„Kennen sie den? Wo wollen sie hin? Was hat der gesagt?“
Ich wurde dann wohl als harmlos eingestuft nachdem sie meinen Studentenausweis sorgfältig studiert hatten. Ich konnte gehen, oder besser meinen Rucksack nehmen und raus auf den Bahnsteig um auf meinen nächsten Zug zu warten, dem Orient Express, aber ohne meinen netten Türken.
„Aber so nicht – Scheiß-Bullen.“
Der Typ war harmlos und die Bullen nur Arschlöcher, also nicht warten sondern hinter den Bullen her, die ihren Gefangenen unhöflich durch Gruppen von wartenden Menschen vor sich her stießen. Mein Türke war ganz schön verstört von dieser gewaltvollen Behandlung. Es ging rein in eine kleine Polizeistation und ich hinterher. Sie verschwanden hinter einer Glastür und dann wurde es laut da drinnen mit lauten Kommandos.
Der einzige Bulle im Eingangsraum:
„Was wollen sie hier? Zeigen sie mir nochmal ihren Pass. Sie kennen den?“
Ich versuchte zu erklären, dass er harmlos war, dass das alles nur ein Fehler sein konnte, dass man einen Menschen so nicht behandeln kann. Er gab mir meine Papiere zurück.
„Dann gehen sie jetzt.“
Aber so nicht. Ich hatte eh noch drei Stunden Wartezeit und die konnte ich auch hier mit diesem Bullen verbringen. Abwarten was hinter der Tür alles passierte. Vielleicht konnte ich ihm helfen? Seine Frau in Berlin anrufen?
Der Bulle wollte mich nicht da haben, äugte manchmal rüber zu mit, aber das war mir scheißegal. Ich hatte mich bereits auf den einzigen Stuhl gesetzt, versuchte mich auf die Glastür zu konzentrieren und auf die dahinter entstehenden Geräusche zu lauschen.
„Gehen sie.“
Ich ignorierte ihn. Da konnte er mich mal. Dann soll er mich rausschmeißen. Aber das tat er dann doch nicht und ließ mich sitzen.
„Was wird ihm vorgeworfen?“
Darauf gab‘s keine Antwort. Aber man muss nur hartnäckig sein und schließlich nach der siebten oder achten Frage gab’s eine kleine Antwort.
„Der Name Ozan steht auf der Fahndungsliste. Drogen und Menschenhandel. Wir warten auf sein Foto.“
Das konnte er unmöglich sein. Nicht mein Türke. Da war ich mir sicher. Manchmal war‘s ruhig da hinter der Glasscheibe, dann fiel mal ein Stuhl um, dann laute Stimmen. Sind die bescheuert da drinnen? Die Zeit verging, nur noch knapp eine Stunde zu meinem Anschlusszug. Dann flog plötzlich die Glastür auf und er wurde rausgestoßen, jetzt ohne Handschellen. Er raffte sein Gepäck zusammen, begleitet von den höflichen Worten:
„Raus jetzt. Hau ja ab.“
Wir stürmten beide mit unserem Gepäck auf den Bahnsteig, ja schnell weg von hier, bevor sie es sich anders überlegen. Auf einem anderen Bahnsteig, auf den Zug wartend, fragte ich ihn dann.
„Was ist da drinnen passiert. Warum der ganze Zirkus?“
„Die haben mich verwechselt. Als das Foto dann schließlich kam, war es klar und sie haben mich rausgeschmissen. Die sind blöd.“
Er lachte:
“Die wissen nicht das in der Türkei fast jeder zweite Ozan heißt.“
Nach unserem kleinen gemeinsamen Abenteuer, klar suchten wir uns verständlicherweise wieder ein Abteil nur für uns. Dieses kleine Intermezzo hatte ihm nichts ausgemacht. Türken in Berlin waren es gewöhnt von unseren Ordnungskräften so nett behandelt zu werden. Es spielte keine Rolle ob sie ein Jahr hier arbeiteten oder schon zwanzig Jahre und perfekt Deutsch sprachen, sogar mit Ruhrgebiet-Akzent. Sie sahen halt anders aus und Fremde sollen halt draußen bleiben. Kennen wir ja alle von Asterix und Obelix:
“Mich stören Fremde nicht, solange sie bleiben wo sie hingehören.“
Ich kann mich nicht erinnern wie lange diese Zugfahrt dauerte, eine Nacht, vielleicht auch zwei Nächte, aber die Zeit verging wie im Flug mit diesem netten Typen. In Istanbul einlaufend, ging dann alles schnell. Ein Verwandter wartete schon auf ihn. Seine Reise würde jetzt noch weitergehen. Mit dem Bus in das kleine Dorf aus dem seine Familie stammte. Er drückte mir seine Essenstüte in die Hand und das war‘s. Weg war er.
