Ich kam nicht umhin, als über die Worte meiner Mutter nachzudenken: Was ist mit Kindern? Ihr solltet darüber nachdenken, das Leben kann so schnell vorbei sein. Wo sie recht hatte, hatte sie recht, aber trotzdem fand ich Kinder zu diesem Zeitpunkt etwas unpassend. Nicht, dass ich sie nicht mochte, aber mir war meine Arbeit nun auch einmal wichtig. Hätte ich die Möglichkeiten gehabt, die ihr jungen Leute heute habt, ich hätte einiges anders gemacht . Die Message war klar: verschwende nicht dein Leben. Konnte man überhaupt sein Leben verschwenden? Gab es ein objektives Maß dafür? Nein. Aber trotzdem wusste ich, was meine Mutter meinte. Sie wollte, dass ich glücklich war und womöglich wollte sie mir hinter all dem mitteilen, dass ich zu viel arbeitete.
Ich hörte einen Schlüssel im Schloss drehen und kurz darauf die Tür aufgehen. Die Schritte gingen zuerst Richtung Küche, ich hörte die Kühlschranktür aufgehen und eine halbe Minute später erschien Alex‘ Statur im Türrahmen. „Hallo, mein Schatz“, begrüßte er mich mit einem leicht lasziven Lächeln.
„Hi“, sagte ich recht kurz angebunden, ein wenig abgelenkt durch den Film. Alex kam näher, setzte sich auf das Bett und gab mir einen Kuss auf die Wange.
„Na, was hast du heute Schönes gemacht?“ Ich konnte ein wenig Bier in seinem Atem riechen, aber daran hatte ich mich schon gewöhnt und störte mich nicht. Ich selbst trank wenig Alkohol, weil ich es einfach nicht mochte und bei Alex wusste ich, dass er gerne mal das ein oder andere Bier trank, um nach der Arbeit zu entspannen. Ich hatte ihn schon mal darauf angesprochen, dass es mir nicht sonderlich gut gefiel, dass er Alkohol brauchte, um zu entspannen, aber von meinen Yoga-Sitzungen ab und zu hielt er auch nicht so viel. Ich drehte mich von dem Bildschirm weg und schaute ihn an. Gott, ich konnte diesen tiefblauen Augen auch nach fünf Jahren Beziehung immer noch nicht widerstehen. „Ich war bei Mama und wir haben ein wenig über Annabelle geredet.“ Alex schaute mich erwartungsvoll an. „Und?“ „Nichts. Das war es.“
„Also gibt es noch nichts Neues?“
„Nein.“
„Der Kuchen ist übrigens echt lecker.“
„Den hat Mama gemacht.“
„Habe ich mir schon fast gedacht.“
„Warum? Denkst du, dass ich nicht backen kann?“
„Ich denke es nicht nur, ich weiß es.“ Das sollte neckend klingen, aber ich war gerade echt nicht in der Stimmung dafür.
„Was soll das denn heißen?“, fuhr ich ihn an. Jetzt schaute mein Freund etwas entschuldigend drein. „Du weißt doch, dass das nicht erst gemeint war.“ Er wollte mich noch einmal küssen, aber ich drehte mich weg.
„Heyho. Jetzt beruhig dich doch mal.“
„Ich bin so ruhig, wie es nur geht.“
„Ja, eisig wie die Eisprinzessin.“
„Alexander, jetzt reicht es wirklich!“ Alex wusste genau, wenn ich ihn beim vollen Namen nannte, hörte der Spaß auf.
„Ja, ja, schon gut. Soll ich dir erzählen, wie mein Tag war?“
„Anstrengend nehme ich an“, meinte ich immer noch etwas unterkühlt, denn ich wollte ihm nicht das Gefühl geben, dass ich ihm sofort verziehen hätte.
„Da hast du wohl recht. So ist mein Job. Aber hey, er macht mir Spaß und ich glaube, dass heute einer der Tage war, an denen mir das Rinderfilet besonders gut gelungen ist.“ Alex redete gerne über das Essen, besonders, wenn er einen guten Tag hatte. Und wenn es für ihn nicht gut gelaufen war, dann war auch seine Stimmung am Abend meistens nicht so gut und ich versuchte dann, ihn aufzuheitern. Mein Freund war Koch mit Leib und Seele.
„Thomas war auch da“, meinte ich noch.
„Oh, wie geht’s ihm und seiner Familie?“
„Gut.“
„Nächstes Mal muss ich wohl mitkommen, sonst denken deine Eltern noch, wir sind getrennt.“
„Ich glaube nicht, dass meine Mutter das denken würde. Im Gegenteil: sie hat gefragt, wann es so weit sein wird, dass sie endlich Enkel bekommt.“
„Enkel?“ Alex hatte die Mehrzahl betont.
