Das Telefon blieb auch in den nächsten Tagen stumm. Nicht einmal eine Parte wurde ihm zugesandt. Josef, der die Traueranzeige bei Steffi gesehen hatte, war empört, dass Arthur darauf nicht genannt war. Sein Freund wurde seit Erikas Hochzeit von der Familie ausgegrenzt. Rücksichtsvoll verschwieg Josef, dass Arthurs Name auf der Parte fehlte. Offenbar hatte man Angst, dass dieser beim Begräbnis erneut die Familie blamieren könnte. Daher erhielt er weder eine Nachricht noch eine offizielle Mitteilung, wann und wo nun das Begräbnis von Aldo stattfinden sollte.
Die Gefahr einer erneuten peinlichen Entgleisung Arthurs beim Begräbnis war zumindest die offizielle Erklärung von Sophie Knie, warum ihr Sohn nicht eingeladen war. Der eigentliche Grund war ein ganz anderer. Nachdem Sophie den ersten Schock über Aldos Tod überwunden hatte, ging sie daran, mit ihrer Tochter seine Unterlagen zu durchstöbern. Zu beider Entsetzen konnten sie unter den Papieren kein Testament finden. Zuletzt fand sich im Safe eine handschriftliche Notiz von Aldo, auf der in schöner Kurrentschrift zu lesen stand, dass sie sich im Falle seines Ablebens mit seinem Freund und Notar, Dr. Gabriel Hörtnagel, in Verbindung setzen sollten. Dieser Aufforderung folgte Sophie prompt am nächsten Tag und tauchte nach einem kurzen Telefonat in Begleitung von Erika in der Kanzlei auf. Dr. Hörtnagel mochte Sophie nicht besonders, denn er traute ihr nicht über den Weg. Obwohl sich die beiden seit Jahrzehnten kannten, siezten sie einander. Dr. Hörtnagel war trotzdem stets auf höchste Korrektheit und Freundlichkeit bedacht. Er informierte Sophie, dass das offizielle Erbverfahren erst in einigen Tagen gestartet werden könne, da er erst durch das Verlassenschaftsgericht mit der Verwaltung des Nachlasses beauftragt werden müsse. Als Freund und Rechtsanwalt des verstorbenen Aldo könne er ihr allerdings mitteilen, dass ein Testament existiere. Den vollen Inhalt könne er noch nicht darlegen, doch so viel könne er sagen, dass Aldo darin verfügte, dass sein Besitz zwischen Sophie, Erika und Arthur aufgeteilt werden sollte.
Sophies Empörung war klar auf ihrem Gesicht abzulesen. Das konnte wohl nicht wahr sein, dachte sie, der alte Depp hatte ihr schönes Geld ihrem missratenen Sohn vererbt! Im nächsten Augenblick hatte sie sich jedoch wieder im Griff. Sie war zu klug und zu durchtrieben, um in der Kanzlei von Dr. Hörtnagel einen Skandal zu provozieren. In ungewohnter Schärfe schnitt sie Erika das Wort ab, die eben begonnen hatte, sich über diese unerhörte Nachricht zu echauffieren. Solange sie nicht alle Möglichkeiten geprüft hatte, ob es nicht einen Ausweg aus dieser unangenehmen Situation gebe, durfte Arthur nichts von dem Testament wissen. Überhaupt war es wohl das Beste, wenn er erst gar nicht in Graz auftauchen würde.
***
Es war Josef, der eine Lösung für die vertrackte Situation fand, die dazu führte, dass Aldo Knie gleich zweimal begraben wurde. Nachdem er sich bei Max Rett über alle Einzelheiten des Begräbnisses informiert hatte, machte er sich auf den Weg zum Friedhof. Die Totengräber spürte er nach wenigen Minuten in dem nahegelegenen Gasthaus auf. Durch seine umgängliche Art hatte Josef leichtes Spiel. Bei einigen Gläsern Wein wurden die wesentlichen Dinge geregelt, und die vier schwarz gekleideten Herren hätten fast das nächste Begräbnis versäumt, da man mit Josef seinen Spaß hatte.
Nachdem die Totengräber wieder ihrer Arbeit nachgegangen waren und Josef im Gasthaus alleine zurückgelassen hatten, suchte dieser den Priester auf, der die Einsegnung von Aldo Knie vornehmen sollte. Pater Severin war schon ein deutlich härterer Brocken, aber nach einer Stunde intensiven Gesprächs und zwei Flaschen Messwein hatte Josef auch den Geistlichen so weit. Nun mussten noch Blumen und die Musik organisiert werden. Dafür war Steffi zuständig, er konnte sich doch nicht um alles kümmern. Dass Arthur verlässlich am Tag des Begräbnisses in Graz auftauchen würde, war Mischas Aufgabe, aber auf den konnte man sich immer verlassen.
