»Kommen Sie her.« Bestimmend zitiert sie Ava zu sich an den Kamin. Wie ein Wrap in die Decke eingewickelt, hüpft Ava durch das Zimmer und begibt sich neben der Doktorin in die Hocke. Je kleiner sie sich macht, umso weniger Angriffsfläche hat die Kälte und umso wärmer bleibt sie.
»Als erstes müssen Sie die Lüftungsklappen öffnen, ansonsten ersticken Sie irgendwann. Logisch, nicht wahr?«
So blöd bin ich nun auch nicht.
»Und im Gegensatz zu allem was Ihnen Ihre Großmutter erzählt hat, lassen wir das Holz von oben nach unten abbrennen. Das heißt«, die Doktorin holt neben dem Kamin einige Scheite Holz hervor und legt diese kreuzweise in den Kamin. Drei Scheite horizontal, darauf drei Scheite vertikal und wieder drei horizontal. Ava fällt dabei auf, dass das Holz von unten nach oben immer schmaler wird. Dann zeigt ihr Miss Jercy mehrere recht kleine Holzstücke.
»Diese Hölzer sind die sogenannten Anfeuermodule. Dazu gehört«, ein Griff zwischen die Holzscheite neben dem Kamin wird getan »diese mit Wachs getränkte Holzwolle. Diese legen Sie in die Mitte der kleinen Holzstücke. Dann brauchen Sie die Holzwolle nur noch anzuzünden.« Ihren Worten begleitend, entfacht sie mit einem Streichholz die Holzwolle. Auch wenn die Flamme noch recht klein ist, bildet sich Ava ein, die Wärme jetzt schon zu spüren. Am liebsten würde sie sich auf der Stelle in das Feuer schmeißen, nur damit ihr wärmer wird. Das Zähneklappern konnte sie bis jetzt noch nicht einstellen.
»Und wieso lässt man das Holz von oben nach unten abbrennen? Ich meine, ich habe zwar selbst noch nie einen Kamin angemacht, aber ich konnte bisher immer sehen, dass das Holz auf dem Feuer lag und somit nach oben hinweg brannte.« Den Blick auf das langsam wachsende Feuer gerichtet, nickt die Doktorin.
»So macht man das eben, wenn man keine Ahnung von Naturgewalten hat. Diese Art des anzünden«, sie zeigt auf das Feuer vor sich »verspricht einen langsamen und kontrollierten Abbrand. Außerdem ist es rauchärmer.«
Ava betrachtet Miss Jercy von der Seite. Sie sieht deren Blick auf das Feuer gerichtet. Sie wirkt mit einem Mal nachdenklich und in sich gekehrt. Der Blick wirkt apathisch.
Avas Augen wandern zum Gesicht der Doktorin. Wie sie es noch aus der Akte der guten Frau weiß, ist Nora Jercy neunundvierzig. Ava muss zugeben, dass sie sie auch in diese Altersgruppe eingeschätzt hätte. Die Falten an ihren Augen verraten ein höheres Alter. Ebenso die Falten um den Mund herum. Die Haut wirkt nicht mehr ganz so straff und rosig, lädt aber noch nicht dazu ein, ein Spannbettlaken daraus zu machen.
Nur gut, dass ich nicht auf ältere Frauen stehe, sonst könnte ich mich glatt vergucken.
Unauffällig schielt Ava zum Oberteil des Schlafanzuges. Sie reckt den Hals etwas und blinzelt in den Ausschnitt.
»Wieso starren Sie mich so an?«, faucht die Doktorin, dreht den Kopf und schaut Ava mit scharfen Blick direkt in die Augen. Sofort reißt sich Ava zum Feuer herum und schüttelt hektisch den Kopf.
»Nichts.«
»Das ist keine Antwort auf meine Frage.« Ava schaut zu der Doktorin zurück.
Ich habe deine Frage beantwortet. Was willst du von mir?
»Nein haben Sie nicht! Ich habe gefragt, wieso Sie mich so anstarren. Der Kernpunkt und die Betonung der Frage liegt also auf dem Wieso!« Mit einem Mal tippt die Doktorin Ava mit dem Zeigefinger beschämend gegen ein Ohr.
»Zuhören, Miss Ramirez, zuhören!« Brummend zieht sich Ava zurück.
Bin ich hier in der zweiten Klasse, oder was? Geht es noch beleidigender?
»Ich höre zu. Das mache ich immer.« Erneut beantwortet Ava die Frage nicht direkt. Diese ist mit einem Mal in den Hintergrund gerückt.
Erstaunt zieht die Doktorin eine Augenbraue hoch. Überrascht nimmt sie den Kopf zurück.
»Ach, echt? Sind Sie sich da sicher?«
»Ja und ob ich mir sicher bin.« Ein hinterlistiges Grinsen beginnt in dem Gesicht von Miss Jercy zu wachsen.
