Epiktet
August 1960: Als Funkoffizier auf MS „Rabenfels“

Das Seefahrtbuch ist das wichtigste Der Anmusterungsvermerk des Autors für das
Reisedokument des Seefahrers Motorschiff „Rabenfels“ in seinem Seefahrtbuch
Motorschiff „Rabenfels” der DDG HANSA *), Unterscheidungsmerkmal und Funk-Rufzeichen DLCR, verläßt am 17. August spät am Nachmittag den Hafen von Rangoon (jetzt Yangon) und fährt auf dem Rangoon River, dem südlichen Teil des Irawaddi, in Richtung zum Golf von Bengalen. Ich stehe auf der Steuerbordseite des Brückennocks und beobachte, wie die Landschaft am Westufer des Flusses langsam vorüberzieht. Bauern pflügen ihre Reisfelder, die Pflüge werden von Wasserbüffeln gezogen. In den vorbeiziehenden kleinen Dörfern sind die goldglänzenden Pagoden herausragende Punkte; sie können sich allerdings nicht mit den größeren Pagoden in der Hauptstadt, geschweige mit der größten, der Shvedagon, messen. Der burmesische Flußlotse hat den Maschinentelegrafen auf „Langsam Voraus” stellen lassen, damit die Bugwellen die vielen kleinen Sampans, die dicht unter dem Ufer auf beiden Seiten des Flusses in beiden Richtungen unterwegs sind, nicht zum Kentern bringen. Der Himmel über Rangoon und seinem weitläufigen Hafen ist tiefgrau. Ein Unwetter braut sich über der Stadt zusammen. Die Shvedagon Pagode und einige kleinere Pagoden leuchten golden in das Grau des Himmels hinein, aus dem immer wieder Blitze zucken. Im Westen verschwindet die Sonne hinter Wolken und es wird schon etwas dunkel. Der Lotse schimpft auf Englisch und betätigt wütend den Typhoon, weil quer laufende Sampans sich in Gefahr bringen, mit unserem Schiff zu kollidieren. Ich verlasse die Nock und gehe durch die Brücke in meine Funkstation, um Rangoon Radio, die burmesische Küstenfunkstelle mit dem Rufzeichen XYR, mitzuteilen, daß unser Schiff aus dem Hafen ausgelaufen und unser nächstes Ziel Madras (jetzt Chennai) ist. Madras ist der wichtigste Hafen auf dem südlichen indischen Subkontinent am Golf von Bengalen.
*)Deutsche Dampfschifffahrtsgesellschaft (mit drei ‚f‘) HANSA, Bremen; MS „Rabenfels“, gebaut 1956, ist das letzte einer Serie von acht Schwergutschiffen mit einer Tragfähigkeit von 8500 Tonnen und mit zwei Schwergutbäumen für 30 und 120 Tonnen Lasten. MS „Lichtenfels“, in Dienst gestellt 1954, ist das erste dieser Serie. Das Schwergutgeschirr – von der Stülckenwerft in Hamburg konstruiert – fand auf ausländischen Schiffen einige ähnliche Nachbauten. Die beiden Schwergutbäume operieren zwischen Schrägmasten und die Kommandobrücke liegt mit den Wohneinrichtungen des nautischen.und Funkpersonals vorn auf der Back (Vorschiff), die Maschine und die Wohnungen des Decks- und Maschinen personals – einschließlich der Schiffsingenieure – achtern, was dem Schiff zusammen mit den Schrägmasten ein bisher ungewöhnliches Erscheinungsild verleiht. Die Serie ist deshalb auch unter der wohl spöttisch gemeinten Bezeichnung „Picasso-Schiffe“ bekannt geworden.
Die 94m hohe Shvedagon in Rangoon
Sandsturm über Rangoon Vorn eine kleine Pagode . Im Hintergrund die große Shvedagon.
Der Aufenthalt in Rangoon war für mich mit einem nicht gerade angenehmen Erlebnis verbunden: Wir waren das zweite Mal auf dieser Reise in Rangoon. Während des ersten Aufenthalts kam ein burmesisches Zollkommando an Bord und durchsuchte alle Kammern der Besatzung nach ausländischem, vor allem indischem, Geld. Ich war am Vormittag in der Stadt Rangoon gewesen und, zurück an Bord, erfuhr ich vom Messesteward, daß auch meine Kammer in seiner Anwesenheit durchsucht wurde und sie bei mir siebzig indische Rupien beschlagnahmt hatten. Dies war Geld, das ich von einem indischen Fahrgast für die Übermittlung von Funktelegrammen erhalten hatte und das ich in Bremen meiner Reederei hätte übergeben sollen. Der Ordnung halber sollte ich, wie auch die anderen Besatzungsangehörigen, Geld, das nicht der Währung im jeweiligen Aufenthaltsland entsprach, dem Kapitän zur Verwahrung unter Verschluß geben, sodaß es nicht von Zoll oder Polizeibehörden hätte beschlagnahmt werden können. Aber das wird praktisch kaum gemacht, weil Zollfahndungen nach ausländischen Währungen bisher nicht erlebt wurden. Wir fuhren ein paar Tage nach der burmesischen Zollaktion nach Chittagong (1960 noch Ostpakistan, jetzt Bangladesh), wo uns unser Agent unter anderen Postsachen auch mehrere Anzeigen der burmesischen Zollfahndung übergab, alle gerichtet an die Mitglieder der Besatzung der „Rabenfels“, bei denen die Zöllner in Rangoon ausländisches Geld beschlagnahmt hatten. Alle Anzeigen, also auch die an mich gerichtete, hatten gleichlautenden Text. Wir wurden aufgefordert, vor der Zollfahndung in Rangoon zu erklären, warum die Behörde keine weitere Strafverfolgung wegen des Zollvergehens gegen jeden einzelnen von uns ergreifen sollte. (It is found that you have failed to declare the above currencies in the „Foreign Currencies List“ of the crew members, and there fore you are called upon to submit your explanation within 14 days as to why notion should not be taken against you. If you fail to submit the same within the period mentioned above notion will be taken against you under the existing Rules and Regulations, without further notice. Unterschrift: F. Munroe, Asst Commissioner of Custom). Kapitän Hans Buss gab mir alle Anzeigen und meinte, ich solle – wenn zurück in Rangoon – mit Unterstützung der Agentur die missliche Angelegenheit beim Zoll in Ordnung bringen. Er glaubte, daß ich das am Besten könne, schon meiner englischen Sprachkenntnisse wegen.