Trotzdem war diese Aufgabe schwieriger als gedacht. Mischa benötigte mehr als eine Stunde, bis er Arthur überredet hatte, nach Graz zu fahren, um Aldo die letzte Ehre zu erweisen. Durch Josef war Mischa über den Zeitablauf des offiziellen Begräbnisses informiert. Er musste Arthur hoch und heilig versprechen, dass sie am Friedhof erst auftauchen würden, nachdem die letzten Gäste das Grab längst verlassen hatten. Dann wollte Arthur alleine von Aldo am offenen Grab Abschied nehmen. Doch es sollte ganz anders kommen.
Als Arthur mit Mischa die Aufbahrungshalle betrat und dort Aldos Sarg sah, wollte er auf der Stelle kehrt machen, denn er dachte, seine Familie würde jeden Moment erscheinen. Doch Mischa beruhigte ihn und klärte mit wenigen Worten die Situation auf.
Arthur war wirklich sehr gerührt. Alle seine Freunde waren bei dem durch Josef arrangierten Begräbnis zugegen. Nachdem die offiziellen Gäste sich zum Leichenschmaus begeben hatten, wurde der Sarg von den Totengräbern wieder nach oben gezogen. Steffi und Josef waren nach dem Begräbnis aus dem langen Trauerzug ausgeschert und über die Straße und den vorderen Eingang des Friedhofs zur Grabstelle zurückgekehrt. Der protzige Eichensarg war bereits geborgen, als die beiden eintrafen. Josef half tatkräftig mit, den Sarg wieder auf das mit schwarzem Stoff verzierte Wägelchen zu verfrachten und zurück in die Aufbahrungshalle zu transportieren. Dort wurde der Sarg ein zweites Mal für die Verabschiedung aufgestellt und mit Blumen verziert. Sisi Braunschweiger sang a cappella eine Ballade aus der aktuellen CD, während Arthur die Halle betrat. Er blieb regungslos mitten im Raum stehen bis die Musik verhallt war. Dann, vielleicht eine Minute später, verließ ihn die Anspannung, und er hatte sich wieder im Griff. Wie selbstverständlich ging er auf das Rednerpult zu, stellte sich vor die kleine Trauergemeinde und begann mit seiner Rede. Kein Zucken durchfuhr seinen Körper, keine Kraftausdrücke sprudelten ungewollt aus seinem Mund. Es war eine schöne Rede, in der er auf würdige Art und mit fester Stimme von Aldo Abschied nahm. Alle waren von der Situation so ergriffen, dass niemandem das Fehlen des spastischen Zuckens und der hervorgestoßenen Schimpfworte auffiel. Nur Mischa blickte aufmerksam auf seinen Freund. Arthur sah nicht nur blendend aus, sondern war auch ein hervorragender Redner.
Nach der Verabschiedung in der Aufbahrungshalle wurde der Leichnam von Aldo Knie auf den Friedhof gekarrt und der Sarg ein zweites Mal in das dunkle Erdreich hinuntergelassen. Letzte Abschiedsworte wurden gesprochen, die Personen der versammelten Trauergesellschaft schritten einzeln über den groben Holzbalken, der zum offenen Grab führte und warfen jeder eine rote Rose auf den Sarg und ein Schäuflein Erde hinterdrein. Sisi Braunschweiger musste sich danach vor lauter Rührung gleich eine Zigarette anzünden und nahm einen tiefen Zug, bevor sie Arthur in die Arme schloss.
Während die feine Grazer Gesellschaft im Gasthaus Erzherzog Johann den Leichenschmaus einnahm, fuhren Arthur und seine Freunde zu einer Buschenschank auf den nahegelegenen Ruckerlberg. Einige Zeit, bis es Josef zu eng wurde, saß Arthur neben ihm auf der Bank und nahm den Wein in kleinen Schlucken zu sich. Die Rührung und die mehrfachen Dankesbekundungen waren Josef bald zu viel, und er stand auf, um sich um Wein zu kümmern. Mit der zunehmenden Menge an Alkohol löste sich die gedrückte Stimmung ein wenig, und die Zusammenkunft endete schließlich in einem ausgewachsenen Besäufnis.
Obwohl Arthur weder eingeladen noch von seinen Verwandten über Aldos Tod informiert worden war, mokierten sich Sophie und Erika über seine Abwesenheit. Sie fanden starke Zustimmung unter den Familienmitgliedern, denn zu diesem Zeitpunkt war niemand über die wahren Hintergründe von Arthurs Fernbleiben informiert.
Читать дальше