Und dazu erklingt dann auch wieder allgegenwärtig die Begleitmusik, die man schon halbwegs überwunden glaubte, wobei auch diese sich offenbar weiterentwickelt hat mit der Zeit und nun leiser als früher in Form feiner Nadelstiche daherkommt, die Naturen, die dagegen nicht gewappnet sind wie seine Mutter, bis ins Mark treffen. Da kann man es sich beispielsweise nach der Geburt des Nachkömmlings, die problematisch verläuft – die Kleine muss, obwohl sie nicht vor der Zeit kommt, die ersten sechs Wochen im Krankenhaus verbringen – nicht verkneifen, etwa mit gefurchter Stirn darauf hinzuweisen, was so ein Tag im Brutkasten kostet. Da wird – ebenso dezent natürlich – auf den Tablettenkonsum, den inzwischen dazugekommenen Alkoholkonsum der Mutter hingewiesen, und die „Hätte man doch vorher…“ und „Müsste man doch jetzt eigentlich…“ Litanei nimmt kein Ende. Aber die längst überfällige familiäre Explosion bleibt wie immer aus, und für die Wahrnehmung der zahlreichen bereits stattgefundenen Implosionen fehlt das Feingefühl.
Die Einzige, die in der Folge einen klaren Blick behält, ist ihre ledige jüngere Schwester, die noch als Kinderschwester arbeitet, und ohne deren selbstlose Unterstützung, die sie mehr als einmal an ihre eigenen Grenzen bringt, das familiäre Chaos zu diesem Zeitpunkt bereits perfekt wäre. Deren Hilfe ist gefragt wohlbemerkt, keineswegs hingegen ihre Meinung, denn die wird von deren ebenso erbarmungs - wie berufsloser Mutter, die im Familienkreis immer noch die Marschrichtung vorgibt, selbstverständlich zur Ignoranz freigegeben. Was sollte eine Frau, die selbst keine Kinder hat, auch schon über dieses Thema zu sagen haben. Wie wollte man erlernte Kompetenz gegen einen dumpfen Naturalismus in Stellung bringen?
Arnold zieht in diesen Jahren noch unbeirrt seine Bahn. Er war in der Grundschule vorne, erhielt die gewünschte Empfehlung fürs Gymnasium, damals, aus seinen Kreisen stammend, noch einem gefühlten Ritterschlag gleichkommend, und er ist ruhig, sehr ruhig. Das hat unter Anderem den Vorteil, dass man relativ unbeschädigt durch die Reihen der Nichtempfohlenen kommt. Diejenigen, die eine höhere Schule besuchten, erkannte man damals sofort, weil sie, aus der Haustür heraustretend, den entgegengesetzten Weg zu ihrer Schule nehmen mussten.
Triebfeder zur schulischen Leistung war für ihn von Anfang an weniger das Interesse an irgendwelchen Fächern oder Inhalten als vielmehr die ihm mit größter Selbstverständlichkeit von der Mutter aufoktroyierte Sichtweise, dass es zum Erfolg am Gymnasium nur die Alternative, ins nichts zu fallen, gäbe. Eine Sichtweise, die freilich, bezogen auf sein Umfeld, die Isolation vorprogrammiert. So etwas spürt er schon relativ früh, spürt, dass seine jeweiligen Gegenüber ihm nur Dinge erzählen, von denen sie annehmen, dass er sie hören will. Er hat ständig das Gefühl, irgendwie außen vor zu sein, in einer eigenartigen Weise geschont zu werden - als ob seine Umgebung über Erkenntnisse oder Einsichten verfügen würde, die man ihm nicht unbedingt zumuten sollte. Und so stellt sich damals schon eine eigenartige Distanz zwischen ihm und seiner Umgebung ein. Das ist in abgewandelter Form im Grunde genommen bis heute so geblieben.
Zweite Bildungswege oder Mittelwege? Vielleicht sicherheitshalber zuerst mal eine Lehre absolvieren? – Indiskutable Etappenrennen in den Augen seiner Mutter, die – so wohl ihr Trauma schlechthin – wieder dort hinzuführen drohen, von wo man eigentlich aufbrechen wollte. Es wird von Jahr zu Jahr überdeutlicher, dass die Eltern – nicht nur in Bezug auf ihn –nicht nur Meinungsverschiedenheiten haben, sondern inzwischen offensichtlich auf verschiedenen Planeten leben. Als Konsequenz gerinnt bei ihm bereits in jungen Jahren vieles, was andere Gleichaltrige eher spielerisch erledigen, zum Krampf, zum Ausdruck einer im Verhältnis zum Alter unnatürlich wirkenden Form von Ernsthaftigkeit, die das labile Fundament noch lange überdeckt und zum Glück wenigstens, was die Schulzeit betrifft, in Gestalt einer gewissen, daraus resultierenden Abgeklärtheit noch für ihn nutzbar ist. Er konnte Unmengen auswendig lernen, aber es mangelt, wie man erst sehr viel später bemerken wird, schlicht an Inspiration, vor allem aber an jedweder Kommunikationsfähigkeit.
Ebenso betreibt Arnold seinen Sport ziemlich konsequent und erfolgreich, doch auch dort, wo normalerweise eigentlich nur Platzierungen und Ergebnisse zählen sollten, spürt er bereits relativ früh, dass man ihn nicht wirklich will. Selbst in seiner erfolgreichsten Phase, als er in seiner Disziplin, dem Tischtennis, den Landesmeistertitel im Jugendbereich erringt, wird das von seiner Umgebung mit einer seltsamen Mischung aus Befremdung und aufgesetzt wirkender Bewunderung bestenfalls leidlich goutiert. Man muss ihn nun aufgrund des errungenen Titels mitnehmen zu den überregionalen Turnieren, obwohl er an den vorangegangenen Ranglistenspielen, die normalerweise für die Nominierungen ausschlaggebend sind, nicht teilgenommen hatte. Für zweifelhafte Fleißübungen hatte er schon damals nicht viel übrig - und auch noch einen scharfen, unbestechlichen Blick.
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