»Na dann werden wir morgen sehen, wie gut Sie zuhören. Ich freue mich darauf. Gute Nacht.«
Was soll das denn heißen?
Verwirrt blickt Ava der Doktorin hinterher. Diese verlässt ohne jeglichen weiteren Kommentar ihr Zimmer und zieht langsam die Tür hinter sich zu.
»Durch die werde ich zehn Jahre früher sterben und zwanzig Jahre früher graue Haare bekommen.« Fluchend schaut Ava zum Feuer zurück. Die Flammen sind mittlerweile gewachsen und beginnen tatsächlich Wärme zu spenden.
Zähne zusammenbeißend steht Ava am nächsten Morgen am Fluss und blickt knurrend auf das Wasser. Sie weiß, dass sie sich die Nippel abfrieren wird. Und sämtliche Hühneraugen, wenn sie welche hätte. Ihre Vagina würde sich wahrscheinlich wegen der Kälte vor Schreck soweit zusammenziehen, dass sie wieder Jungfrau ist, aber da muss sie jetzt durch.
»Du schaffst das schon. Es kann dich nur abhärten.«
Mit Gedanken an das wärmende Feuer von letzter Nacht, macht Ava die ersten Schritte in den Fluss. Das Feuer heizte schon nach kurzer Zeit das Zimmer so weit auf, dass Ava die Decke etwas zur Seite legte und irgendwann ganz ohne dalag. Es war so warm wie noch nie in ihrem Leben. Aber es war gut. Es half zu schlafen und dieses Bett zu vergessen, dass sie bei jeder kleinsten Bewegung daran erinnerte, quasi in einem Pferdstall zu schlafen.
Quiekend hüpft Ava in dem kalten Fluss umher und wäscht sich so schnell wie noch nie zuvor in ihrem Leben. Die Haare werden im rekordverdächtigen Tempo gewaschen. Anders geht es gar nicht, wenn sie lebend aus dem Fluss kriechen will.
***
In sich selbst verkrochen, bibbernd und zitternd dribbelt sie zur Hütte zurück. Sie sieht Miss Jercy auf der Veranda sitzen. Die Doktorin hält sich, wie gestern Abend, eine Tasse mit einem warmen Getränk vor das Gesicht und blinzelt irgendwie belustigt über den Dampf hinweg zu Ava.
»Guten Morgen«, brummt die jüngere Frau.
»Guten Morgen«, erwidert die Doktorin und schaut Ava mehr als eindeutig hinterher.
Als die Journalistin die Hütte betreten will, bleibt sie abrupt stehen. Sie geht zwei Schritte rückwärts und schaut auf den Tisch neben der Doktorin. Dort steht ein Fernglas.
Die wird doch nicht etwa … ?
Ava schaut aus ihrer Position in Richtung Fluss.
Scheiße! Die konnte mich genau sehen.
»Was denken Sie sich eigentlich? Haben Sie schon mal etwas von Privatsphäre gehört?«, flucht Ava wütend. Sie kann es nicht fassen. Da hat die Doktorin sie tatsächlich durch so ein beschissenes Fernglas im Fluss beobachtet. Dass sie natürlich splitterfasernackt in dem Gewässer stand, versucht sie zu verdrängen. Sie möchte der Doktorin im Augenblick lediglich den Hals umdrehen.
Was bildet die sich eigentlich ein?
Miss Jercy blickt zu Ava hoch. Sie lächelt.
»Ihre Privatsphäre haben Sie gestern verloren, als Sie mein Haus betraten«, kontert sie gelassen, greift nach einer Schachtel Zigaretten und zündet sich eine an.
»Was zum Teufel bilden Sie sich eigentlich ein? Wie reden Sie überhaupt mit mir?« Plötzlich hat Ava das Gefühl, dass die Welt stehenbleibt. Irgendwie herrscht mit einem Mal eine ungewöhnliche Stille. Nicht, dass diese sehr ungewöhnlich mitten im Nirgendwo wäre. Aber diese Art der Stille ist anders. Sehr viel anders.
Langsam dreht die Doktorin den Kopf. In Zeitlupe hebt sie diesen und schaut zu Ava hoch. Sie legt die Zigarette in den Aschenbecher und steht vom Stuhl auf.
Oh oh, habe ich da etwa einen wunden Punkt getroffen? Bekommst du etwa nicht so oft Konter?
»Ich, an Ihrer Stelle, würde mir ganz genau überlegen was Sie zu mir sagen. Ich bin Ihnen haushoch überlegen und kann Sie mit nur einem einzigen Satz vernichten.« Miss Jercys Blick liegt unnachgiebig auf Ava. Er ist ruhig, aber bestimmend. Beängstigend und mit einem Hauch Drohung.
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