannte man früher die Gesamtheit der Seefahrer auf Handelsschiffen im Unterschied zur Kriegsmarine, die während der Zeit der deutschen Rüstungsbeschränkung nach dem Vertrag von Versailles „Reichsmarine“ genannt wurde. Auf einem Handelsschiff als Funkoffizier zu fahren ist mein jungenhafter Traumberuf. Allerdings gibt es in den zwanziger und dreißiger Jahren des vorigen Jahrhunderts Funkoffiziere nur auf Fahrgastschiffen. Auf Frachtschiffen, die mit einer Funkanlage ausgerüstet sind, wird der Funkdienst von einem der nautischen Offiziere betrieben, die dafür ein kleines Funkpatent während ihrer nautischen Ausbildung an den Seefahrtschulen erworben haben. Dies ändert sich allerdings nach dem Zweiten Weltkrieg, weil durch internationale und nationale Bestimmungen die Schiffsbesetzungsordnungen verschärft werden.
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