„Na ja, erst einmal hatte sie nur von einem gesprochen, aber sie meinte schon, dass es langsam Zeit für uns wäre.“
„Und was hast du gesagt?“
„Ich habe ihr gesagt, dass wir momentan keine Zeit dafür haben.“
„ Wir haben keine Zeit dafür?“
„Na ja, du bist Koch in einem Sternerestaurant und ich arbeite viel in der Kanzlei. Ich dachte…“ „…dass da Kinder in die Karrierepläne nicht reinpassen“, beendete Alex den Satz. „Nun ja, ich finde, das kann man ändern. Zumindest kann man es versuchen. Was meinst du?“
„Ich weiß nicht...“, meinte ich zögernd. „Ich weiß nicht, ob ich eine gute Mutter sein würde.“
„Ich denke, du wärst eine fantastische Mutter“, sagte Alex und fuhr mit der Nasenspitze an meinem Hals entlang. Mit einer Hand klappte er den Laptop zu. „Hey! Was soll das?“, protestierte ich, aber gleichzeitig gefiel mir, was Alex da tat. Ich räumte den Laptop rasch vom Bett runter und gab mich dann seinen Liebkosungen hin.
Endlich wieder Montag. Die meisten Menschen hassten Montage, aber ich mochte sie, denn mit ihnen begann eine neue Arbeitswoche und somit hatte mein Kopf wieder etwas zu tun. Ich stand zur gewohnten Zeit um sieben auf, duschte, machte mir mein Frühstück und einen Kaffee, zog eines meiner Kostüme aus dem Schrank und machte mich auf den Weg, sodass ich ungestresst um acht Uhr dreißig mein Büro betrat. Dort checkte ich dann meine Termine für die Woche und schaute, ob es etwas Wichtiges gab. Meistens war das am Anfang der Woche nicht der Fall, denn die wichtigsten Termine kamen meist erst einen Tag vorher oder wenn nicht sogar am selben Tag noch rein. Im Büro nahm ich mir gleich noch eine Tasse von dem frisch aufgebrühten Kaffee, setzte mich dann an meinen Schreibtisch und schaltete den Computer an. Wie ich schon vermutete hatte, gab es vorerst nichts Spannendes. Die üblichen Termine von Paaren, die auf einmal festgestellt hatten, dass sie sich nach all den Jahren nicht mehr liebten und nun eine Beratung brauchten, wie sie im besten Fall ohne Schlammschlacht und mit möglichst wenig Geldverlust da rauskommen könnten. Viele stellten sich eine Scheidung immer rosig vor und dass man danach noch mit dem Partner befreundet sein würde, aber das war meiner Meinung nach eher die Ausnahme. Bei Geld hörte bei vielen die Freundschaft auf.
„Guten Morgen, meine Hübsche.“ Ich schaute auf und sah meine Arbeitskollegin Kathi. Aber Kathi war viel mehr als nur eine Kollegin, sie war, seitdem wir zusammen arbeiteten, eine sehr gute Freundin und wir waren immer füreinander da, wenn eine von uns mal Rat brauchte, war es für die Arbeit oder die Beziehung.
„Na, wie war dein Wochenende?“ Kathi hatte immer so ein ansteckendes Strahlen in den Augen und sie war auch nie schlechter Laune.
„So lala“, meinte ich. „Meine Tante ist gestorben und obwohl ich sie nicht so wirklich gekannt habe, nimmt mich das doch ein bisschen mit. Ich weiß auch nicht so wirklich wieso.“
Kathi machte ein betretenes Gesicht. Auch das war eine der schönen Seiten an ihr: sie konnte wie fast keine Andere Mitgefühl zeigen. Und bei ihr hatte ich das Gefühl, dass sie es ernst meinte. Nicht dieses Oberflächliche: „Oh, das tut mir aber leid. Aber das wird schon wieder…“, was man sonst so oft zu hören bekam. „Lass uns da mal in der Mittagspause drüber reden“, sagte Kathi.
„Gerne.“
Trotz dieses kurzen traurigen Moments schaffte ich es, mich ganz gut auf meine Arbeit zu konzentrieren. Wie ich bereits vermutete hatte, war es wirklich eine willkommene Ablenkung. Den Vormittag über tätigte ich ein paar Anrufe, heute waren keine persönlichen Gespräche angesetzt. Um zwölf kam Kathi, die in der Abteilung für Steuerrecht arbeitete, wieder und wir gingen in ein kleines Restaurant, etwa fünf Minuten von der Kanzlei.
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