Ich stand da erst mal eine Weile auf dem Bahnsteig:
„Das ist die Türkei. Aha. Ist ja eigentlich ganz gut gelaufen für meinen Anfang. Also Zettel raus, was hat der Bayer mir noch auf den Weg gegeben?“
Türkei und Iran – Zwei so verschiedene Welten:
Über die nächsten fünf Wochen habe ich öfters an diesen Bayern gedacht. Er hatte mich so gut vorbereitet auf mein großes Abenteuer. Ich war so froh, ihn in Neukölln getroffen zu haben, da in seiner dreckigen Küche.
Vielleicht sitzt er da heute noch mit demselben dreckigen Frottee Bademantel und rollt sich seinen Joint, sonntags zum Frühstück. Hoffe es geht ihm gut, heute im Jahre 2015. Und: Vielen Dank.
Er hatte mir die Nummer des Busses gegeben zu einem kleinen billigen Hotel. Billig und dreckig, ein sehr kleiner Raum ohne Fenster. Also nichts zum Aufhalten. Pennen und dann raus in das exotische Istanbul. Und zum Pudding-Shop, zu der Zeit so berühmt, wie auch heute noch.
Verrückter Name für ein kleines Restaurant. Pudding gab‘s da auch. Für mich allerdings hatten sie den besten Joghurt aller Zeiten, selbstgemacht. Der Pudding-Shop, ein kleines sehr billiges Restaurant, mit billigen kleinen Resopal-Tischen. Hinten eine Theke mit Joghurt, Pudding und verschiedenen Sorten Kuchen. Es war immer voll, von morgens sieben bis spät in der Nacht, wenn sie den Laden schlossen. Das Wichtigste aber: es war der Treffpunkt für alle Rucksacktouristen die von Europa nach Asien oder von Asien zurück nach Europa zogen. An den Wänden riesige weiße Tafeln, gespickt mit vielen Zetteln, soviel Platz für die neuesten Nachrichten von der Strecke.
Um sich das mal vorzustellen: Der lange Weg bis Indien, ca. 4.600 km von Istanbul aus, vier Länder durchquerend, mit öffentlichen Bussen oder auch manchmal mit billigen lokalen Zügen. An diesen Tafeln konnte man Freunde wiederfinden, einen Platz im Bus finden oder auch Warnungen für andere Reisende hinterlassen. Istanbul hieß für mich erst mal fünf Tage Pause zu machen, sechs bis sieben Stunden jeden Tag im Pudding-Shop rumhängen. Natürlich um Informationen zu sammeln, mit vielen Leuten zu reden, Fragen zu stellen und die Tafeln studieren.
Ich musste einfach noch so viel lernen vor meinem nächsten Schritt. Während des Tages ein Tourist, der durch die exotischen Basare lief, einfach nur um das erste Asien einzuatmen. Morgens und abends–Pudding-Shop. Vier Stunden jeden Abend in diesem Restaurant, ein ständiger Strom von neuen Gesichtern, ankommen und wieder weiterfahren, Fragen stellen und auch beantworten. Jeder lernte hier und bereitete sich auf das nächste Stück seines Weges vor.
Am dritten Tag, es war wie üblich voll, suchte ich mit den Augen nach einem freien Stuhl an irgendeinem Tisch. Ich fand ihn auch, an der einzigen farbigen Stelle in diesem vollgestopften Restaurant. Ein Mensch ganz in Orange, unter Menschen die alle in Armee Jacken, blauen Overalls, Jeans und schwarzen Klamotten gekleidet waren. Ich saß ihm gegenüber, musterte ihn wie ein Papagei im Zoo. Der fiel einfach so aus der Rolle unter uns allen. Leuchtende orangene Jeansjacke, orangenes T-Shirt und orangene Jeans, selbst mit orangenen Socken wie ich bei einem Blick unter den Tisch feststellen konnte.
Meinen Tee trinkend musterte ich ihn ziemlich auffällig für eine Weile. Studierte die Rosenholzkette um seinen Hals mit dem Bild von diesem weißbärtigen alten Mann. Aber das schien ihm nichts auszumachen.
„Du kommst von Poona? Oder fährst du jetzt da hin?“
Das hatte ich im Kopf behalten von diesem Artikel im Sternmagazin, diese Sekte da in Poona trug nur Rot.
„Komme.“
Stille
„Wie war‘s?“
„Gut.“
Stille
„Wie lange warst du da?“
„Drei Monate.“
Stille
„Du bist jetzt einer von denen?“
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