Eine Woche später waren wir wieder in Rangoon. Unser Agent nahm mich mit in sein Büro, entwarf dort ein Schreiben an die Zollfahndung und beorderte einen seiner einheimischen Angestellten, mit mir zusammen zu dieser Behörde zu gehen, um mich dort in meiner Rechtfertigung zu unterstützen. Im Zollgebäude wurden wir von Mr. Munroe, einem leitenden Beamten, der auch die Anzeigen unterschrieben hatte, empfangen. Er erwies sich als ein sehr freundlicher Herr, der sich nach einigen amtlichen Formalitäten mit mir unterhielt. Er meinte, es könne noch eine Weile dauern, bis wir zum Chef der Zollfahndung vorgelassen würden, um diesem meine Erklärung vorzubringen. Mein Begleiter von der Agentur saß dabei, ohne sich an unserer Unterhaltung zu beteiligen. Nach etwa einer halben Stunde wurde ich von einem uniformierten Beamten in das Zimmer des Chefs der Zollfahndung gerufen. Mein Begleiter kam mit und gab dem Beamten das Schreiben unseres Agenten, der es auf den Schreibtisch des Zollfahndungschefs legte. Mir wurde ein Platz vor dem Schreibtisch des Herrn angewiesen, mein Begleiter mußte hinter mir Platz nehmen. Der uniformierte Beamte blieb hinter seinem Vorgesetzten stehen, wohl um auf Anweisungen zu warten. Der Chef, ein breitschulteriger, gewichtiger Mann sah mich unentwegt durchdringend, fast grimmig, an, als wenn er damit ausdrücken wollte „Junge, erzähl mir ja keine Märchen!“ Um seinem strengen Blick nicht auszuweichen, fing ich gleich an, ihm unsere Lage zu erklären indem ich darauf hinwies, daß wir bei unserer ersten Ankunft in Rangoon keine Aufklärung über die neuen scharfen Währungsbestimmungen in Burma erhalten hätten, und daß bei unseren früheren Aufenthalten in diesem Land neben dem Kyat noch die Indische Rupie gültige burmesische Währung war. Nachdem ich geendet hatte, wandte sich der gestrenge Herr an meinen Begleiter und warf ihm vor, daß die Schuld an unserem Vergehen bei der Agentur läge, weil sie es versäumte, die Besatzungen der Schiffe, die sie zu betreuen hätte, auf die strengen neuen burmesischen Zollbestimmungen, speziell auf das Verbot der Einfuhr fremder Währungen, aufmerksam zu machen. *)Das beschlagnahmte Geld könne uns nicht wieder zurück erstattet, von einem weiteren Verfahren gegen uns solle aber abgesehen werden, sagte er, nachdem er sich wieder mir zugewandt hatte und mich dabei wesentlich freundlicher als vorher ansah. Unsere Namen blieben jedoch aktenkundig für den Fall eines neuen Zollvergehens und er empfahl mir dringend, dies auch meinen Bordkollegen mitzuteilen. Ich versprach es ihm und war damit entlassen. Das Schreiben unseres Agenten, das ihm der Beamte auf den Schreibtisch gelegt hatte, interessierte ihn anscheinend überhaupt nicht, weil er es nicht anrührte. Mein Begleiter hatte gar nichts zur Sache gesagt. Draußen legte mir der uniformierte Beamte ein großes Buch vor, in dem mein und die Namen der anderen Bordangehörigen eingetragen waren mit den Angaben über die beschlagnahmten Geldbeträge. Ich musste für uns alle in dem Buch eine Bestätigung unterschreiben, daß wir mit der Beschlagnahme der aufgefundenen Währungen einverstanden seien, womit die ganze unerquickliche Angelegenheit noch einigermaßen glimpflich für uns abgelaufen war. Nachdem ich mich von dem freundlichen Mr. Munroe, der als Assistent des Zollfahndungschefs sein Stellvertreter war, verabschiedete, wobei er mir eine gute Weiterreise wünschte, verließ ich das Zollamt und trennte mich von meinem burmesischen Begleiter, der mir zwar keine Hilfe gewesen war, aber wenigstens die Funktion einer Art Prügelknabe an meiner Statt ausgeübt hatte.
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