Im März 1939 verlasse ich die Handelsschule. Die Inhaber eines Radiogeschäftes mit Reparaturwerkstatt sind bereit, mich als Lehrling zum 1. April einzustellen. Die Lehrzeit soll drei Jahre dauern und mit der Gesellenprüfung zum „Rundfunkmechaniker“ – so lautet die amtliche Berufsbezeichnung – abschließen *). Außer mir wird noch ein zweiter Lehrling eingestellt, zwei weitere im zweiten und dritten Lehrjahr arbeiten bereits im Betrieb. Da ich die Lehrzeit mit einigen Vorkenntnissen in der Radiotechnik antrete, werde ich schon nach kurzer Zeit mit der Instandsetzung **)von Rundfunkgeräten betraut.
*) Der Begriff Rundfunk anstelle von Radio war in der Zeit des Nationalsozialismus üblich, Radio offiziell verpönt, da „undeutsch“. Aber nicht alles, was die damaligen Machthaber als „undeutsch“ oder „jüdisch“ ausmerzen wollten, konnten sie auch durchsetzen. So forderten sie anstelle des „Hertz“ für die Einheit der elektromagnetischen Schwingung und ihrer Erweiterungen (kHz, MHz usw.) eine ähnliche Bezeichnung wie das im englischen Sprachgebrauch übliche „Cycle“ nebst den Erweiterungen (kc, Mc usw) zu benutzen. Damit hatten sie aber kein Glück. Selbst die uns immer als unsere Erzfeinde denunzierten Franzosen benutzen die Bezeichnung Hz, kHz und MHz. Heinrich Hertz war der Entdecker der elektromagnetischen Schwingungen, indem er ihre Erzeugung und ihre drahtlose Übertragung von einem einfach aufgebauten „Sender“ zu einen ebenso einfachen „Empfänger“ nachwies. Mit diesen Experimenten wurde er der eigentliche Begründer der drahtlosen Nachrichtenübertragung – und damit auch des Radios. Er stammte aus einer jüdischen Familie .
**)auch ein offizieller Begriff an Stelle von Reparatur während der Zeit des „Dritten Reiches“.
Zu jedem Arbeitsplatz in der Werkstatt gehört ein hoher Schemel, ähnlich wie es sie in Gaststätten an der Theke gibt. Die beiden Chefs sehen es aber nicht gern, wenn wir bei unseren Reparaturarbeiten und der Fehlersuche an den defekten Rundfunkgeräten sitzen. In dieser Hinsicht sind sie, wie fast alle Meister als Lehrlingsausbilder zu der Zeit, altmodisch. „Im Sitzen kann man nicht richtig arbeiten, man schläft dabei ja ein“; davon sind auch unsere Meister überzeugt. Ich habe nicht nur angenehme Erinnerungen an meine Lehrzeit, die allerdings nur eineinhalb Jahre dauert, da ich dann zum Reichsarbeitsdienst eingezogen werde. Mein eigentlicher Lehrmeister will versuchen, eine Rückstellung für mich zu erreichen, aber ich lehne das ab. Eine heftige Auseinandersetzung habe ich vorher mit beiden Chefs, die von mir verlangen, einer zahlungssäumigen Kundin die Röhren aus ihrem von mir reparierten Gerät in ihrer Wohnung an mich zu nehmen, also zu beschlagnahmen. Ich bin so empört über dieses Ansinnen, daß ich sogar den Eltern davon erzähle. Vater, der sonst, wenn ich mich mal zuhause über etwas Vorgefallenes auslasse, gewöhnlich sagt „Lehrjahre sind keine Herrenjahre“ gibt mir in diesem Fall Recht und rät mir, auf keinen Fall dem Ansinnen der Chefs nachzugeben, weil es mit Sicherheit ungesetzlich sei. In den darauf folgenden wenigen Monaten bis zu meiner Einberufung zum Reichsarbeitsdienst ist das Verhältnis zwischen mir und den Chefs ziemlich frostig. Dies ist einer der Gründe, warum ich meine Rückstellung der Einberufung ablehne.
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